Michel Houellebecq vor Gericht.

Göttliche Dummheit

Der Starautor Michel Houellebecq steht wegen Schmähung des Islams in Paris vor Gericht.

Verquere Fronten im Streit um die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung: Vor dem Prozess erklärten Freidenker und bekennende Gottlose auf der Webpage atheisme.org ebenso ihre Unterstützung für Michel Houellebecq wie der Mouvement National Républicain, die neofaschistische Partei von Bruno Mégret. Auf der anderen Seite fanden sich islamische Kleriker, die nun wirklich nicht als Speerspitze der Aufklärung gelten können, an der Seite der halblinken Liga für Menschenrechte (LDH), die in Folge der Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts gegründet worden war.

So muss man sich die Gemengelage aus Unterstützern und Gegnern im Verfahren gegen Houellebecq vorstellen, das am Dienstag vorletzter Woche in Paris begann. Der Bestsellerautor hatte in einem Interview mit der Literaturzeitschrift Lire vom September 2001 den Islam als »dümmste aller Religionen« bezeichnet. Allerdings hatte er vorausgeschickt, dass er eine »Abscheu gegen die Monotheismen« im Allgemeinen empfinde.

Nun ist eine öffentliche Kritik am Islam in einer Gesellschaft, die wie die französische vom Postkolonialismus geprägt ist und einen »ethnisch« segmentierten Arbeitsmarkt hat, immer eine zweischneidige Sache. Allzu leicht nämlich schlägt diese Kritik in Chauvinismus und Rassismus um, jedenfalls dann, wenn sie dazu dient, eine andere Religion oder Kultur gegenüber der eigenen herabzusetzen.

Grundsätzlich birgt jede Religion die Gefahr des repressiven, totalitären Auftretens in sich, weil Religion nun mal den Zweck verfolgt, sich durch Berufung auf einen göttlichen Willen über die gesellschaftliche Diskussion hinwegzusetzen und den Individuen ein Verhalten zu diktieren. Von der katholischen Inquisition bis zu islamistischen Regimen ist dies immer wieder Wirklichkeit geworden. Ob und wann Religion zu einem realen Unterdrückungsprogramm führt, hängt von gesellschaftlichen Bedingungen und Kräfteverhältnissen ab. Wenn das Christentum heute nicht zu religiös begründeten totalitären Systemen führt, dann deswegen, weil die gesellschaftliche Entwicklung der letzten zwei Jahrhunderte es in weiten Teilen aus dem Alltagsleben verdrängt hat. Doch die Geschichte des 20. Jahrhunderts beweist, dass barbarische Bewegungen - wenngleich nicht immer mit religiöser Grundlage - keineswegs nur in muslimischen Ländern möglich sind.

Andererseits muss eine Kritik am Islam nicht als rassistische Herabsetzung anderer Menschen oder Gesellschaften intendiert und verstanden werden. Denn Kritik an dieser Religion bedeutet ja nicht notwendigerweise die Zurückweisung jener Menschen, die heute Muslime sind. Es kann dem oder der Kritisierenden auch ein Anliegen sein, dass diese Menschen sich von der Prägung ihrer Gesellschaft durch die Religion lösen, um zu freieren Persönlichkeiten zu werden. So wurde auch der Einfluss des Katholizismus in Europa in den letzten Jahrzehnten zurückgedrängt.

Eine öffentlich geäußerte Ablehnung der muslimischen Religion in einem Land wie Frankreich, das Kolonialmacht gewesen und dessen Gesellschaft dadurch geprägt worden ist, bleibt deshalb immer eine Gratwanderung zwischen beiden, an sich grundverschiedenen Absichten.

Dies wird am Beispiel der Journalistin Oriana Fallaci deutlich; dieselben Richter, die Michel Houellebecq und einige seiner Schriftstellerkollegen anhörten, werden über das Verbot des Buches »Die Wut und der Stolz« in Frankreich zu entscheiden haben. In diesem Fall muss man tatsächlich von Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe sprechen. Zwar betont Fallaci zuweilen ihre emanzipatorischen Absichten, etwa wenn es um das Schicksal afghanischer Frauen geht. Doch sie gelangt von da aus zu einer pauschalen Zurückweisung von Migrantengruppen, zum Beispiel auch von Albanern, die kaum durch die islamische Religion geprägt sind. Ihre Auslassungen zur Einwanderungspolitik wurden kürzlich selbst vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein als rassistisch bezeichnet.

Doch bei Houellebecq liegt die Sache anders. Zunächst einmal geht es ihm gar nicht darum, sich für irgendein gesellschaftliches Anliegen - sei es fortschrittlich oder reaktionär - zu engagieren. Seine Bücher beschäftigen sich vor allem mit der Sexualität, dem kapitalistischen Wettbewerb und dem Leid des vereinsamten Individuums. Zwar enthalten manche Romane Houellebecqs, vor allem sein bekanntestes Buch »Elementarteilchen«, Anklänge konservativer bis reaktionärer Kulturkritik, etwa wenn er in »Elementarteilchen« den schleichenden »Selbstmord des Abendlands« beklagt und ein Epochengemälde der Dekadenz entwirft. (Jungle World, 04/99) Im gleichen Buch finden sich auch einzelne rassistische Stellen, zum Beispiel wenn der Autor den Romanhelden Bruno als Lehrer arbeiten lässt und dessen Sexualneid auf einen schwarzen Schüler (»Bestimmt hat der Bimbo einen dicken Schwanz«) beschreibt.

Doch Houellebecq tritt nicht für eine »Sache« ein und verwirft alle politischen Entwürfe. Allerdings machte er im wirklichen Leben einige Ausnahmen und unterstützte bei den Wahlen im Frühjahr 2002 den Ex-Innenminister Jean-Pierre Chevènement, denn für Sicherheitsdiskurse hat der Schriftsteller eine Schwäche, wie er in dem Gespräch mit Lire bekannte. Ansonsten aber argumentiert Houellebecq vom Standpunkt des literarischen Zynikers und gesellschaftlichen Außenseiters aus, der die Moderne als eiskalt und inhuman empfindet und sich nicht einmischt, aber über »humanitäre Aktivitäten« und political correctness spottet.

Um den damals frisch erschienenen Titel »Plattform« ging es auch in dem Interview, das Didier Sénécal im Spätsommer 2001 mit ihm für Lire führte. In dem Roman kommt der Islam nur am Rande vor, etwa wenn die Hauptfigur Michel arabischen Sextouristen in Thailand nachspürt, die »noch viel frenetischer als die Westler« seien. Er, so führte es Houellebecq jedenfalls im Interview aus, habe erkannt, dass der Islam zu derselben sexuellen Verklemmtheit führe wie die westlichen, liberalen Wettbewerbsgesellschaften. Deswegen wird das Thema Islam im Roman in einigen Absätzen gestreift.

»Plattform« ist ansonsten jedoch hauptsächlich ein provokatives Plädoyer für die Prostitution und den Sextourismus. An einer Stelle lässt der Autor seine Hauptfigur Michel, dessen Frau bei einem islamistischen Attentat zu Tode kommt, sagen: »Jedes Mal, wenn ich erfuhr, dass ein palästinensischer Terrorist oder ein palästinensisches Kind oder eine schwangere palästinensische Frau im Gazastreifen erschossen worden war, fuhr ich auf vor Begeisterung.«

Im Gespräch mit Lire geht es auch um diese Passagen. Der Autor erklärt, er »hasse« den Islam tatsächlich, und ihm sei anlässlich einer Reise im Sinai aufgegangen, dass alle Monotheismen schwachsinnig seien. Er habe allerdings eine »Restsympathie« für den Katholizismus, da dieser tatsächlich - wenn man an die von Heiligen und Ornamenten überladenen Kirchen denke - eher »polytheistisch« sei. Houellebecq spricht also eher abstrakt vom Islam als Religion. Lire rückte allerdings die Islamproblematik an eine zentrale Stelle. Da die Zeitschrift noch dazu die Auslassungen Houellebecqs über die Tötung von Palästinensern hervorhebt, scheint in den Augen der Leser die rassistische Motivation des Schriftstellers nahe zu liegen.

Muslimische Religionsgemeinschaften erstatteten Anzeige gegen ihn wegen »rassistischer Beschimpfung« und »Aufstachelung zum Hass gegen die muslimische Gemeinschaft«. Die Kläger waren einerseits die Moscheen von Paris und Lyon, offizielle Institutionen, die vom französischen Staat gegründet wurden und die Gesetze des laizistischen Frankreich respektieren, andererseits aber auch die stockreaktionäre Islamische Weltliga, die im fundamentalistischen Saudi-Arabien ihren Sitz hat. Ihnen gesellte sich kurz vor Prozessbeginn die Menschenrechtsliga LDH hinzu, deren Anwältin aber in ihrem Plädoyer darum bemüht war, sich von den anderen Klägerparteien abzugrenzen.

Vorgeworfen wurde Houellebecq vor allem, nicht zwischen einer Kritik am Islam als Religion einerseits und der Ablehnung der Muslime als Menschen andererseits zu differenzieren. Das inkriminierte Zitat schien nahe zu legen, dass Houellebecq die Araber, als ganze Bevölkerungsgruppe und den Islam miteinander vermenge - in dem Fall würde es sich zweifellos um Rassismus handeln. Ein Anwalt der Klägerparteien fragte ihn deswegen, was er über asiatische Muslime, die keine Araber sind, denke. Houellebecq konnte sich dabei jedoch einfach aus der Affäre ziehen, indem er schlicht den Unterschied zwischen Arabern und muslimischen Asiaten feststellte und im Folgenden darauf beharrte, er habe lediglich vom Islam als Ideologie gesprochen.

Die Verteidigung behauptete, dass es den Klägern um die »Wiedereinführung des Delikts der Gotteslästerung« gehe. Der Schriftsteller Fernando Arrabal schilderte in eindrucksvollen Worten, wie ihm 1967 in Spanien aufgrund dieses Vorwurfs der Prozess gemacht worden war und wie ihm weltbekannte Schriftsteller öffentlich zu Hilfe gekommen seien. Der atheistische Autor Dominique Noguez zitierte aus Zeitungen der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, aus der Zeit kurz vor der offiziellen Trennung zwischen Staat und Kirche, die in Frankreich - als Spätfolge der Dreyfus-Affäre - 1905 vollzogen worden war.

Anderes im Sinn hatten die Rassisten des MNR. Ein Dutzend Aktivisten war zu dem Prozess in T-Shirts mit der Aufschrift »Meinungsfreiheit« erschienen. Doch in ihrer Erklärung verdammte die Partei Bruno Mégrets allein den Islam, weil er eine »der französischen und europäischen Zivilisation fremde Religion« darstelle. Das Faschistenpack wurde allerdings vom Gericht nach kurzer Zeit an die frische Luft gesetzt. Houellebecq und die Verteidigung hatten den Auftritt ignoriert.

Das Urteil des Gerichts wird voraussichtlich am 22. Oktober bekannt gegeben. An einem Freispruch bestehen allerdings, nach dem Plädoyer der Staatsanwältin, so gut wie keine Zweifel.