Gedenkstättenpolitik in Bayern

Dachau hat Feinde

Das bayerische Kultusministerium will mithilfe einer Stiftung die Gedenkstätten im Lande neu gestalten. Opferverbände sollen keinen Platz im Stiftungsrat bekommen.

Rund 800 000 Besucher kommen jährlich nach Dachau, und zwar nicht ins Zentrum des historisch belasteten Ortes vor den Toren Münchens, sondern an den östlichen Stadtrand. Dorthin, wo die Nationalsozialisten im März 1933, kurz nach ihrer Machtübernahme, das erste Konzentrationslager errichteten, das zum Modell werden sollte für alle weiteren KZ und zum Ausbildungslager für die Täter des Holocaust wurde. Wenn es nach der Mehrheit der Dachauer Bürger gegangen wäre, wäre die Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Gelände niemals entstanden. Erst nach 20 Jahren Kampf setzten die Überlebenden 1965 ihre Einrichtung durch. Auch die bayerische Staatsregierung hätte die Gedenkstätte am liebsten verhindert. Ein halbes Jahrhundert musste vergehen, bis mit Edmund Stoiber 1995 erstmals ein bayerischer Ministerpräsident das einstige KZ besuchte.

Seitdem verfolgt die CSU das unerklärte Ziel, den wenigen noch lebenden Opfern samt ihrer Verbände jegliche Möglichkeit zur Mitwirkung an der Gestaltung der Gedenkstätte zu rauben. Zwar nahm die Staatsregierung endlich die dringend notwendige Sanierung und Umgestaltung des Geländes in Angriff, spielte dabei aber unverhohlen auf Zeit. Anfang Mai soll nun der erste Teil der neuen Ausstellung eröffnet werden, die von einem wissenschaftlichen Fachbeirat gestaltet wurde.

Kurz nachdem das neue Konzept Ende Januar der Öffentlichkeit präsentiert worden war, veröffentlichte die Münchner Abendzeitung den Entwurf eines Gesetzes, das seit drei Jahren vom bayerischen Kultusministerium im Geheimen erarbeitet wird und noch vor der Sommerpause vom Landtag verabschiedet werden soll. Es sieht die Gründung einer Stiftung vor, mit der die Organisation der bayerischen Gedenkstätten, die neben Dachau auch das ehemalige KZ Flossenbürg betrifft, auf neue Füße gestellt werden soll. Grundsätzlich wäre dagegen nichts einzuwenden, denn mit der Stiftung würden die KZ-Gedenkstätten nach Jahrzehnten der Unterversorgung endlich eine gesicherte finanzielle Basis erhalten, weshalb auch die Dachauer KZ-Gedenkstättenleitung, der wissenschaftliche Fachbeirat und die Opferverbände für eine solche Stiftung eintreten.

Doch der Teufel steckt wie immer im Detail, in diesem Fall in der Zusammensetzung des Stiftungsrates. In dem Gremium, das unter anderem über den Stellenplan und den Haushalt der Gedenkstätten entscheiden soll und das deshalb auch Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung hat, sollen weder Opferverbände noch die Leitungen der Gedenkstätten vertreten sein; sondern neben Kirchenmännern sollen ausschließlich Ministerialbeamte und die Bürgermeister von Flossenbürg und Dachau sitzen. Den Vorsitz soll die Landeszentrale für Politische Bildung innehaben, die dem Kultusministerium unterstellt ist. In anderen Gedenkstätten, zum Beispiel in Buchenwald, ist es selbstverständlich, dass die Gedenkstättenleitung auch den Vorsitz der Trägerstiftung übernimmt.

Nicht so in Bayern. Der Berliner Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, der Vorsitzender des Fachbeirates der Dachauer KZ-Gedenkstätte ist, äußerte im Bayerischen Rundfunk die Befürchtung, dass die Gedenkstätten »marginalisiert werden und die Leiter nur noch die Befehle ausführen, die sie aus den Gremien heraus bekommen«.

Nach ersten Protesten hat das Kultusministerium zum Teil eingelenkt und in Aussicht gestellt, dass die KZ-Gedenkstättenleitungen ein Anwesenheits- und Rederecht im Stiftungsrat erhalten. Die Opferverbände bleiben jedoch weiterhin draußen. Der Überlebende des Holocaust und bayerische Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Ernst Grube, findet deutliche Worte: »Es ist skandalös und einmalig, dass Bürgermeister über die KZ-Gedenkstätten bestimmen, aber die Organisationen der Opfer im Stiftungsrat nicht vertreten sind - weder das Internationale Dachaukomitee, die Lagergemeinschaft Dachau, die Weiße Rose noch die VVN.« Dem Kultusministerium gehe es offenbar darum, all diejenigen, deren Politik nicht im Sinne der Staatsregierung sei, beiseite zu schieben.

Eine besondere Brisanz erhält die Zusammensetzung des zukünftigen Stiftungsrates durch die jüngsten Äußerungen des Dachauer Oberbürgermeisters. Bei der Vorstellung des Konzeptes für die neue Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte verstieg sich Kurt Piller von der Überparteilichen Bürgergemeinschaft Ende Januar zu heftigen Vorwürfen gegen die seiner Ansicht nach »Dachau feindlichen« Inhalte der Ausstellung, weil am Rande auch die Geschäftsbeziehungen zwischen Dachauer Unternehmen und dem Konzentrationslager thematisiert werden. Piller, der bis vor kurzem noch hoch gelobt wurde, weil er sich als erstes Dachauer Stadtoberhaupt zur Geschichte des KZ bekannte, machte deutlich: Wäre die Gedenkstätten-Stiftung bereits eingerichtet und die Stadt Dachau, wie im Gesetz vorgesehen, im Stiftungsrat vertreten, hätte er diese neue Ausstellung blockiert.

Wolfgang Benz fürchtet angesichts solcher Aussagen Schlimmes für die Zukunft: »Der Anspruch eines Kommunalpolitikers, die Deutungshoheit über die Inhalte auszuüben, ist schon sehr bedenklich.«

Nicht nur Pillers Äußerungen lassen ahnen, was der Dachauer Gedenkstätte blüht, wenn erst einmal Stadtpolitiker das Sagen im Stiftungsrat haben. Angesichts der nahenden Kommunalwahlen haben der Oberbürgermeister und der Stadtrat nichts unversucht gelassen, der Gedenkstättenleitung das Leben schwer zu machen. Ein zentraler Punkt der Neugestaltung der Gedenkstätte ist der neue Zugang zum Gelände. Die Besucher sollen nicht mehr von Osten in das einstige KZ gelangen, sondern von Westen - durch das Tor mit der Aufschrift »Arbeit macht frei«, durch das auch die Häftlinge einst das Lager betreten mussten. Doch bis heute weigert sich der Stadtrat, die erforderlichen baurechtlichen Genehmigungen zu erteilen.

Zudem weigert sich das Kultusministerium bislang, den Entwurf des Stiftungsgesetzes vollständig zu veröffentlichen oder auch nur den Gedenkstättenleitungen vorzulegen. Man sei noch mitten in der Beratung, heißt es zur Begründung. »Ich habe dafür weder als Sachverständiger noch als Bürger Verständnis«, kritisierte Wolfgang Benz im Bayerischen Rundfunk die Geheimhaltungspolitik des Ministeriums.

Noch deutlicher wird Stefanie Endlich, Mitglied des Dachauer Fachbeirats und der Berliner Stiftung Topographie des Terrors: »Das Verfahren ist unfair, kontraproduktiv und zerstört das Vertrauen.«