Ami, Don’t Go Home!

Ein Rückzug der USA aus der Sfor-Truppe könnte den fragilen Frieden in Bosnien gefährden.

Die Feier war vorbei, noch ehe der Unabhängigkeitstag begonnen hatte. Gegen zehn Uhr abends schon verließen am vergangenen Mittwoch die letzten Gäste die US-amerikanische Botschaft in Sarajevo. Eine Hand voll blauer, roter und weißer Luftballons flatterte noch im Wind, doch über die Zukunft der Bosnien-Mission der Vereinten Nationen (Unmibh) wurde in den letzten Stunden vor dem 4. Juli längst anderswo entschieden.

In New York hatten die 14 anderen Mitglieder des Sicherheitsrates noch Zeit bis Mittwochmitternacht Eastern Time, die USA von ihrem Veto gegen die Verlängerung des Einsatzes abzubringen und so das vorzeitige Ende des Uno-Mandats zu verhindern. Schließlich einigte man sich jedoch darauf, nichts zu entscheiden. Bis zum kommenden Montag soll nun ein Kompromiss zwischen den US-amerikanischen Forderungen nach Immunität für ihre Peacekeeper in Bosnien und anderswo und den europäischen Vorstellungen von weltweit gültigen völkerrechtlichen Standards gefunden werden.

Den Vertretern des alten Kontinents in Sarajevo war die Erleichterung am Morgen des 4. Juli anzumerken. »Ich bin froh, dass wir hier heute noch alle gemeinsam am Tisch sitzen«, begrüßte ein österreichischer Sprecher des Hohen Repräsentanten (OHR) Paddy Ashdown die Gäste der Pressekonferenz der Unmibh, des OHR, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Bosnien-Schutztruppe Sfor.

Ein Lächeln über den zumindest vorübergehenden Erhalt ihres Arbeitsplatzes huschte auch über das Gesicht der neuen Uno-Sprecherin, die die internationalen Medienvertreter auf dem Gelände der einst von der Jugoslawischen Voksarmee (JVA) benutzten Tito-Kaserne im Zentrum von Sarajevo empfing. Ein Ende der vor allem von den US-amerikanischen Truppen durchgesetzten Pax Americana, die seit dem Friedensschluss von Dayton im Jahr 1995 den fragilen Zusammenhalt der drei Kriegsparteien in einem Staat abgesichert hat, wollte sich hier niemand ausmalen.

Schon gar nicht der Mann, der zur Durchsetzung seines Mandats wie kein anderer von einer starken militärischen Präsenz der USA profitiert: Paddy Ashdown. Tags zuvor hatte der höchste zivile Beamte des Landes in einem Leitartikel für die New York Times geschrieben, dass der Streit in New York »keine Angelegenheit« sei, »mit der sich mein Büro befassen muss - mit den Konsequenzen eines Scheiterns aber sehr wohl«. Die gesamte bisherige Bosnien-Strategie der internationalen Gemeinschaft seit Dayton müsste im Falle eines Rückzugs der USA überdacht werden, warnte Ashdown, der nicht nur dem Uno-Generalsekretär, sondern auch dem Außenpolitischen Koordinator der EU, Javier Solana, rechenschaftspflichtig ist.

Doch nicht nur die Vertreter der internationalen Organisationen, auch der bosnische Außenminister Zlatko Lagumdzija bekniete die Regierung in Washington seit dem ersten Auslaufen des Uno-Mandats am 30. Juni geradezu, ihre Haltung noch einmal zu überdenken. »Die USA müssen uns weiterhelfen, damit wir endlich auf eigenen Beinen stehen können«, erklärte sein Sprecher Amer Kapetanovic. Ein Abzug würde »jeglichen Fortschritt in Frage stellen, den wir bislang gemacht haben«.

Wie wenig wert der konzertierte Einsatz der Uno, der OSZE, der EU, der Nato und anderer internationaler Organisationen ohne das Engagement der USA wäre, stellte in der vergangenen Woche in Bosnien die Führung der Sfor unter Beweis. Zwar wies ihr Sprecher Scott Lundy alle Vermutungen zurück, die Razzia in einem der Häuser Radovan Karadzics im zehn Kilometer von Sarajevo entferten Pale sei nur durchgeführt worden, um wachsende Bedenken über eine Bedrohung der Sicherheitslage in Bosnien auszuräumen.

Doch so entschieden wie am amerikanischen Unabhängigkeitstag hatte er in den vergangenen Monaten nie auf die Entschlossenheit der von den USA geführten Schutztruppe hingewiesen, den Kriegspräsidenten der serbisch dominierten Republika Srpska zu verhaften. »Der Ring um Karadzic und sein Unterstützernetzwerk schließt sich«, verkündete Lundy. »Karadzic wird gefangen werden.«

Ohne eine mindestens fünf weitere Jahre andauernde Präsenz der Sfor, darüber herrscht in Bosnien Konsens, lässt sich das Land nicht stabilisieren; sei es zur Abschreckung nationalistischer Kräfte, die vor den Wahlen Anfang Oktober in den Umfragen wieder an Zulauf gewinnen, oder zur Einschüchterung islamistischer Aktivisten, die während des Krieges angeworben wurden oder nach dem Friedensschluss von 1995 nach Bosnien kamen.

Von Zweifeln am anhaltenden Engagement der USA in Bosnien geprägt waren allerdings die Aussagen Ashdowns, der zwar betonte, dass der Streit zwischen den Europäern und den USA »keinen rechtsfreien Raum« hinterlassen dürfe. Doch der Hinweis, die EU werde »keine Lücke« entstehen lassen, wäre wenig wert, wäre da nicht noch der US-Botschafter in Bosnien, Clifford Bond, der dem Hohen Repräsentanten ausdrücklich seine Unterstützung zusagte. Man denke gar nicht daran, die 3 100 GI aus der insgesamt 18 000 Mann starken Sfor-Truppe abzuziehen.

Möglicherweise bahnt sich jedoch tatsächlich ein Strategiewechsel im State Department an und Washington überlässt den Balkan den Europäern als Hinterhof, eines Tages vielleicht auch militärisch. Denn die Zusicherung Bonds gilt nur bis Jahresende. Bis dahin soll die Gesamtstärke der Truppe auf 12 000 Mann geschrumpft sein, auch das Pentagon will ein Drittel seiner Einheiten bis dahin abziehen. Um den Kern der Uno-Mission, die zurzeit 1 535 Beamte umfassende internationale Polizeitruppe IPTF, geht es bei dem Streit mit den Europäern nur indirekt. In der Polizeitruppe arbeiten nur 46 US-Amerikaner.

Schon seit dem Frühjahr war klar, dass die Ausbildung und die Überwachung der bosnischen Polizei mit dem Ende des Uno-Mandats zu Beginn des nächsten Jahres von der EU übernommen würden. Allerdings in erheblich eingeschränktem Umfang. Nur noch knapp 500 Beamte werden dann Dienst tun. Angesichts der Tatsache, dass zurzeit wöchentlich zwei bis drei bosnische Polizisten wegen Behinderung der Rückkehr von Flüchtlingen, der Fälschung von Dokumenten oder verheimlichter krimineller Tätigkeiten während des Krieges entlassen werden, ist das keine beruhigende Aussicht.

Am 4. Juli jedoch, dem Tag des New Yorker Beschlusses, sind die Sperren auf der Straße vor der US-Botschaft wieder abgeräumt. Im Park gegenüber spielen ein paar Jugendliche Fußball. »Bye-bye, Uno«, ruft der kräftig gebaute Torwart. Traurig wäre er über den Abzug der Internationalen nicht. »Es ist immer gut, wenn Leute kommen. Aber auch, wenn sie gehen. Dann gibt es umso mehr Feste.«

Am Abend stand jedenfalls schon die nächste Party an. Im Sfor-Hauptquartier am Rande Sarajevos wollten die US-amerikanischen Einheiten den Unabhängigkeitstag mit einem Feuerwerk feiern. Die Nachbarn der Kaserne in Butmir hatte der Sfor-Sprecher Lundy schon tags zuvor gebeten, »nicht zu erschrecken über das, was Sie am Donnerstagabend im Tal von Sarajevo sehen und hören werden«. Die Warnung kam direkt nach der Bekanntgabe der Hausdurchsuchung bei Karadzic.