Diskussion um Gewaltspiele

Ego-Shooter mit Auftrag

Nicht alle wollen nach dem Amoklauf von Erfurt Ballerspiele indizieren. Die US-Armee fördert sogar den virtuellen Krieg.

Level 1. Ihr Auftrag: Befreien Sie das Zielobjekt von Feinden. Vermeiden Sie zivile Opfer.« Die Parallelen zwischen der Inszenierung des Amoklaufs von Robert Steinhäuser und bestimmten Computerspielen, den »First-Person«- bzw. »Ego-Shootern«, sind kaum zu übersehen. Strategien, Szenarien und Requisiten sind jedem bekannt, der sich in diesem Subgenre der Ballerspiele auskennt: die schwarze Sturmhaube, die Pumpgun, eine virtuelle Lieblingswaffe vieler Computer-Spieler, und das systematische Durchkämmen der einzelnen Flure und Zimmer nach Gegnern, oder besser: Opfern.

Auch wenn sich Robert Steinhäuser bei seinem Amoklauf an der Ästhetik und Choreografie der Ego-Shooter orientierte, heißt das noch lange nicht, dass im Gebrauch dieser Spiele die Ursache oder auch nur der Auslöser seiner Taten zu suchen ist. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung von Gewaltspielen führten zu teils widersprüchlichen Ergebnissen. Doch in einem sind sich alle Theorien einig. Selbst wenn Computerspiele einen Einfluss auf reale Gewalttaten haben, sind sie ganz sicher nicht alleine für diese verantwortlich.

Für Politiker im Wahlkampf, die genauso hilflos wie alle anderen die Nachrichten aus Erfurt vernahmen, ist die Forderung nach einem Verbot dieser Spiele jedoch das einfachste Mittel, Handlungsfähigkeit zu suggerieren und schnelle Lösungen anzubieten. Prompt reagierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und leitete ein Indizierungsverfahren gegen »Counterstrike«, das beliebteste der First-Person-Shooter, ein. Erstaunlich war allerdings, dass das Gremium der Bundesprüfstelle trotz des immensen politischen Drucks »Counterstrike« nicht indizierte. Zufrieden mit dem Urteil der Bundesprüfstelle waren viele deutsche Politiker deswegen nicht. »Ein absolut verkehrtes Signal«, kritisierten Bundeskanzler Schröder und Bayerns Innenminister Günther Beckstein die Entscheidung.

»Counterstrike«-Spieler versuchen hingegen immer wieder, deutlich zu machen, dass es bei dem Spiel nicht primär ums Töten, sondern um militärische Strategie und Taktik, Reaktionsgeschwindigkeit und das Teamwork der Spieler geht. Wer lediglich dumpf durch die Gegend ballert, hat keine Chancen. Stattdessen müssen durch geschickte Positionierung und Teamarbeit bestimmte Aufgaben erfüllt werden: Geiseln müssen befreit und wichtige Personen sicher durch ein Kampfgebiet geleitet werden. Das Erschießen von Geiseln ist bei den meisten Spielern verpönt. Geschossen wird nur auf den offiziellen Gegner. Ein ganz normaler, sauberer Krieg eben.

Ist »Counterstrike« wirklich eine Simulation eines sauberen Krieges? Zumindest die US-Armee scheint dieser Einschätzung zuzustimmen und ist weit davon entfernt, »First-Person-Shooter« zu verteufeln. Im Gegenteil. Die US-Armee hat jüngst auf einer amerikanischen Spielemesse, der Electronic Entertainment Exposition, mit großem Promotionaufwand eigene Computerspiele vorgestellt. Unter anderem den äußerst realistischen First-Person-Shooter »Operations«, bei dem sich ähnlich wie bei »Counterstrike« bis zu 32 Spieler im Mehrspieler-Modus in zwei Teams bekämpfen. Auf möglichst realistische Waffentechnik und militärische Szenarien wurde nach Angaben der Spieleentwickler besonders Wert gelegt.

Um den erwarteten Andrang der Spieler zu bewältigen, stellte das Militär 140 Server zur Verfügung. Administratoren sollten dafür sorgen, dass rüpelhaftes Verhalten und Mogeleien unterbleiben. In einem Punkt unterscheidet sich »Operations« allerdings von »Counterstrike«. Die Spieler können hier ausschließlich in die Rolle eines US-amerikanischen Soldaten schlüpfen, während die Figuren des gegnerischen Teams grundsätzlich als Terroristen dargestellt werden. Ab August wird »Operations«, zusammen mit einem weiteren Spiel - einem Rollenspiel, in dem die Karriere eines Soldaten der US-Armee simuliert wird -, in den Rekrutierungszentren der US-Armee, als Beilage in Computerspielmagazinen und über das Internet kostenlos verteilt. Da das freie Kopieren der Spiele ausdrücklich erlaubt ist, wird einer weiten Verbreitung nichts im Wege stehen.

Warum sich die US-Armee als Spieleentwickler betätigt, macht schon der Name der Webseite, www.goarmy.com, deutlich, auf der für die Spiele geworben wird. Neue Wege in der Rekrutierung des militärischen Nachwuchses sollen beschritten werden. Die Idee ist simpel. Junge Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit Computerspielen freiwillig die für eine Karriere in der Armee erforderlichen Skills aneignen, sollen frühzeitig mit der Idee einer Soldatenlaufbahn vertraut gemacht werden. Gleichzeitig wird die Faszination für Gewalt und Waffen, die von den Shootern ausgeht, in die richtigen, das heißt staatlich legitimierten, Bahnen gelenkt.

Nicht nur das US-Militär ist an einer möglichst weiten Verbreitung von Ballerspielen interessiert. »Get into shooting cyber style«, riet beispielsweise die National Rifle Association (NRA), eine Organisation der amerikanischen Waffenlobby, auf dem Titelblatt ihres Jugendmagazins InSights. Für die entsprechenden Spiele sorgt unter anderem die amerikanische Waffenindustrie. Das Spiel »Colt's Wild West Shootout« des berühmten Waffenproduzenten Colt zeigt deutlich, für welche Ideologie dabei geworben wird: »Du bist das Gesetz, und du hast die Feuerkraft, um es durchzusetzen!« Große Beliebtheit erlangte vor allem der Ego-Shooter »Soldier of Fortune«, hergestellt unter der Lizenz des gleichnamigen im Stil eines schlechten B-Movies aufgemachten Waffen- und Söldnermagazins, das eng mit der NRA verbunden ist. Anders als beim Spiel der US-Armee wird bei »Soldiers of Fortune«, zumindest in der amerikanischen Originalversion, nicht auf die Darstellung expliziter Gewalt verzichtet. Bei der Jagd auf Terroristen in den Krisengebieten der Welt können die Spieler, sofern sie es wollen, ihre sadistischen Neigungen voll ausleben.

Gegen den Versuch des Militärs, Computerspiele für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, begehren viele User auf; die von den Spieleproduzenten programmierten virtuellen Welten sind oft Gegenstand gezielter Manipulationen der Spieler. Im Internet kann beispielsweise das Aussehen der Figuren verändert werden. Beliebt ist es auch, kleine Grafiken an den Wänden virtueller Kampfgebiete zu installieren. »Graphische Interventionen« nennt eine Gruppe amerikanischer »Counterstrike«-Spieler namens »Velvet Strike« ihr virtuelles Graffiti. Als Protest gegen den weltweiten Anti-Terror-Krieg der USA und ihrer Verbündeten bieten sie dazu militärkritische Slogans und Bilder auf ihren Websites an. Mehr als ein bisschen symbolische Subversion ist das allerdings nicht. Die binäre Spiellogik vom Töten oder Getötetwerden lässt sich damit nicht knacken.