Probleme beim Prozess gegen Milosevic in Den Haag

Die Klagen der Anklage

Der Prozess gegen Milosevic bereitet der Chefanklägerin Carla del Ponte in Den Haag große Probleme. Nun droht ihr auch noch der Verlust der politischen Unterstützung auf dem Balkan.

Noch vor drei Wochen machte sich Christopher Black, der kanadische Rechtsberater von Slobodan Milosevic, ernsthafte Sorgen um seinen Schützling. »Er wirkt schläfrig und depressiv«, beschrieb Black der Jungle World das dünne Nervenkleid des prominenten Angeklagten.

Drei Wochen nachdem der Prozess eröffnet wurde, scheinen die Schläfrigkeit und die Depression von Milosevic gewichen zu sein. Auch mit den sich wiederholenden Monologen über die mögliche Illegitimität des Tribunals ist es vorbei. Dem früheren Präsidenten Serbiens und Jugoslawiens macht der juristische Schlagabtausch sichtlich Spaß.

Dabei scheint er eine Doppelstrategie gewählt zu haben. Weiterhin verteidigt er seine Politik und sein Konzept von Jugoslawien. Zugleich aber greift er die Zeugen an, die Carla del Ponte aufbietet, um ihn jener Verbrechen zu überführen, die in der dürftigen Anklage erwähnt sind.

Besonders erbärmlich war die Zeugenaussage des ehemaligen Vorsitzenden der kosovo-albanischen KP, Mahmut Bakalli, zu Beginn des Prozesses. Er sprach von der »systematischen Diskriminierung« der Kosovo-Albaner im Jugoslawien Milosevics. Der Angeklagte konterte mit der Frage nach Beweisen für diese Behauptung. Ob die Diskriminierung etwa in der Verfassung festgehalten sei, wollte Milosevic wissen und trug damit schon den ersten Punktsieg davon. Eine derartige, gesetzlich verankerte Diskriminierung gab es natürlich nicht.

Ein weiterer Zeuge wiederum, der leitende Ermittler des Tribunals im Kosovo, konnte von Massakern an der kosovo-albanischen Zivilbevölkerung nur vom Hörensagen berichten. Seine Aussage wurde auf Milosevics Antrag ganz gestrichen. Mittlerweile witzeln Prozessbeobachter in Den Haag, dass man sich zwar um ein faires Verfahren für Milosevic nicht zu sorgen brauche, sich aber fragen müsse, ob denn die Anklage ein faires Verfahren bekomme.

Die Anklage hat vor allem ein Problem: ihre Zeugen. Deren Aussagen erwiesen sich bislang immer als juristische Rohrkrepierer. Weil es an schriftlich dokumentierten Beweisen für die mutmaßlichen Straftaten Milosevics - Völkermord, Verbrechen an der Menschheit, Kriegsverbrechen - fehlt, sind die Zeugenaussagen die einzige Chance der Anklage, ihn zu überführen.

Auch in den Ländern des früheren Jugoslawien verliert del Ponte derzeit an Rückhalt. In den Staatskanzleien in Zagreb und Belgrad scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Schweizer Juristin mit dem Prozess überfordert ist. »Slobodan Milosevic ist ein Verbrecher, aber kein dummer. Frau del Ponte wird schon die Aussagen von Insidern brauchen, um ihn überführen zu können. Aber an diesen Insidern fehlt es offenbar in der Zeugenliste der Anklage«, grantelt etwa Tomislav Jakic, ein außenpolitischer Berater des kroatischen Staatspräsidenten Stipe Mesic. Dieser Diagnose schließt sich auch Dusan Pavlovic, Politologe im Belgrader Think Tank G 17, an. »Ohne Aussagen von Insidern dürfte die Strategie der Anklage scheitern.«

Vielleicht ist del Pontes Problem daher auch ein persönliches. Schon als Mafiajägerin in der Schweiz hat sie in erster Linie spektakuläre Prozesse durchgeführt. Jetzt benimmt sie sich manchmal so, als wäre sie das Haager Pendant zur Sat.1-Fernsehrichterin Barbara Salesch. Murrend nahm auch der jugoslawische Außenminister Goran Svilanovic die Substanzlosigkeit der Anklagestrategie zur Kenntnis. »Das Verfahren gegen Milosevic hätte für Serbien ein Schritt sein können, sich der Wahrheit zu stellen und sich mit seinen Nachbarn zu versöhnen. Stattdessen entwickelt es sich zur Seifenoper.«

Selbst jener Mann, der einst die Auslieferung Milosevics über alle rechtlichen Hürden hinweg verfügt hatte, gibt sich nun enttäuscht von den Fortschritten des Prozesses. »Das Tribunal hat sich zu einem Zirkus entwickelt«, zürnte der serbische Premier Zoran Djindjic. Auch die USA gehen inzwischen auf Distanz. In der vergangenen Woche erklärte Pierre-Richard Prosper, der Beauftragte des US-Außenministeriums für Kriegsverbrechen, das Haager Tribunal solle wegen anhaltender Erfolglosigkeit bis zum Jahre 2008 aufgelöst werden.

Für die Chefanklägerin ist aber nicht nur der Verlauf des Verfahrens unbefriedigend, eine noch größere Gefahr droht ihr von der Unzufriedenheit der entscheidenden Politiker auf dem Balkan. Sie geben sich immer häufiger widerspenstig, wenn es um weitere Auslieferungen geht. Besonders deutlich ist das beim serbischen Premier. Zur Jahreswende noch kündigte er an, alle wichtigen Kriegsverbrecher in diesem Jahr auszuliefern und auch dem in Belgrad vermuteten serbisch-bosnischen Ex-General Ratko Mladic ein Ticket nach Den Haag zu spendieren.

Nach drei Wochen Prozess sieht das ganz anders aus. »Warum soll ich Mladic ausliefern lassen, einen Kampf mit seinen Leibwächtern und vielleicht einen Bürgerkrieg riskieren?« Djindjic weiß genau, dass der Milosevic-Prozess mangels aussagekräftiger Beweise durchaus auf einen Freispruch hinausläuft - und sein eigenes politisches Ende einläuten könnte. Jede weitere Auslieferung nach Den Haag würde diesen Vorgang nur beschleunigen.

»Djindjic hat seit Beginn des Milosevic-Prozesses begonnen, eine für seine Verhältnisse ziemlich patriotische Politik zu verwirklichen«, meint auch der Politstratege Victor Gobarev vom Institut Stratfor. Schließlich kennt Djindjic die Umfragen, die dem Häftling Milosevic einen gewissen Popularitätsgewinn in der eigenen Bevölkerung bescheinigen. Das Tribunal habe, klagt der Premier, »an Glaubwürdigkeit in unserer Bevölkerung verloren«.

Gleichzeitig muss Djindjic registrieren, dass sich im politischen Establishment neue Allianzen bilden. Nachdem in der Nacht zum vergangenen Freitag ein Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica verübt worden war, tauchte gemeinsam mit dem Präsidenten auch Branislav Ivkovic, ein hochrangiger Funktionär der Sozialistischen Partei Milosevics am Tatort auf und erklärte seine Solidarität. Und im Parlament sprechen die Abgeordneten der DSS und die Sozialisten ihr Abstimmungsverhalten schon seit längerem miteinander ab.

Vorerst allerdings können Djindjic und andere südosteuropäische Politiker nicht damit rechnen, dass Milosevic aufhört, die Strategie der Anklage bloß zu stellen. Er verfolgt weiterhin das Ziel, das Tribunal zum politischen Debattierklub umzuwandeln, die Schwächen der Zeugen der Anklage auszunutzen und den Eindruck zu erwecken, er sitze hier über die Anklage zu Gericht - und nicht umgekehrt.

Bei Milosevics Wunschzeugen jedenfalls handelt es sich nicht um »Insider«, die über die mutmaßlichen Kriegsverbrechen des Richters auf der Anklagebank berichten könnten. Vielmehr will der einstige Staatschef ehemalige Amtskollegen vernehmen lassen - Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Jacques Chirac oder Bill Clinton.

Die Suche nach echten Kronzeugen gestaltet sich für die Anklage indes als schwierig. Ein ehemaliger hoher Offizier der serbischen Polizei kam zwar als Kronzeuge nach Den Haag, beschloss aber gleich am Flughafen, weiter nach Moskau zu fliegen. Jetzt braucht del Ponte dringend ehemalige Würdenträger wie Radovan Karadzic, die sich von Milosevic im Stich gelassen fühlen und deshalb in Erwartung einer milderen Strafe für die eigenen Verbrechen gegen den Angeklagten aussagen könnten.

Aber auch hier ist der Chefanklägerin kein Glück beschieden. So versuchten Einheiten der Sfor-Truppe in der vergangenen Woche vergebens, den ehemaligen Führer der bosnischen Serben nahe der montenegrinischen Grenze dingfest zu machen. Alles, was sie fanden, waren drei beachtliche Waffenlager. Amer Kapetanovic, der Sprecher des bosnischen Ministerpräsidenten Zlatko Lagumdzija, hält die Erfolglosigkeit der Sfor beim Versuch, Karadzic festzunehmen, für Taktik: »Die haben unglaubliche Ressourcen, modernste Ausrüstung, genaue Satellitenaufnahmen und finden ihn nicht. Seltsam, oder?«