Ein Kriegsverbrecher soll ausgeliefert werden

Ein Held für alle Fälle

In Kroatien provoziert die mögliche Auslieferung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers eine schwere Regierungskrise.

Wenn der kroatische Präsident Stipe Mesic demnächst vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aussagt, wird er sich in einer unangenehmen Lage befinden. Auf der Zeugenbank wird er darzulegen versuchen, wie Slobodan Milosevic 1991 seinen Plan eines »Großserbien« ausgearbeitet und dabei ethnische Säuberungen an Kroaten zumindest einkalkuliert hat. In separaten Gesprächen mit der Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte wird er hingegen wohl eher seine Verzweiflung über seine eigene Regierung zum Ausdruck bringen.

Anlass für das widersprüchliche Verhalten Mesics ist die heftige Kontroverse über die künftige Kooperation mit dem Tribunal, die derzeit die politische Diskussion in seinem Land bestimmt. Die Regierung von Premierminister Ivica Racan möchte unter allen Umständen eine Auslieferung des in der vergangenen Woche offiziell angeklagten ehemaligen kroatischen Generalstabschefs Janko Bobetko verzögern oder gar verhindern. Mesic wiederum hält auch in diesem Fall eine Kooperation mit Den Haag für unbedingt notwendig. Jeder Kroate hätte jederzeit die Pflicht, mit dem Tribunal zusammenzuarbeiten, erklärte er vergangene Woche in einer Fernsehansprache.

Ungeachtet solcher Appelle gibt sich die kroatische Regierung jedoch große Mühe, den inzwischen 83jährigen zuckerkranken und an Herzbeschwerden leidenden Ex-Armeechef vor einem Lebensabend in Den Haag zu bewahren. »In der nächsten Woche wird unsere Regierung das Verfassungsgericht bitten, die Anklage gegen Bobetko zu prüfen«, sagte die Pressesprecherin der kroatischen Regierung.

In Zagreb ist man überzeugt, dass die Klage nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist. Bobetko wird beschuldigt, für den Tod von »über 100 serbischen Zivilisten« im September 1993 verantwortlich zu sein, als die kroatische Armee die selbst proklamierte Serbenrepublik in der Krajina angegriffen hatte. Die kroatische Regierung betrachtet die damalige Offensive als eine notwendige Maßnahme zum Schutz der territorialen Integrität des Landes. »Es war eine normale militärische Operation«, erklärte eine Regierungssprecherin. Deswegen könne heute niemand dafür verurteilt werden, »die Souveränität Kroatiens geschützt zu haben«. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Zelijka Antunovic erklärte gar, die Koalition führe nun »einen harten Kampf um die Verteidigung des vaterländischen Krieges und der kroatischen Armee.«

Wenn sich die Regierung nun Hilfe suchend an das Verfassungsgericht wendet, wird dies vermutlich das gute Verhältnis zwischen Kroatien und Den Haag schwer beeinträchtigen. Schließlich ist das Verfassungsgericht an keine Fristen gebunden, eine Entscheidung kann daher auch Jahre dauern. Mögliche Konsequenzen sieht man in Zagreb gelassen. »Die Androhung von Sanktionen ist dabei für uns nicht relevant«, heißt es aus Regierungskreisen.

Racan scheint jedenfalls das eigene politische Überleben wichtiger zu sein als eine weitere Zusammenarbeit mit Den Haag und die damit einhergehende Integration Kroatiens in die Europäische Union. Der Europarat hat das Land bereits vor den Folgen einer Verweigerung der Zusammenarbeit gewarnt: »Ich erwarte eine bedingungslose Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Tribunal«, meinte dazu Walter Schwimmer, Generalsekretär des Europarates.

Auch die Pressesprecherin von Carla Del Ponte, Florence Hartmann, ist über die juristischen Tricks der kroatischen Führung erzürnt. »Keine Regierung kann sich einer Anklage widersetzen. Die kroatische Regierung hat die Pflicht, unseren Haftbefehl gegen Bobetko auszuführen«, sagte sie.

Das weiß zwar auch Racan, doch weder seine eigene Koalition noch die nationalistische Opposition würde eine Auslieferung des Nationalhelden dulden. Schon jetzt ist Bobetkos kleine Wohnung in Zagreb zum Wallfahrtsort zahlreicher Nationalisten geworden. Der ehemalige General gibt Pressekonferenzen, in denen er die Anklage gegen ihn als »Akt der Aggression gegen Kroatien« brandmarkt, mit heldischem Pathos seinen Selbstmord im Falle seiner Auslieferung ankündigt und so ein Melodram inszeniert, in dem sich die Nationalisten wohlfühlen. Aber nicht nur die: Nach einer aktuellen Umfrage sind 84 Prozent der Bevölkerung gegen eine Auslieferung.

Sollte sich die Regierung dennoch für eine weitere Zusammenarbeit mit Den Haag entschließen, dürfte sich ein Schauspiel wiederholen, das seit langem auch in anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens bekannt ist. Die Auslieferung hochrangiger mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach Den Haag führt in der Region regelmäßig zu Regierungskrisen. Was auch daran liegt, dass es dem Tribunal bislang nicht gelungen ist, den Eindruck eines unabhängigen juristischen Gremiums zu erwecken. Del Ponte gilt bei Kroaten, Serben oder bosnischen Muslimen gleichermaßen als politische Gegnerin.

Dabei käme Bobetkos Auslieferung nach Den Haag gerade jetzt eine besondere Bedeutung zu. In dem laufenden Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic wird nun wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien verhandelt. Bobetko könnte als ein Zeuge aussagen, der unmittelbar an den damaligen Ereignissen beteiligt war.

Einen neuen Belastungszeugen gegen Milosevic hat das Tribunal auch dringend nötig. Denn zum einen wird ihm eine direkte Verantwortung nur schwer nachzuweisen sein. Zum anderen zieht der ehemalige Staatschef mit immer neuen Ablenkungsmanövern den Prozess in die Länge. So lieferte er vorvergangene Woche eine eigenwillige Erklärung für das Massaker von Srebrenica vom Juli 1995. Es sei von Frankreich inszeniert und mit Hilfe von Söldnern durchgeführt worden, um die Weltöffentlichkeit gegen die serbische Armee aufzubringen. Auf diese Weise sollte die Stimmung für ein Eingreifen der Nato geschaffen werden, sagte er.

Aber auch mit anderen Mitteln bemüht er sich, es dem Gericht schwer zu machen. Gegen einen der beiden »Freunde des Gerichts«, den serbischen Anwalt Michail Wladimiroff, ließ er von seinem niederländischen Rechtsberater Novi Steijnen eine Beschwerde einreichen. Wladimiroff hatte in einem Interview mit einer niederländischen Zeitung Partei für die Anklage ergriffen, obwohl er das in seiner Rolle als Berater des Gerichts bei Verfahrensfragen gar nicht darf. Sollte er ersetzt werden müssen, würde dies den Prozess abermals verzögern.