Dopingfall Jan Ullrich

Tour de Trance

Allzu viele 28jährige dürfte es in dieser Republik nicht geben, die noch nie Ecstasy zu sich genommen haben. Zumindest nicht allzu viele sympathische. Jan Ullrich, 28, genannt Ulle, war jüngst in diversen Kneipen unterwegs, trank dabei sehr viel, und irgendwann gab ihm jemand zwei kleine Pillen, was für welche, weiß er nicht. Zunächst bewirkten sie bei ihm nichts. Aber am nächsten Tag kamen Dopingkontrolleure zu ihm in die Rehaklinik, wo er sich nach einer Knieoperation aufhielt, und als deren Ergebnis feststand, wusste Ullrich plötzlich, dass die kleinen Pillen nun doch ziemlich viel in seinem Leben verändern. Der Sieger der Tour de France von 1997 ist nun ein Doper.

Doping ist die Anwendung oder Einnahme von Substanzen, die die Sportverbände verboten haben. Das hat mit beabsichtigter Leistungssteigerung oder mit bewusster Einnahme nichts zu tun. Doping ist immer nur das, was die Sportverbände als Doping bezeichnen. Das Team Telekom wie auch Ullrich und seine Ärzte verweisen darauf, dass es sich bei der Einnahme von Amphetaminen in der Rehaphase auf keinen Fall um Leistungssteigerung handelt. Dieses Argument ist in der Sache völlig richtig, nur zeigt sich einmal mehr, dass das Dopingverbot mit der legitimierenden Ideologie vom fairen Sport nicht viel zu tun hat.

Es geht, ohne dass es den Akteuren selbst bewusst ist, um das, was man seit Foucault wissen könnte: um das Recht von Autoritäten, menschliche Körper zu beherrschen, also Menschen jederzeit dazu zu zwingen, zu Kontrollzwecken öffentlich zu urinieren, oder von Menschen zu verlangen, intimste Bereiche ihrer Privatsphäre, die beispielsweise Krankheiten, sexuelle Geheimnisse oder Trinkgewohnheiten betreffen, vor der gesamten Öffentlichkeit auszubreiten.

Jan Ullrich sagt, er wolle die Namen der Freunde, mit denen er um die Häuser zog, nicht nennen, denn das sei seine Privatsphäre. Womit er in der Sache schon wieder Recht hat, und was ihm wieder nichts nützen wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt schon wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, als nächstes soll es noch um das Betäubungsmittelgesetz gehen.

Ullrich gab an, er habe nach seiner Knieverletzung und der durch sie erzwungenen Absage der gesamten Saison »eine kleine Lebenskrise« gehabt. Wenige Wochen zuvor hatte er unter Alkoholeinfluss einen kleinen Autounfall, der ihm den Entzug des Führerscheins und 300 000 Euro Geldstrafe einbrachte. Ullrich hat in den letzten Wochen häufiger gesoffen, und dass er auf Nachfrage beteuerte, er habe »kein alkoholisches Problem«, weist bekanntlich eher darauf, dass er eines hat.

Das ist für alle, die Ullrich mögen, und alle, die den Radsport lieben, ein Alarmzeichen. Doch es ist zum ersten seine persönliche Krise, und zum zweiten: Warum soll die einzige denkbare Antwort ein Berufsverbot (mindestens sechs Monate Sperre für den Profi) und eine möglichst scharfe staatsanwaltschaftliche Ermittlung sein?

Jan Ullrich, in dem von der ARD und der Telekom bis zu Gerhard Schröder und Rudolf Scharping alle ein Vorbild für die deutsche Jugend sehen wollten, verhält sich zu deren Schock plötzlich sehr normal, nämlich so, wie es der hiesigen gesellschaftlichen Normalität entspricht. Eine Chance freilich hätte Ullrich gehabt, sich systemkonform zu verhalten. Als man ihm die Pillen anbot, hätte er bloß fragen müssen: Gibt's da nicht was von Ratiopharm?