Die Sendereihe »Das Jahrhundert des Theaters« auf 3sat

Mann ist Mann

In der Sendereihe »Das Jahrhundert des Theaters« auf 3sat treffen sich Brecht und Beckett.

Nach einem Drehbuch von Samuel Beckett tritt Buster Keaton im Sommer 1964 noch einmal vor eine Filmkamera. In dem Stummfilm mit dem bemerkenswert lakonischen Titel »Film« unter der Regie von Alan Schneider folgt eine Handkamera Buster Keaton gut 20 Minuten durch ein marodes New Yorker Ambiente eine Straße entlang, über die Treppe eines Wohnhauses in ein ödes Zimmer. Ohne Dialog, Musik und Geräusche demonstriert »Film« das Beobachten und das Beobachtetwerden. Die Imagination von Keatons Blick wird qualvoll gesteigert, weil die Kamera bis zum Schluss auf den Rücken des Schauspielers gerichtet ist. Erst in der letzten Einstellung sieht man ein müdes, von einem bewegten Leben gezeichnetes und von einer Augenbinde entstelltes Gesicht, das Keaton sogleich unter seinen Händen begräbt.

Becketts Ausflug zum Medium Film blieb ein singuläres Ereignis, anders als bei Bertolt Brecht, der sich im amerikanischen Exil als Drehbuchautor mit dem »Drei-Groschen-Prozess« herumärgern musste, aber insgesamt sieben Drehbuchentwürfe realisierte. Die Theatergenies sind sich nie begegnet, Bertolt Brecht, der mit dem Theater die Welt verändern wollte, und der Ire Samuel Beckett, der die Erfahrungen des Jahrhunderts, vom Holocaust bis Hiroshima, in »reine Spiele ohne Erklärung« bannte.

Seinen Plan, Becketts »Warten auf Godot« als Wechselspiel zwischen Proletarier, Intellektuellen und Großgrundbesitzer zu inszenieren, konnte der führende Nachkriegsdramatiker, der das alte Bühnenpathos gründlich entstaubt hat, nicht mehr realisieren. Der britische Regisseur Peter Brook verglich einmal Becketts Stücke mit Panzerwagen und Idioten, »man kann sie beschießen, man kann sie mit Kremtorten bewerfen: Sie setzen ihren Weg gelassen fort.« Und wenn Brecht Becketts »Godot« inszeniert hätte, wäre sicher etwas Spannendes dabei herausgekommen.

Hollywood, für Brecht das Reich »der Sehnsucht und des Schreckens«, übte auf den französisch schreibenden Iren allerdings keinerlei Anziehung aus. Beckett arbeitete im Zweiten Weltkrieg in der französischen Résistance, während der anspruchsvolle Emigrant im amerikanischen Exil als schlecht bezahlter, schlecht behandelter und obendrein erfolgloser Drehbuchautor darbte.

»Das Jahrhundert des Theaters« nennt Peter von Becker seine Dokumentation über die deutsche Theatergeschichte, von der »Geburt der Regie« bei Stanislawski über die Zeit der Diktaturen bis zu den »Kindern von Marx und Coca Cola«. Berge von Schwarzweißfotos, Bild- und Tondokumenten, Zeitzeugen- und Experten-Interviews hat Becker gesichtet, um in sechsmal 60 Minuten die »aufregendsten Momente« des »flüchtigsten Mediums der schönen Künste« noch einmal aufblitzen zu lassen, kommentiert von Otto Sanders schnurriger Stimme.

Dass es dem Autor indes vor allem um die politischen Aspekte der Theatergeschichte geht, macht der Beitrag »Planspiel oder Endspiel« deutlich, der den Antipoden Brecht und Beckett gewidmet ist. Während Brecht ziemlich ungebrochen am »Glauben an den unaufhaltsamen Fortschritt« festhielt, negierte Beckett jede Möglichkeit menschlicher Entwicklung.

Differenziert ist Beckers Blick auf Brecht, dessen schwache Vorstellung vor dem McCarthy-Untersuchungsausschuss hinlänglich bekannt ist, hier ist seine Befragung noch einmal zu sehen. Die Stimmung Brechts in Amerika charakterisiert Becker eher lakonisch: »Hitler ist besiegt, aber der Broadway noch nicht erobert.«

Auch die Annahme des von Thomas Mann zuvor abgelehnten Stalin-Friedenspreises 1955 gereicht dem Begründer des epischen Theaters nicht sonderlich zur Ehre. Und der Hinweis, dass Brechts Experimentierlust und Widerspruchsgeist nicht den »ideologischen Erbauungswünschen« der Kulturpolitik der DDR entsprach, überrascht ebenso wenig.

Samuel Becketts Aufstieg zum Star der Theaterszene gerät weit weniger spektakulär, schon deshalb, weil er die Welt nicht erklären will. Wenige Autoren haben ein öderes Porträt des Lebens skizziert, weshalb Beckett viele verwirrte und relativ spät als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde.

Wladimir und Estragons einzige Beschäftigung in »Warten auf Godot« ist das Warten, und sie vertreiben sich ihre Zeit dadurch, »dass sie spielen, sie hätten keine«. Godot vereint »tröstliche Hoffnung« und zugleich »schreckliche Gewissheit«. Becketts »existenzielle Spiele« haben, so Becker, die tragikomischen Aspekte im »Zeitalter des nuklearen Fortschritts in unerhörter Weise beglaubigt«.

Eigenwillige Theaterleute wie Giorgio Strehler und George Tabori, die mehrmals zu Wort kommen, gehören zu den wenigen, die sowohl Brecht als auch Beckett inszeniert und dazu beigetragen haben, dass der »zeitgenössische Subtext« in den Werken der beiden immer wieder zum Vorschein kam. »Planspiel oder Endspiel« kommt insgesamt als anspruchsvolle Geschichtsstunde in Sachen Politik und Theater daher; wo es allerdings keine zeitgenössischen filmischen Dokumente gibt, wird auf neuere Aufnahmen zurückgegriffen. Daraus resultiert eine gewisse Ungenauigkeit, die aber zu verkraften.

Mit Brechts abschließender Qualifikation als Kämpfernatur mit »Sehnsucht nach Liebe« macht es sich der Autor allerdings recht einfach. Da hätte vielleicht ein Exkurs zum Thema Brecht und die Frauen gelohnt, ebenso wie ein Blick auf Suzanne Descheveaux-Dumesnil, die Frau neben Beckett.

Bei zeitgenössischen Film- und Theaterleuten steht Becketts Werk weiter hoch im Kurs. So startete Anfang der neunziger Jahre eine internationale Initiative um Michael Colgan und Alan Moloney ein Filmprojekt, das alle 19 Bühnenstücke Becketts unter Beteiligung von Regisseuren wie Anthony Minghella, David Mamet und Neil Jordan realisieren soll. »Not I« lief bereits in Cannes.

In dem Zimmer, in das Buster Keaton in Becketts »Film« vor den Blicken der Kamera flüchtet, verwandeln sich die Gegenstände in Augen, die O, alias Keaton, durchbohren wollen. Er entfernt sie, verhängt den Spiegel mit seinem Mantel, zieht die Vorhänge zu und zerreißt ein Bild. Beckett stellt hier die Wahrnehmung ins Zentrum und damit die Allgegenwart der Showeffekte als gesellschaftliches Grundprinzip in Frage, wenn jeder nur in dem Maße existiert, wie er von den Medien wahrgenommen wird.

Ein Grundkommentar zu Becketts Werken wird hier deutlich. Beckett formulierte es einmal so: »Die Suche nach dem Nicht-Sein durch Flucht vor der Wahrnehmung anderer scheitert an der Unausbleiblichkeit der Selbstwahrnehmung.«

»Planspiel oder Endspiel: Brecht und Beckett«, 28. April, 20.15 Uhr, 3sat