PLO-Flagge bei Duisenbergs

Palituch am Dekolleté

Die Zeiten, in denen es allein die Sache der Linken war, zum Boykott israelischer Waren aufzurufen, Häuser mit palästinensischen Fahnen zu dekorieren oder das Ressentiment als »Antizionismus« notdürftig zu tarnen, sind vorbei. Die Solidarität mit dem palästinensischen Volk erfreut sich, das zeigt die Affäre um den Fassadenschmuck der Familie Duisenberg, deren männlicher Teil Wim als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) einer der wichtigsten politischen Funktionsträger in Europa ist, auch bei den herrschenden Eliten in Westeuropa einer wachsenden Beliebtheit.

Was ist passiert? Seit Mitte April hing eine palästinensische Fahne am Haus der Duisenbergs in Amsterdam. »Ich habe mit dieser Flagge in Amsterdam für die PLO demonstriert und sie nach der Demonstration an unserem Balkon aufgehängt«, erklärte Gretta Duisenberg Ende April der Tageszeitung De Volkskrant. Zur Erinnerung: Bei der Demonstration, an der sich die Gattin des EZB-Präsidenten beteiligte, handelte es sich um einen jener Aufmärsche zum »Tag des Bodens«, um eine der größten antisemitischen Manifestationen in Europa nach 1945.

Nach einigen Wochen wandten sich die jüdischen Nachbarn Ron und Rosa van der Wieken an die Duisenbergs und baten sie, die Fahne einzuholen. »Diese Fahne symbolisiert ein blut-rünstiges Regime«, das es auf ihre in Israel lebenden Kinder abgesehen habe, hieß es in ihrem Brief. In einem anschließenden Telefonat soll dann Gretta Duisenberg gesagt haben, dass »reiche Juden mitverantwortlich für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes« seien.

Daraufhin veröffentlichten die van der Wiekens den Fall. »Wir sind Juden«, zitiert sie die Tageszeitung NRC Handelsblad, »die Duisenbergs können sich denken, dass wir das unangenehm finden. Das war auch gegen uns gerichtet.« Der Vorsitzende des Verbandes der Juden in den Niederlanden, Herman Loonstein, erstattete Strafanzeige gegen Gretta Duisenberg wegen Antisemitismus und Aufruf zum Hass. Nach Angaben des Handelsblattes bat er zudem den World Jewish Congress darum, sich dafür einzusetzen, dass Wim Duisenberg in den USA zur unerwünschten Person erklärt werde.

Eine belanglose Nachbarschaftsposse? Ein bedauerliches Missverständnis? Wurde die Gattin des EZB-Präsidenten nur falsch zitiert? All dies hätte man Gretta Duisenbergs Reaktion einwenden können. Ihr offener Brief aber beseitigt alle Zweifel: »Das meine ich mit reicher jüdischer Lobby«, antwortete sie auf die Kritik. »Ich habe nicht gesagt, dass reiche Juden, sondern die reiche jüdische Lobby in Amerika die Unterdrückung der Palästinenser aufrecht erhält. Alle Präsidenten, die gewählt und wieder gewählt werden wollen, müssen tun, was diese Lobby will.« Wer daran Anstoß nehme, müsse sich »etwas Sinnvolleres einfallen lassen als den kindischen Vorwurf, dass ich mich des Antisemitismus schuldig gemacht habe«.

Unverfroren, gewiss, aber typisch für den modernen Antisemitismus. Während nach der Vernichtung der europäischen Juden Israel deren Stelle eingenommen hat, kann sich nach Auschwitz kaum jemand offen zum Judenhass bekennen. Folglich muss der Antisemit heute den Antisemitismus ablehnen und zugleich - und das ist der Clou - die Definitionsmacht darüber beanspruchen, was antisemitisch ist. Nach exakt diesem Muster handelt auch ein Martin Walser oder ein Jürgen Möllemann.

Während die EZB und Wim Duisenberg die Affäre zu einer Privatangelegenheit erklärten und Gretta Duisenberg die Flagge inzwischen eingeholt hat, erhielt sie in der vorigen Woche eine Morddrohung. Das wird sie bestätigen. Denn in einem unterscheidet sich der moderne Antisemitismus nicht von seinen früheren Erscheinungsformen: Die Antisemiten sind die Verfolgten, nicht die Verfolger.