Prozesse gegen die Guerilla

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Nach dem Dementi des wichtigsten Zeugen Savvas Xeros nehmen die Ermittlungen gegen die griechische Stadtguerilla 17. November skurrile Züge an.

Die Schilderungen seiner Haftbedingungen waren an Dramatik kaum zu überbieten. Savvas Xeros, dessen Aussagen bei den Ermittlungen gegen die griechische Stadtguerilla 17. November eine zentrale Rolle spielen, berichtete von Scheinhinrichtungen, Folterungen und medizinischen Präparaten, die Angstzustände erzeugten. Nachdem er einen Monat lang mit den Ermittlungsbehörden geplaudert hat, versucht er jetzt, einen großen Teil seiner Aussagen wieder zurückzunehmen.

In einem Fernsehinterview, das er Mitte September mit dem Journalisten Makis Triantafilopoulos führte, erklärte Xeros, dass seine umfangreichen Aussagen über die Aktionen der Gruppe und seine ehemaligen Genossen nur unter psychologischem Druck und dem Einfluss von Psychopharmaka zustande gekommen seien.

Deshalb habe er sogar eine merkwürdige Zuneigung zum Leiter der Antiterroreinheit, Antonis Siros, empfunden. Auf die Frage, wen er mehr liebe, seine Mutter oder Siros, will er sich für den Beamten entschieden haben. Außerdem sei er nach seiner Verhaftung schwer verletzt auf der Intensivstation von einer »politischen Person« sowie von drei US-Agenten verhört worden, was gesetzlich streng verboten ist.

Unter diesem Druck habe er mindestens vier Personen beschuldigt, obwohl sie nur über oberflächliche Kontakte zur Stadtguerilla verfügten. Deswegen bereitet er derzeit zusammen mit seinen Brüdern, Christodoulos und Vassilis Xeros, weitere Aussagen vor, in denen sie ihre früheren Geständnisse größtenteils widerrufen. Während sie jetzt nur noch die Verantwortung für einige kleinere Attentate übernehmen wollen, bestreiten sie jede Beteiligung an politischen Morden.

Besonders gut sind die Aussichten, dass ihre neuen Darstellungen ernst genommen werden, jedoch nicht. So bezeichnete der Psychiatrieprofessor Ioannis Mantonakis die Aussagen von Xeros als lächerlich und unglaubwürdig. Die Polizei und die betreuenden Ärzte erklärten einmütig, dass Xeros keine Psychopharmaka eingenommen habe.

In den Medien wird nun darüber spekuliert, ob sich Xeros den politischen Erklärungen von Dimitris Koufodinas, einer der führenden Personen des 17. Novembers, anschließen will, um sein Image aufzubessern. Koufodinas stand zwei Monate lang auf der Fahndungsliste und stellte sich vorletzte Woche der Polizei. Er verweigerte die Aussage und behauptete, dass seine Taten ausschließlich politisch motiviert gewesen seien. »Ausgangspunkt und Beweggrund waren für mich meine politischen Prinzipien und mein Beitrag zum sozialistischen Umwälzungsprozess. Insofern halte ich meine Taten für rein politisch«, sagte er nach seiner Verhaftung. Und nachdrücklich betonte er, dass die Stadtguerilla nie die Verantwortung für einen Bankraub übernommen habe. Er verteidige daher nur den Inhalt der schon veröffentlichten Bekennerschreiben.

Mittlerweile versuchen die anderen Angeklagten, Nutzen aus Xeros' Sinneswandel zu ziehen. Ioannis Rachiotis, der Verteidiger der angeblichen Leitfigur der Stadtguerilla, Alekos Giotopoulos, nahm die neuen Aussagen zum Anlass, um die Rechtmäßigkeit sämtlicher Ermittlungsverfahren zu bestreiten. Sein Mandant weist bisher jegliche Beteiligung an den Aktivitäten der Gruppe zurück. Er wurde vor allem durch die Aussagen von Xeros belastet.

Die anfänglich über die Verhafteten verhängte totale Kontaktsperre hat inzwischen keinen Bestand mehr. Die angeblich kaltblütigen Killer sorgen mit ihren Fernsehauftritten für traumhafte Einschaltquoten. Das Interview mit Xeros, der nach seinem ersten Auftritt telefonisch an einer weiteren Fernsehdebatte teilnahm, war nur der Anfang des surrealen Spektakels. Um weitere TV-Shows dieser Art zu vermeiden, hat der Gefängnisrat beschlossen, dass die Gefangenen nur noch zu ihren Verwandten und Strafverteidigern Kontakt haben dürfen.

Größere Berührungsängste beim Thema 17. November als die Journalisten hat hingegen die griechische Linke. Sie ergreift jede Gelegenheit, um sich vom bewaffneten Kampf zu distanzieren (Jungle World, 36/02). Das Ziel der Terroristenhetze in den Medien ist es, alle repressiven Maßnahmen nachträglich zu legitimieren. Und da kann niemand zurückstehen. So versprechen beispielsweise die Plakate aller Kandidaten, die zu den kommenden Kommunalwahlen antreten, mehr Sicherheit und Ordnung in den Gemeinden. Eine Solidaritätsdemonstration für Abraham Lesperoglou durfte Anfang September nur in Begleitung eines enormen Polizeiaufgebotes durch Thessaloniki marschieren. Lesperoglou wurde in der vorletzten Woche von einem Geschworenengericht vom Vorwurf des versuchten Polizistenmordes freigesprochen.

Dieser Prozess war gleichzeitig das Ende einer Epoche, denn gemäß dem neuen Antiterrorgesetz, das im Juni 2001 verabschiedet wurde, sollen solche Fälle in Zukunft vor Gerichten verhandelt werden, die ausschließlich mit professionellen Richtern besetzt sind.

Das US-Außenministerium stellte nach dem Freispruch von Lesperoglou sogar die Souveränität der griechischen Justiz in Frage und kritisierte das Urteil des Gerichts scharf. Die Generalstaatsanwaltschaft hat bereits Berufung eingelegt. Eine Bestätigung des Freispruchs gilt in dem kommenden Revisionsprozess als unwahrscheinlich.

Kein Wunder also, dass die griechische Regierung nach dem Revisionsantrag plötzlich wieder ein großes Lob der amerikanischen Verbündeten ernten konnte. In einem Brief bedankte sich US-Präsident George W. Bush überschwänglich bei Ministerpräsident Kostas Simitis für die erfolgreiche Beteiligung Griechenlands am globalen Kampf gegen den Terrorismus: »Das griechische Volk hat sich dazu entschlossen, für seine Freiheit zu kämpfen und sie nicht dem Terrorismus preiszugeben. Die USA sind stolz darauf, als Alliierte an eurer Seite zu stehen.«