Jürgen Möllemann und die FDP

Guter Bulle, böser Bulle

Guido Westerwelle mimt den liberalen Parteivorsitzenden, Jürgen Möllemann den Mann fürs Grobe. Und die Wähler können sich aussuchen, warum sie die FDP gut finden.

Eigentlich wurde über Jürgen W. Möllemann schon lange alles gesagt von Leuten, die es wissen müssen. Er sei ein »intrigantes Schwein«, stellte seine Parteifreundin Irmgard Schwätzer 1992 fest, nachdem er verhindert hatte, dass sie Außenministerin wurde. »Quartalsirrer« dagegen wurde Möllemann von Hermann Otto Solms genannt, und auch der ist ein Parteikollege.

Angesichts seiner jüngsten Angriffe ist tatsächlich schwer zu sagen, was bei Möllemann einer Persönlichkeitsstörung, seiner Egomanie und Selbstüberschätzung geschuldet, was seinem antisemitischen Wahn entsprungen und was inszeniert worden ist. Als er sich in der vergangenen Woche im Düsseldorfer Landtag dafür entschuldigte, dass er eventuell »die Empfindungen jüdischer Menschen« verletzt haben könnte, sah es für einen Moment so aus, als könne die Affäre Möllemann doch noch beendet werden. Aber eben nur für einen Moment.

Denn schon draußen vor dem Plenarsaal teilte Möllemann vor laufenden Fernsehkameras wieder aus und nahm den von ihm zuvor besonders verunglimpften Michel Friedman ausdrücklich von seiner Entschuldigung aus. Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland sei »ein aggressiver und arroganter Typ« mit »unerträglichem Habitus« und habe mithin eine Entschuldigung nicht verdient.

Der Oberquerulant Möllemann griff auch gleich noch die altgedienten FDP-Mitglieder und Vorzeigeliberalen Hildegard Hamm-Brücher und Gerhart Baum an, die ihn zuvor kritisiert hatten. Wenn »diese Querulanten« drohten, die Partei seinetwegen zu verlassen, »dann sollen sie gehen. Gute Reise, kann ich nur sagen.« Ansonsten empfahl er den beiden, »in den Ruhestand« zu gehen, denn »wenn die noch mal das Sagen bekämen, würde ich meine Mitarbeit in der FDP schlagartig beenden«.

Vielleicht hat Möllemann sich damit tatsächlich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Selbst alte Mitstreiter, wie etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Düsseldorfer Landtag, Stefan Grüll, gehen inzwischen auf Distanz: »Möllemanns Kritik an den Altliberalen war vollkommen überflüssig, auch seine Sturheit gegenüber Friedman kann ich nur schwer nachvollziehen.« Der Vorsitzende der baden-württembergischen FDP, Walter Döring, brachte erstmals einen Rücktritt Möllemanns als stellvertretender Bundesvorsitzender ins Gespräch, indem er süffisant bemerkte, er werde ihn nicht fordern.

Die Rolle des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle bleibt dagegen weiterhin unklar. Zu mehr als einer windelweichen Presseerklärung, die dazu aufruft, die Debatte zu beenden, konnte sich der »Kanzlerkandidat« nach dem neuerlichen Eklat nicht durchringen, obwohl er durch Möllemanns Angriffe als FDP-Vorsitzender vorgeführt und demontiert wird. Es sieht so aus, als ob der Intrigant Westerwelle, der sich einstmals nur mit einem Verrat an seinem Vorgänger Wolfgang Gerhardt an die Spitze der FDP putschen konnte, seinem Pendant Möllemann nicht gewachsen ist.

Andererseits drängt sich noch ein ganz anderer Verdacht auf. Dass das Duo Möllemann und Westerwelle geschickt nach dem altbewährten Rezept vom guten und vom bösen Bullen zusammenarbeitet. Der eine mimt den besonnenen Liberalen, der andere den rechten Stichwortgeber, und jeder Wähler kann sich aussuchen, warum er der FDP seine Stimme gibt, Hauptsache er tut's.

Für diese Vermutung spricht einiges, sie passt auch zur Wahlkampfstrategie, mit der die FDP seit Monaten von sich reden macht, zum Projekt 18. Bei den Bundestagswahlen am 22. September will sie nicht weniger als 18 Prozent holen. Dieses Ergebnis entspräche nach verschiedenen Umfragen ziemlich genau dem Anteil der Bundesbürger, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben.

Zwar ist die FDP keine rechtsextreme Partei, zumindest noch nicht. Um aber 18 Prozent zu erreichen, reicht es nicht, mit dem Guidomobil durch die Lande zu reisen, auf gute Laune zu machen und dreimal wöchentlich mit dem Fallschirm abzuspringen. Auch in der Spaßgesellschaft ist damit allein kaum etwas zu erreichen.

In mehreren europäischen Ländern aber wurde bereits vorgemacht, wie man aus dem Nichts das überkommene Parteiensystem knacken und binnen weniger Monate zum dritt- wenn nicht sogar zweitgrößten Machtfaktor aufsteigen kann: mit rassistischen und autoritären Parolen. Die Volkspartei in Dänemark, die norwegische Fortschrittspartei, Jörg Haiders FPÖ, Jean-Marie Le Pens Front National und zuletzt die Liste Pim Fortuyn in den Niederlanden haben auf diese Art beachtliche Erfolge erzielt. In Scharen strömten ihnen die Wähler der etablierten Parteien zu, vor allem aus dem sozialdemokratischen Milieu, von den von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau besonders betroffenen Arbeitern, die von ihren in die rechte neue Mitte abgewanderten Parteiführern nichts mehr zu erwarten haben.

Sowohl Möllemann als auch Westerwelle haben in Interviews wiederholt betont, dass sie genau jene »Protestwähler« für sich gewinnen wollen, die sonst die DVU wählen. Warum also sollten Möllemanns antisemitische Attacken nicht eingesetzt worden sein, um Ressentiments zu schüren und Wähler zu locken? An der eigenen Parteibasis scheinen sie jedenfalls auf Resonanz zu stoßen. Der Ulmer FDP-Kreisvorsitzende Stefan Havlik hat auf der Homepage seines Kreisverbandes bereits gefordert: »Deutschlands Politiker sollten mutig dafür eintreten, Israel zunächst konsequent in die Grenzen von 1947 zurückzuweisen« - zunächst wohlgemerkt. Nach Angaben des Magazins stern soll Havlik auf dem Jahreskongress des Studienzentrums Weikersheim, dem Think Tank für extrem rechte Theoriebildung, aufgetreten sein, um dort die Ansicht zu vertreten, dass es auch noch »ein Deutschland jenseits von Oder und Neiße« gebe.

Ist die FDP also mit einem rechtspopulistischen Programm auf dem Weg zurück zur Macht? Sollte das tatsächlich die Strategie hinter dem Auftreten Möllemanns und anderer FDP-Mitglieder in den vergangenen Wochen gewesen sein, so ist es höchst zweifelhaft, ob sie zum Erfolg führen wird. Denn im Gegensatz zu den Vorbildern im benachbarten Ausland war die FDP immer ein Teil des etablierten Parteiensystems in Deutschland und war so lange an der Regierung beteiligt wie keine andere Partei. Dass sie sich jetzt plötzlich als Kraft der Erneuerung präsentiert, ist alles andere als glaubwürdig.

Das Wahlprogramm ist zudem eine Ansammlung neoliberaler Grundsätze und widerspricht den Interessen der potenziellen Protestwähler diametral. Diejenigen, die sich wiederum vom Wirtschaftsprogramm der FDP angesprochen fühlen, also die Entstaatlichungsprofiteure vom Freiberufler über den mittelständischen Unternehmer bis zum Großkapitalisten, dürften vom offenen Antisemitismus Möllemanns dagegen unangenehm berührt sein. Nicht unbedingt deshalb, weil er ihnen selbst fremd ist, sondern weil die Affäre »dem Ansehen Deutschlands im Ausland schadet«, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder feststellte. Und damit den Geschäften.

Apropos Geschäfte: Vielleicht wird Jürgen W. Möllemann ja doch von etwas ganz anderem zu seinen antiisraelischen Ausfällen getrieben. Er ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG), ein guter Bekannter von Yassir Arafat und macht seit Jahren gute Deals im Nahen Osten. Seine Beratungsfirma Web/Tec vermittelt seit 1994 zwischen deutschen und arabischen Unternehmen. Auch wenn Möllemann stets betont, dass er mit Waffengeschäften nichts zu tun habe, so lässt zumindest die Auswahl seines Personals an dieser Darstellung zweifeln.

Klaus Geerdts, den er 1994 als Prokuristen engagierte, war zuvor Militärattaché an der deutschen Botschaft in Saudi-Arabien und in dieser Funktion eine Schlüsselfigur, als es um die Lieferung von Fuchs-Spürpanzern nach Riad ging. Dieser Handel wurde nach langem Hin und Her just in der Zeit abgewickelt, als Möllemann 1991 Wirtschaftsminister geworden war. Genaueres über die Geschäfte von Web/Tec ist nicht bekannt. Schließlich, so betont Möllemann, sei sein oberstes Prinzip »absolute Verschwiegenheit«. Diesem Prinzip folgt er leider nur im Geschäftlichen.