Kampagne für ein freies Radio

Wo das Herz der Subkultur pocht

Ganz Berlin ist dem öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Dudelfunk unterworfen. Ganz Berlin? RadiopiratInnen und die Kampagne für ein Freies Radio leisten Widerstand.

Vor der Musikanlage steht ein kleiner Playmobil-Pirat. Der Sender, ein unscheinbarer schwarzer Kasten, liegt unter dem Tisch. Vom Sender geht ein Kabel aufs Dach, zur Antenne. Das ist das Equipment des Piratensenders »radio ffb pirate«.

Rund ums Studio herrscht reger Betrieb: PiratInnen, Gäste und solche, die dort wohnen, wo jetzt das Radiostudio ist. Die PiratInnen sitzen über Sendemanuskripten und sprechen die Beiträge ab. Die Studiogäste, drei argentinische Männer, werden begrüßt. Mikros werden ausprobiert und hin- und hergerückt, Kopfhörer auf- und abgesetzt. Immer wieder die Frage: »Wie spät ist es?« Ein Radio wird gesucht, um prüfen zu können, wie die Sendung durch den Äther ankommt, und Kochtöpfe, die nicht fehlen dürfen bei einer Sendung über »cacerolazo argentino und andere revolten«.

Punkt drei Uhr drücken sich die RadiopiratInnen in den kleinen Raum. Zwar läuft beim ersten Versuch, das Programm zu starten, etwas schief, aber der Fehler ist sofort behoben. Sekunden später ertönt Musik, in stereo, aus der Anlage und aus dem kleinen Taschenradio. Die Hektik legt sich, ein Grinsen geht über die Gesichter. »Wir sind auf Sendung.«

Die PiratInnen nutzen den Umstand, dass es im Prinzip einfach und billig ist, Radio zu machen. Einen kompletten Sender fast in die Tasche stecken zu können, eröffnet viele Möglichkeiten. So forderte ffb die BewohnerInnen der Spandauer Vorstadt Anfang Dezember vergangenen Jahres auf, ihre Radios in die Fenster zu stellen, laut aufzudrehen und damit den NPD-Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung zu stören. Denn auf 95,1 spielte es »Anti-Nazi-Charts« und lieferte Infos zur Unterstützung der Gegendemo, eine Aktion, die ihm sogar eine lobende Erwähnung in der Süddeutschen Zeitung einbrachte.

Nichtsdestotrotz bleibt das Problem der Illegalität, was aber dem Piratenfunk auch »einen gewissen Reiz« verleiht. Ein Hauch von Subversion ist immer dabei, und das kickt, so ähnlich wie schwarzfahren. Von weitaus größerer Bedeutung ist jedoch, dass niemand auf die Inhalte der Sendungen Einfluss nehmen kann. Und schließlich kann man in einer Stadt wie Berlin trotz begrenzter Reichweite eine große Anzahl an HörerInnen erreichen - und bietet nicht zuletzt für ein paar Stunden in der Radiolandschaft der Hauptstadt etwas Abwechslung.

Denn die hat sie nötig. Trotz der stattlichen Anzahl von 26 Sendern in der selbst ernannten Medienhauptstadt ist das gebotene Programm nicht besonders abwechslungsreich. »Außer den altbewährten öffentlich-rechtlichen Rundfunkstationen gibt es nur Dudel- und Kommerzfunk«, fasst Pi-Radio zusammen, kurz: »informationsdefizitären Einheitsbrei«. In jedem Fall fehlt es seit dem Aus von Radio 100 vor gut zehn Jahren an Möglichkeiten für lokale Politgruppen, MigrantInnen, SchülerInnen, Theater- und Literaturinitiativen, Independent-Labels und soziale Bewegungen, ihre Inhalte in einem Massenmedium unterzubringen.

Pi-Radio, ein Zusammenschluss aus mehreren Radio-Gruppen in Berlin, wurde 1995 auf Initiative des Landesverbandes Freier Radios Berlin-Brandenburg gegründet. Seitdem ging es bisweilen im Offenen Kanal auf Sendung oder machte Veranstaltungsfunk. Doch zur Zeit steht allein ein freies, selbst verwaltetes Radio für Berlin mit einer permanenten Sendefrequenz im Vordergrund.

»Berlin braucht einen Sender, der aus dem Herzen der Subkultur übertragen wird, in dem sich die Musikszene austoben kann, in dem experimentiert wird, Diskussionen stattfinden und der ungefiltert die Meinungen der Hörerinnen und Hörer rüberbringt.« So heißt es im Aufruf der im Februar gestarteten Kampagne, um der wesentlich teureren, aber legalen Alternative zum Piratenfunk auf die Sprünge zu helfen. Mit Partys, Veranstaltungen und Diskussionen wirbt die Gruppe um Unterstützung, auf ihrer Website sammelt sie Unterschriften. Hilfe kommt jetzt schon von Freien Radios in anderen Städten, für die nicht zuletzt ein Programmaustausch mit der Hauptstadt eine große inhaltliche Bereicherung wäre.

Was sich in vielen anderen Städten Deutschlands längst etabliert hat, lag bisher für Berlin in weiter Ferne. Grund dafür ist der Rundfunkstaatsvertrag zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg, in dem Freie Radios und nicht kommerzieller Lokalfunk nicht vorkommen.

Zwar gilt auch für Berlin nach dem Bundesrundfunkgesetz schon lange, dass die Landesmedienanstalt zwei Prozent der eingenommenen Rundfunkgebühren in nicht kommerzielle Sender stecken muss. Aber gefördert wurde nur der Offene Kanal. Und der hat mit Freien Radios nicht viel zu tun. »Da muss man einen Termin vereinbaren wie beim Zahnarzt, um senden zu können«, kritisiert Jens Gröger von Pi-Radio. Und auf das inhaltliche Umfeld der Sendung habe man keinen Einfluss.

Mit der neuen Regierung stehen die Chancen etwas besser, besagten Vertrag zu ändern. Immerhin hielt Rot-Rot im Koalitionsvertrag fest, »dass nicht kommerzieller Lokalfunk in der Region die Medienlandschaft bereichern kann und eine Förderung wünschenswert wäre«. Was aber auch nicht entschiedener klingt als: »Schön, wenn sich jemand anderes darum kümmern würde.«

Doch die Kampagne überlässt die Dinge nicht dem Zufall. Schon an der Aufnahme des Passus in die Koalitionsvereinbarung war sie nicht unbeteiligt. Zur Zeit des Übergangssenats schon in Verhandlungen mit den Grünen, fand man nach der Wahl AnsprechpartnerInnen in der PDS. Gesine Lötzsch, medienpolitische Sprecherin der Fraktion, gibt sich optimistisch, die vage gehaltene Formulierung auch »demnächst umsetzen zu können«. Mit den KoalitionskollegInnen der SPD sei man sich beim Thema Medienpolitik einig gewesen. Nicht genau festlegen möchte sich Lötzsch allerdings auf einen Zeitpunkt. Zunächst stünden der Doppelhaushalt und die beschlossene Fusion von SFB und ORB auf dem Programm. Die Änderung des Landesmediengesetzes könnte »im Herbst« zum Thema werden. »Druck von außen ist auf jeden Fall gut«, fügt sie hinzu.

Und der könnte umso größer werden, wenn es gelingt, viele unterschiedliche Gruppen »ins Boot zu holen«, wie Jens Gröger es formuliert. Auch dazu soll die dezentral organisierte Kampagne dienen. Einige bestehende Initiativen wie der Clubsender TwenFM sind schon dabei. Viele Gruppen sind sowieso notwendig, um den Sendebetrieb eines Radios aufrechtzuerhalten. Und nicht zuletzt könnten andere Radio-Initiativen auch zur Konkurrenz werden, sollte denn eine Frequenz ausgeschrieben werden.

Als KonkurrentInnen sehen sich die Radiokampagne und ffb übrigens nicht, eher als gegenseitige Ergänzung. »Wenn es eine größere Anzahl von Piratensendern gäbe wie z.B. in London, wäre ein Freies Radio überflüssig«, sagt Gröger. »Und sollte es auch in Zukunft kein Freies Radio in Berlin geben, müssen wir uns etwas anderes überlegen.« Umgekehrt können sich einige der PiratInnen vorstellen, ein Freies Radio für sich zu nutzen. Aber längst nicht alle. »Ich möchte nicht ein Freies Radio, sondern die Freigabe der Frequenzen, viele unkontrollierte, unzensierte Radios«, sagt der, der sich auf Sendung mit dem Namen Alex vorstellt.

Infos unter www.radiokampagne.de, piradio.prenzl.net