Enthüllungen über angeblich geplante Attentate der al-Qaida

Dirty Bombs in Washington

Mit spektakulären Enthüllungen über angeblich geplante al-Qaida-Attentate in den USA hält die Bush-Regierung die Öffentlichkeit in Atem.

Coleen Rowley ist tot, es lebe José Padilla! Die FBI-Agentin hatte mit schweren Vorwürfen gegen ihre Vorgesetzten gute Chancen, eine ganze Weile auf der politischen Bühne der USA mitzumischen, bis Attorney General John Ashcroft mit einer Wortmeldung aus Moskau die Luft aus der Debatte ließ: Al-Qaida ist unter uns! Ein amerikanischer Staatsbürger plante die radioaktive Verseuchung von Washington D.C. Nur durch die vereinten Kräfte von FBI und CIA konnte der teuflische Plan vereitelt werden.

Wer erwartet hatte, dass die fleißigen Schlapphüte einen Attentäter mit einem Atomsprengkopf im Kofferraum festgenommen hatten, wurde enttäuscht. Der von Ashcroft spektakulär in Szene gesetzte »Nuklear-Bomber« Abdullah al-Mujahir, alias José Padilla, sei, so hieß es aus dem Justizministerium, vor einem Monat bei der Einreise in die USA verhaftet worden. Seine Mission: Geeignete Orte für die Zündung einer »Dirty Bomb« - ein konventioneller Sprengsatz, dem radioaktives Material beigemischt wird - ausfindig zu machen.

Beweise für diese These gibt es keine, abgesehen von Aussagen des von den US-Geheimdiensten als Vertrauter Ussama bin Ladens bezeichneten Gefangenen Abu Zubaydah. Der Anschlag habe sich noch in einer »sehr frühen Planungsphase« befunden, heißt es im Justizministerium. Dementsprechend wurde Padilla, obwohl er US-amerikanischer Staatsbürger ist, als »feindlicher Kombattant« eingestuft; er befindet sich nun im Gewahrsam eines Militärgerichtes. Seine Anwältin darf er nicht sehen, das Militär darf ihn auf unbegrenzte Zeit festhalten, ohne Anklage zu erheben.

Dem im vergangenen Jahr verabschiedeten USA Patriot Act zufolge, der Militärgerichtshöfe als zuständig für mutmaßliche Terroristen vorsieht, haben US-amerikanische Staatsbürger grundsätzlich das Recht auf einen Prozess vor Zivilgerichten; die Militärgerichtshöfe sind ausländischen Terroristen vorbehalten. Das Justizministerium stützt sich aber auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofes von 1942, in dem einem US-amerikanischen Nazi-Kollaborateur der Status eines feindlichen Kombattanten zugesprochen wurde. Auffällig ist zudem, dass dem von US-Soldaten in Afghanistan festgenommenen »amerikanischen Taliban« vor einem ordentlichen Gericht der Prozess gemacht wird, Padilla aber als feindlicher Kombattant vor ein Militärgericht gestellt werden soll, wo man es mit der Stichhaltigkeit von Beweisen nicht so genau nimmt.

Kaum war so etwas wie eine Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der Militärhaft für José Padilla in Gang gekommen - der bereits vor einem Monat festgenommen worden war -, schaffte es die Bush-Administration erneut mit einer veralteten, aber spektakulären Meldung in die Schlagzeilen. Im Januar 2002 habe Präsident Bush die CIA ermächtigt, Saddam Hussein festzunehmen und notfalls zu ermorden. Ein anonymes Mitglied der CIA hatte einem Reporter der Washington Post eine entsprechende Mitteilung gemacht.

Das Ergebnis: Der Untersuchungsausschuss des Senats zum Versagen der Geheimdienste ist fürs Erste von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden. Man befasst sich wieder mit Themen, die der Regierung besser ins Konzept passen: Erfolge im »Krieg gegen den Terror« und die Angst vor weiteren Anschlägen in den USA. Das Weiße Haus scheint mit seiner Informationspolitik die öffentliche Debatte einigermaßen unter Kontrolle gebracht zu haben.

Ganz aus der Kritik ist die Regierung damit allerdings noch nicht. In der vergangenen Woche kursierte im US-Kongress ein Papier mit dem Titel »Angriffsplan für die Niederlande«. Verfasst hatte es nicht irgendein Think Tank im Pentagon, sondern ein niederländischer Diplomat in Washington, aus Protest gegen die bevorstehende Verabschiedung des »American Servicemembers' Protection Act« (Gesetz zum Schutz amerikanischer Soldaten). Das Gesetz verbietet es dem Präsidenten der USA, mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten, und ermächtigt ihn, im Ausland vor Gericht stehende US-Bürger nötigenfalls auch mit Waffengewalt zu befreien. Der Senat hat am vergangenen Donnerstag eine Version des Gesetzesentwurfes mit 75 von 100 Stimmen verabschiedet, das Repräsentantenhaus eine etwas andere Version. Ein Vermittlungsausschuss soll nun eine Kompromisslösung erarbeiten, die in beiden Häusern zustimmungsfähig ist.

Das Kooperationsverbot in dem Gesetz wird in Kongresskreisen mehr oder weniger als Wahlkampfrhetorik angesehen - eine Geste an den isolationistischen rechten Flügel der Republikanischen Partei. Auf Betreiben von Senatoren der Demokraten wurden zahlreiche Ausnahmeklauseln in den Text aufgenommen, die dem Präsidenten in vielen Fällen - genannt werden Namen wie Slobodan Milosevic und Saddam Hussein - eine Zusammenarbeit dennoch ermöglichen. Prozesse, die den Interessen der US-Regierung dienen, können also unterstützt werden.

Das neue Gesetz scheint gerade rechtzeitig zu kommen. Augenzeugenberichten zufolge sollen sich im vergangenen November US-amerikanische Soldaten an Folterungen und Massenerschießungen von Kriegsgefangenen beteiligt haben. Der irische Dokumentarfilmer Jamie Doran hat im Norden Afghanistans ein Massengrab entdeckt, in dem 3 000 Kämpfer der Taliban-Milizen liegen sollen. Die Augenzeugen sind fünf ehemalige Gefolgsleute des Generals und Vize-Verteidigungsministers der Interimsregierung Rashid Dostum, einem Kriegsherren der Nordallianz. Von den etwa 8 000 Gefangenen, die die damals noch von den USA unterstützten Truppen Dostums bei der Eroberung der Stadt Kundus machten, wurden 500 mutmaßliche Mitglieder al-Qaidas direkt aussortiert und ins Internierungslager in Guantánamo gebracht. Von den übrigen sei die Hälfte in der Wüste erschossen und verscharrt worden, im Beisein von »30 bis 40 amerikanischen Soldaten«, wie es in dem Augenzeugenbericht heißt.

»Ich war Zeuge, als ein amerikanischer Soldat einem Gefangenen das Genick brach und andere mit Säure überschüttete. Die Amerikaner taten, was sie wollten. Wir hatten keine Möglichkeit, sie aufzuhalten.« In dem Film wird nahe gelegt, dass ein Kommandant der US-Soldaten die Erschießungen anordnete. Ein Augenzeuge gibt zu, selbst an den Erschießungen teilgenommen zu haben. Ein weiterer, ein Offizier in der Armee Dostums, hält sich derzeit versteckt, da er Morddrohungen erhalten hat.

Der Film wurde in der vergangenen Woche im Europäischen Parlament gezeigt, auf Betreiben der Europäischen Vereinigten Linken, die eine offizielle Untersuchung der Vorgänge durch die Uno und das Internationale Rote Kreuz forderte - möglichst bald, damit niemand die Beweise vernichten könne. Sprecher des Pentagons dementierten die Berichte und stellten sie als »unfundiert« dar. Militärinterne Untersuchungen hätten keine Hinweise auf die Beteiligung US-amerikanischer Soldaten an dem Massaker erbracht. »Wir haben diese Anschuldigungen untersucht, und wir haben nichts gefunden, was die Eröffnung einer formellen Untersuchung erfordern würde«, meinte Brad Lowell, ein Sprecher des Zentralkommandos der US-Streitkräfte in Florida. Ein Sprecher des Pentagons fügte hinzu, dass sich das Dementi nicht auf eventuell von den Warlords begangene Massaker erstrecke, womit die offizielle Verteidigungslinie abgesteckt wäre. Der exakte Nachweis dürfte schwierig werden.

Die kurzzeitig angeschlagen wirkende Regierung Bush ist wieder auf Kurs. Mit der Informationspolitik ist es ihr gelungen, die Aufmerksamkeit von der aus ermittlungstechnischen Erwägungen sinnlosen Beschneidung elementarer Freiheitsrechte abzulenken und die Öffentlichkeit mit Meldungen über Großtaten im Kampf gegen den Terror in Atem zu halten. Die Frage ist nun, ob eine Opposition willens und fähig ist, zumindest eines der brisanten Themen, wie die zahlreichen Lügen über die Warnungen vor dem 11. September, die Ermittlungsfehler beim FBI, den menschenrechtswidrigen Umgang mit realen oder mutmaßlichen Terroristen, den Enron-Skandal oder auch das Massaker in Nordafghanistan so lange im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten, dass der immer noch gute Ruf des Präsidenten bleibende Schäden nimmt. Inhaltlich würde wohl jedes dieser Themen für eine Demontage der Regierung ausreichen - in Friedenszeiten.