EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid

Balgen um den Hinterhof

Auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid ging es darum, gegen die Konkurrenz aus den USA zu punkten.

Vicente Fox darf wieder reisen. Von Brüssel über Strasbourg führte der Weg des mexikanischen Präsidenten am vergangenen Wochenende nach Madrid. Dort nahm er, zusammen mit 47 anderen Staats- und Regierungschefs oder deren Vertretern, am zweiten Gipfel der Europäischen Union und der Staaten Lateinamerikas und der Karibik teil. Zu Hause ist die Reiselust des Vicente Fox nicht immer gern gesehen. Er vertrete nicht die Interessen Mexikos, befand das mehrheitlich von der Opposition besetzte Bundesparlament und verweigerte ihm im März die Zustimmung für seine geplante Reise in die USA und nach Kanada.

Nicht nur im mexikanischen Parlament ruft sein Schmusekurs gegenüber Washington Skepsis hervor. Weniger kritisch beäugt wird hingegen die Annäherung an den inzwischen größten Investor in Lateinamerika, die EU. »Die Beziehungen zwischen Mexiko und Europa werden von Tag zu Tag ausgebaut«, sagte Fox am Mittwoch vergangener Woche vor dem Europaparlament in Strasbourg.

Sein Land und die EU verbindet seit 2000 ein Freihandelsabkommen, um das es auf dem Madrider Gipfel hauptsächlich ging. Die EU drängt stärker auf die lateinamerikanischen Märkte, ein heftiger transatlantischer Konkurrenzkampf ist entfacht.

Für die USA hatte bereits 1990 George Bush Senior die Route vorgegeben: Von Alaska bis Feuerland gelte es, eine gesamtamerikanische Freihandelszone (Free Trade of the Americas, FTAA) zu schaffen. Auf einem Gipfel Anfang 2001 im kanadischen Quebec kamen die nord- und südamerikanischen Staaten schließlich überein, bis zum Jahr 2005 ein kontinentales Wirtschaftsabkommen abzuschließen.

Vor allem diese gesamtamerikanische Perspektive rief die EU auf den Plan. So wurde im Juni 1999 auf dem ersten EU-Lateinamerika-Gipfel in Rio de Janeiro der Beginn einer »globalen, strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Lateinamerika« angekündigt. »Ziel ist es, dass eine vollständige geographische Abdeckung der Beziehungen mit dem Kontinent sichergestellt wird, unter anderem, um nicht hinter den Entwicklungen zurückzubleiben, die von den USA vorangetrieben werden«, erklärte der konservative spanische Abgeordnete José Salafranca im Oktober 2001 im Europaparlament.

Das Hauptaugenmerk der EU richtet sich dabei auf den Mercosur, in dem sich Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay zusammengeschlossen haben. Die vier Mercosur-Staaten bestreiten 54 Prozent der Wirtschaftsleistung Lateinamerikas und vereinigen 230 Millionen Verbraucher. Lange Zeit kam dieser »Markt des Südens« über ein reines Zollabkommen nicht hinaus.

Spätestens nach dem wirtschaftlichen Kollaps Argentiniens im vergangenen Jahr aber hofft man insbesondere im Nachbarland Brasilien auf eine Belebung des Mercosur. Präsident Fernando Cardoso, ohnehin kein überzeugter Anhänger der gesamtamerikanischen FTAA, setzt seitdem auf Partner jenseits des Atlantiks. Schon heute sind die EU-Staaten die wichtigsten Handelspartner des Mercosur, insgesamt konnten sie ihre Exporte nach Lateinamerika zwischen 1990 und 2000 auf 54, 5 Milliarden Euro verdreifachen, die Importe verdoppelten sich in derselben Zeit auf 48,8 Milliarden Euro.

»Wir müssen mit dem Abkommen zwischen der EU und Mercosur zu Potte kommen«, sagte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in Madrid. Er wolle verhindern, dass »wegen einer allzu orthodoxen Position im Agrarbereich Märkte in Lateinamerika im Bereich der Industrieproduktion und der Dienstleistungen« verloren gingen. Allein in Deutschland, so Schröder, seien 300 000 Arbeitsplätze von den Exporten nach Lateinamerika abhängig.

Cardoso hat also allen Grund, die Zusammenarbeit mit der EU nicht ganz unkritisch zu betrachten. Die Kluft zwischen den beiden Regionen sei seit dem Gipfeltreffen »eher größer als kleiner geworden«, bilanzierte er in Madrid. In Lateinamerika gebe es ein »wachsendes Unwohlsein gegenüber der Globalisierung«.

So forderten die Vertreter des Mercosur, für ein Wirtschaftsabkommen mit der EU ebenfalls das Jahr 2005 anzupeilen. Dies jedoch lehnten die Gastgeber ab. »Der Ball liegt bei den Mercosur-Staaten«, meinte der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel. Angesichts der Probleme vor allem in Argentinien müssten die Staaten erst ihren Wirtschaftsraum wiederherstellen.

In ihrer Rhetorik aber bemühen sich die Europäer, moderater als der US-amerikanische Nebenbuhler aufzutreten. Stichworte wie »regionale Integration«, »soziale Gerechtigkeit«, »nachhaltige Entwicklung und Demokratie« wurden in den offiziellen Vorbereitungspapieren zum Madrider Gipfel betont.

Deutlichere Worte fand der EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, im Oktober auf dem Latin America Investment Forum in Paris: »Wir wollen eine politische Rolle spielen, die unserem wirtschaftlichen Gewicht als dem weltweit bedeutendsten Handelspartner entspricht.«

Auf diplomatischem Parkett sind die EU-Akteure zuweilen etwas vorschnell. So war der amtierende EU-Ratspräsident, der spanische Ministerpräsident José Maria Aznar, einer der ersten, die dem durch einen Putsch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ins Amt gehobenen Interimspräsidenten Pedro Carmona telefonisch die Unterstützung für die »demokratischen Kräfte Venezuelas« zusicherten. Chávez kam trotzdem nach Madrid. Es war seine erste Auslandsreise nach dem gescheiterten Putschversuch.

Unterdessen verbuchte die kolumbianische Regierung den Gipfel als Erfolg in ihrem Kampf gegen die linksgerichteten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc). »Wir glauben, dass die Farc eine terroristische Vereinigung ist«, sagte der spanische Außenminister Josep Piqué. Man werde bald entscheiden, ob die Guerilla in die erst jüngst erweiterte EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wird.

Kritik an den in vielen lateinamerikanischen Staaten üblichen Menschenrechtsverletzungen sowie an den fatalen sozialen Folgen der Freihandelspolitik wurde außerhalb der abgesicherten Konferenzräume geübt. Eine Woche lang diskutierte ein Transatlantisches Soziales Forum über Strategien gegen den »Neokolonialismus«.

An den Demonstrationen während des Gipfels beteiligten sich aber nur wenige Tausend Personen. Die starke Polizeipräsenz hatte wohl abschreckend gewirkt. Die Globalisierungskritiker holten am Sonntag zum Gegenschlag aus: Mehr als 100 000 Leute folgten dem Demonstrationsaufruf »Gegen das Europa des Kapitals - Gegen den Krieg - Gegen die Ausbeutung Lateinamerikas - Eine andere Welt ist möglich!« Immerhin war aber, wie zuvor in den Diskussionen, der tradierte Antiamerikanismus weniger präsent. Auch die EU-Staaten und die europäischen Konzerne geraten mittlerweile in die Kritik.

Die Folgen der Liberalisierung können ganz gut in Mexiko besichtigt werden. Die Verwandlung des Grenzgebietes zu den USA in eine riesige Freihandelszone, in der US-Konzerne in Weltmarktfabriken, den Maquiladores, die Arbeiter zu Niedrigstlöhnen und ohne gewerkschaftliche Rechte produzieren lassen, führte zu mehr sozialer Ungleichheit.

Präsident Fox hat davon dennoch nicht genug. Im Rahmen des »Plan Puebla Panama« will er nun die Armut im Südosten des Landes nutzen, um in der Region günstige Investitionsbedingungen zu schaffen. Das Ziel, sagte er in Strasbourg, sei ein »Entwicklungskorridor«, der die südlichen mexikanischen Bundesstaaten und die Staaten Mittelamerikas miteinander verbinden soll.

Zugleich präsentierte er sich als wahrer Verfechter der Menschenrechte und des Dialogs mit den Zapatisten. Als er sich »ganz entschieden« gegen die Todesstrafe aussprach, bekam er großen Applaus. Im Konkurrenzkampf mit den USA sprechen die Europäer eben lieber von Menschenrechten als von wirtschaftlichen Interessen.

Auch konkret konnte die EU in Madrid punkten. Mit Chile wurde ein umfassendes Freihandelsabkommen unterzeichnet, das Handelserleichterungen im Volumen von 8,6 Milliarden Euro vorsieht. Ein solches Abkommen strebt Chile bereits seit über zehn Jahren mit den USA an, ohne dass es bislang zu einem Abschluss gekommen wäre.