Kofi Annans Rede im Bundestag

Weltmacht auf Abruf

Die Avancen von Uno-Generalsekretär Annan an die Bundesregierung stärken Deutschlands Rolle in der Welt. Auch militärisch.

Der Bundeskanzler und seine Minister platzten fast vor Stolz, als Kofi Annan dem deutschen Parlament in der vergangenen Woche seine Aufwartung machte. Nicht ganz zu Unrecht. Denn die Fälle, in denen der amtierende Friedensnobelpreisträger einer Regierung seine Anerkennung für die Militarisierung ihrer Außenpolitik ausspricht, dürften eher selten sein.

Exakt das aber tat Annan in der ersten Rede eines Generalsekretärs der Vereinten Nationen vor dem Bundestag. »Eines, was mich in den zwölf Jahren, seitdem sie durch Selbstbestimmung zur Einheit gelangt sind, tief beeindruckt hat, ist die Art und Weise, wie Sie über historisch bedingte Hemmungen bezüglich Ihrer Rolle in der Welt, so auch bezüglich der Entsendung von Truppen, hinausgewachsen sind und Ihren Teil der Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übernommen haben.«

Die Bundeswehr als größte Friedensbewegung der Welt? Rot-Grün als Garant für Sicherheit und Abrüstung auf dem Globus? In der verzerrten Wahrnehmung der neuen deutschen Außenpolitik seit der Wiedervereinigung waren sich Annan und die führenden Repräsentanten der politischen Klasse in Berlin einig. Ganz unabhängig davon, ob es bei den diversen Treffen um deutsche Entwicklungshilfe für die Länder des Trikonts, die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs oder um die Bereitstellung von Truppen für Uno-Missionen in aller Welt ging.

»Ihre Rolle bei der Festigung des Friedens auf dem Balkan war besonders wichtig«, lobte Annan indirekt selbst die gegen die Charta seiner eigenen Organisation gerichtete Nato-Intervention in Jugoslawien 1999. Denn was für den Generalsekretär zählt, ist der Aufbau effektiver politisch-administrativer Strukturen nach dem Ende des Krieges. Und den sieht er beim drittgrößten Beitragszahler der Uno in guten Händen: »Ich freue mich sehr darüber, dass Michael Steiner jetzt als mein Sonderbeauftragter im Kosovo tätig ist.«

Die Schmeicheleinheiten Annans für die Südosteuropa-Politik der Bundesregierung dürften besonders Außenminister Joseph Fischer gefallen haben. Schließlich war er es, der im April 1999 auf dem G 8-Gipfel in Bonn mit seinem Sechspunkteplan zur Einstellung des Nato-Bombardements und zum Rückzug der Einheiten Slobodan Milosevics aus dem heutigen Uno-Protektorat die Gründzüge der späteren Sicherheitsratsresolution 1244 skizziert hatte.

Aber noch etwas anderes machen die Lobhudeleien des Generalsekretärs deutlich: Die außenpolitische Strategie aller Bundesregierungen, spätestens mit dem Eintritt der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen im Jahr 1973 nationale Interessen durch ihre Artikulation in dieser und anderen internationalen Organisationen durchzusetzen, ist aufgegangen. Und zwar prächtiger, als die Vorgänger von Fischer und Co. sich das je hätten träumen lassen.

»Mit der Wiedergewinnung der vollen Souveränität wächst uns Deutschen nicht nur mehr Handlungsfreiheit, sondern auch mehr Verantwortung zu«, konstatierte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl zwar schon drei Monate nach der Wiedervereinigung. Doch in den ruhigen Zeiten von Scheckbuchdiplomatie und militärischer Passivität hatten die Worte des deutschen Regierungschefs wohl eher autosuggestiven Charakter. »So sehen es auch unsere Partner in der Welt. Sie erwarten vom vereinten Deutschland, dass es dieser neuen Rolle gerecht wird«, musste Kohl seinen Landsleuten die neue deutsche Verantwortungsbereitschaft erst noch buchstabieren.

Auf derartige Verständnisschwierigkeiten in der Bevölkerung stößt sein Nachfolger nicht mehr. »Gerade wir Deutschen haben nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden«, proklamierte Gerhard Schröder im Oktober vergangenen Jahres das gewandelte Verständnis bundesdeutscher Außenpolitik nach dem 11. September. »Das schließt - und das sage ich ganz unmissverständlich - auch die Beteiligung an militärischen Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten, zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein.«

So erscheint es nur auf den ersten Blick widersprüchlich, dass Schröder Annans Bitte um Ausweitung des militärischen Engagements Deutschlands in Afghanistan in der vorigen Woche zurückwies. Denn wie bereits auf dem Balkan unter Beweis gestellt wurde, geht es bei der Durchsetzung deutscher Interessen nicht so sehr um das mittelfristig aussichtslose Aufholen des militärischen Abstandes zu den USA, sondern um die zivile Implementierung regionaler Ordnungskonzepte made in Germany. »Wir haben nicht zu viel Amerika, sondern zu wenig Europa«, brachte Schröder das nur scheinbar sanfte Konkurrenzprinzip in der Zeit auf eine griffige Formel.

Beispiel Kosovo. Nach dem »moralischen Overkill« (FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher) zur Legitimierung des Nato-Bombardements setzte Rot-Grün seine strategische Vormachtstellung beim weltweiten nation building gleich auf mehreren Ebenen systematisch durch. So amtiert seit August 1999 der Fischer-Intimus Tom Koenigs als stellvertretender Sonderbeauftragter für zivile Verwaltung der Uno-Kosovo-Mission (Unmik) - zunächst unter dem Franzosen Bernard Kouchner, dann für kurze Zeit unter dem Dänen Hans Hækkerup.

Mitte Februar übernahm ein weiterer Deutscher auch den Posten an der Spitze des Uno-Protektorats: Schröders ehemaliger Berater Michael Steiner, der schon 1996 als Stellvertreter des Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen (OHR) in Bosnien-Herzegowina die außenpolitischen Ansprüche der damaligen CDU/FDP-Regierung verkörperte. Ihm zur Seite steht künftig Stefan Feller, der in der vorigen Woche zum Leiter der 4 500 Mann starken internationalen Polizeitruppe ernannt wurde.

Aber nicht nur im Kosovo und in Mazedonien, wo sie im vergangenen Herbst erstmals das militärische Kommando einer Nato-Mission übernahmen, sitzen deutsche Offiziere mit am Drücker. Auch im asiatischen Raum liegt Deutschland trotz Schröders Ablehnung der von Annan angebotenen Rolle als Führungsnation weiter gut im Rennen - beim Aufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan ebenso wie beim Schlagabtausch der unterschiedlichen geostrategischen Spieler in der Region.

Schließlich erklärte der Bundeskanzler bei seinem Treffen mit dem Generalsekretär unverblümt, dass Berlin bereit sei, die taktische Führung der multinationalen Militärverbände in Afghanistan (Isaf) zu übernehmen. So dürfte auch Schröders Aussage, »dass wir objektiv nicht in der Lage sind, lead nation in diesem Bereich zu werden, weil wir unsere Kräfte zureichend auf dem Balkan gebunden haben«, in erster Linie der Besänftigung des grünen Koalitionspartners gedient haben. Denn derart selbstlos, wie das Kanzler-Statement suggeriert, geriert sich die Berliner Geopolitik auch am anderen Ende der Welt nicht.

Im Gegenteil. Mit der Übernahme der taktischen Führung in Kabul hat Deutschland künftig das Kommando über den größten Teil der Operationen in Afghanistan inne. Zwar sollen die gemeinsamen Aufgaben zwischen Ankara und Berlin aufgeteilt werden, wenn Großbritannien im April wie geplant seine Führungsfunktion aufgibt. Doch de facto gewährt die Übernahme der Amtsgeschäfte durch den deutschen General Carl Hubertus von Butler alles, was den Status einer Führungsnation ausmacht. Lediglich die formale Rolle der lead nation mit Kontakten zu den US-Kampftruppen und der Uno lehnt Berlin ab.

Angesichts der Unterstützung aber, die das außenpolitische Establishment der Bundesrepublik dem Generalsekretär in seiner Ablehnung der US-Strategie gegenüber dem Irak erwies, wird Annan die Absage verkraften können. »Gemeinsames Vorgehen in einer Koalition ist unvereinbar mit Alleingängen«, wetterte etwa Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Doch ob die USA gegen den Irak wirklich allein vorgehen werden, ist mehr als zweifelhaft. Denn wozu, wenn nicht zum Aufspüren chemischer und biologischer Waffen Saddam Husseins, sind die deutschen Fuchs-Spürpanzer in Kuwait stationiert worden?

Schröders Reaktion auf die Kritik am Einsatz des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan klingt auch für den Nahen Osten aufschlussreich. »Wir haben von Anfang an gesagt, was wir wollen und welche Einsätze deutscher Soldaten möglich sind. Und wir haben nie gesagt, wir schicken die Leute dahin, um sie am Ende nicht einzusetzen«, erklärte er vorige Woche in der Zeit.