Die Bundesregierung kritisiert die USA

Chicken Run

»Chicken« ist der US-amerikanische Begriff für ein Spiel, bei dem Jungmänner mit ihren Autos aufeinander zu fahren. Verlierer ist, wer vor der Kollision als erster ausweicht oder aussteigt. Als noch niemand damit rechnete, dass ein Anschlag auf das World Trade Center überhaupt möglich sei, verglich Thomas Friedman, ein nationalliberaler Kolumnist der New York Times, George W. Bush mit einem jungen Mann, der mit seinen Freunden »Chicken« spielt. »Normalerweise würde mich das nicht weiter stören«, schrieb Friedman damals. »Das Problem ist nur, dass wir alle auf der Rückbank sitzen.« Er dachte dabei an den Ausstieg der USA aus internationalen Verträgen, vor allem aus dem Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz.

Heute teilt der vehemente Unterstützer der Präsidentschaftskandidatur Al Gores die Sprachlosigkeit der Demokraten im US-Kongress angesichts der militärischen Abenteuer der Bush-Administration. Die Rückbank ist aber immer noch besetzt, nun mit den Verbündeten der USA. Keine Frage, wie Schröder, Fischer und Co. dorthin gelangt sind. Bundeswehreinsätze als außenpolitische Normalität dürften wohl das wichtigste Vermächtnis von Rot-Grün sein, und in Berlin ist man stolz darauf. »Viel Ansehen« bringe der Einsatz des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr in Afghanistan Seit' an Seit' mit Briten und Amerikanern, scheppert es aus dem Verteidigungsministerium.

Nun ist seit einigen Wochen die Rede von einem möglichen »Präventivschlag« der USA gegen den Irak. Präsident Bush setzte in seiner Rede zur Lage der Nation den viel zitierten Begriff von der »Achse des Bösen« in die Welt. Europa geht auf Distanz. Das sei »nicht unbedingt ein Ausdruck, den die Europäer gebrauchen würden«, um den Irak, den Iran und Nordkorea zu bezeichnen, meinte Javier Solana und verwies damit auf vermeintlich fundamentale Unterschiede im Politikverständnis der EU und der USA: aufgeklärter Menschenrechtsinterventionismus gegen nationalreligiöse Cowboymentalität.

Joseph Fischer schlägt in die gleiche Kerbe. »Mir hat man bisher keine Beweise präsentiert, dass der Terror des Usama bin Laden mit dem Regime im Irak zu tun hat«, wird er im Spiegel zitiert.

Diesen Satz kann man getrost vergessen. Scharpings »Hufeisen«-Fantasien beim Kosovo-Einsatz haben gezeigt, dass Rot-Grün notfalls »Beweise« für die Menschenrechtskonformität von Bombereinsätzen im nationalen Interesse selbst fabriziert. Bei der europäischen Aversion gegen einen Angriff auf den Irak spielen, abgesehen von begrenzten militärischen Möglichkeiten, andere Motive eine Rolle. Aus den Reihen der EU, vor allem aus Frankreich, erging in der Vergangenheit häufiger der Ruf nach einer Lockerung der Sanktionen gegen den Irak. Auch die im Vergleich mit den USA palästinenserfreundliche Politik der EU und Deutschlands im Nahost-Konflikt verrät die außenpolitischen Absichten der EU, die sich um eine eigene Klientel in der arabischen Welt bemüht.

Es steht außer Zweifel, dass die Militärpolitik der US-Regierung beängstigend und die Position der Europäer auf dem Rücksitz alles andere als angenehm ist. Das heißt aber nicht, dass man das rot-grüne Friedensgesäusel für bare Münze nehmen sollte, auch wenn Friedrich Merz mit seinem Vorwurf, Fischer betreibe mit seiner Kritik lediglich Wahlkampf, seinem Ruf der Beschränktheit wieder einmal alle Ehre macht. Solange der »Kampf gegen den Terror« auf rein militärischer Ebene stattfindet, können Deutschland und die EU gegenüber den USA nur verlieren. Erst wenn Aufbauhilfe und Strukturprogramme ins Spiel kommen, können die Europäer auf Dauer Einfluss nehmen. Und darauf läuft die Kritik an den USA aus Berlin, Paris und Brüssel letztlich hinaus.