Sans-papiers unter Druck

Berge bewegen

Die Sans-papiers in der Schweiz befinden sich wegen der staatlichen Repression und des Rassismus in Teilen der Bevölkerung in einer schwierigen Situation.

Es war ein kleines Volksfest der Menschenrechte«, kommentierte ein Aktivist der »Handwerksgruppe Menschenrechte - jetzt sofort!« die Befreiung eins Sans-papiers aus dem Berner Regionalgefängnis Ende Januar. Der Kurde Sherif At, der wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Ausländerrecht gesucht wird, war am 29. Januar verhaftet worden, als er mit UnterstützerInnen und anderen Sans-papiers eine Debatte im Kantonsparlament verfolgte. Dem Aufruf zu einer 24stündigen Blockadeaktion vor dem Amtsgefängnis folgten am selben Tag etwa 300 Personen. Die Gruppe nutzte die unübersichtliche Situation, hielt ein Transparent vor die Überwachungskamera, zersägte einen Gitterstab, drückte das Zellenfenster ein und befreite den Kurden. »Solche Aktionen kannten wir bisher nicht«, konstatierte die überraschte Polizeidirektorin Dora Andres.

Zwar gibt es immer wieder Versuche von Flüchtlingen, sich gegen die repressive Schweizer Asylpolitik zur Wehr zu setzten, aber die wenigsten sind so erfolgreich. Mitte Januar traten elf kurdische und türkische Flüchtlinge im Asylbewerberzentrum in Appenzell in einen Hungerstreik. Sie protestierten gegen die restriktive Hausordnung, die willkürlich verhängten Ausgeh- und Besuchsverbote sowie die schikanöse Behandlung durch das Aufsichtspersonal. Mit zwei Polizeieinsätzen, die zur Verlegung aller Hungerstreikenden in andere Kantone führten, erzwang die Heimleitung am 24. Januar das Ende der Aktion.

Auch der Kanton Zürich verschärft derzeit seine Politik gegen Flüchtlinge in Asylunterkünften. Neben der Vergabe von Betreuungsaufträgen an private Firmen kritisiert die Menschenrechtsgruppe augenauf die Unterbringung der Asylsuchenden in unterirdischen Zivilschutzbunkern, eine Maßnahme, an der sich ein Großteil der Schweizer Bevölkerung nicht zu stören scheint.

Das zeigten auch die rassistischen Reaktionen während der Kundgebung des Solidaritätsbündnisses in Appenzell am Tag der gewaltsamen Beendigung des Hungerstreiks. »Ich war auch schon auf einigen antirassistischen Demos in Ostdeutschland, aber so eine rassistische und eiskalte Stimmung habe ich bisher selten erlebt«, berichtete ein Demoteilnehmer. »Vom alten Bauern über die Dorfjugend bis zur greisen Oma waren alle am Pöbeln und Hetzen.«

Nicht nur die DemonstrantInnen überraschte die Pogromstimmung in Appenzell. Auch die anwesenden JournalistInnen zeigten sich schockiert, dass Sprechchöre wie »Ausländer raus!« oder »Lasst sie doch verhungern!« nicht von Naziskins kamen, sondern von der Mehrheit der Appenzeller Bevölkerung.

Es geht nicht nur um verbale Ausfälle. So gebe es in jedem Jahr etwa 120 rassistische Vorfälle, berichteten die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus sowie die Gesellschaft Minderheiten der Schweiz in ihrer neuen Chronologie.

Zwar sei die registrierte Zahl rechtsextremer Aufmärsche und Zusammenkünfte zurückgegangen, schrieb der Rechtsextremismusexperte Hans Stutz, dafür sei ein drastischer Anstieg von Einbürgerungsverweigerungen bei Volksabstimmungen zu verzeichnen. Einbürgerungsanträge von Menschen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien wurden überwiegend abgelehnt, obwohl alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt waren.

Der rassistischen Stimmung in der Bevölkerung entspricht das negative Votum des Nationalrats in der Debatte um Erleichterungen für die Sans-papiers vom vergangenen Dezember. Sowohl kollektive Regeln, als auch Forderungen nach einer Aussetzung der Abschiebungen für Papierlose waren im Parlament chancenlos. Somit sind nach wie vor individuelle Härtefallregelungen - als Gnadenakte des Staates - der einzig mögliche Weg, um einen Aufenthaltsstatus zu erwirken.

Nach einer längeren Phase des Aufbruchs, die von einer erstaunlichen Sympathiewelle und einem großen Medieninteresse begleitet wurde, geriet die Bewegung der Sans-papiers gegen Ende des letzten Jahres zusehends in die Defensive. Der Druck auf die Mitglieder der verschiedenen Kollektive wurde durch verschärfte Repressalien, die zu mehr als 30 Abschiebungen führten, laufend verstärkt. Gleichzeitig gelang es der Bewegung nicht, sich weiter zu vergrößern.

Im Moment verfolgen die Sans-papiers-Kollektive eine schwierige Doppelstrategie. Einerseits versuchen sie mit der Übergabe anonymisierter Dossiers, die allgemeine Angaben zur Biographie ihrer Mitglieder und zu ihrem Aufenthalt in der Schweiz enthalten, eine Einzelfallprüfung der Fremdenpolizei zu erreichen. Andererseits wollen sie an der politischen Forderung einer »kollektiven Regualisierung aller in der Schweiz lebenden 200 000 bis 300 000 Sans-papiers« festhalten. Angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse scheint diese Strategie der einzige Weg zu sein, um den politischen Kampf weiterzuführen, ohne die beteiligten Papierlosen für politische Ziele zu funktionalisieren.

Mit Blick auf die Expo 2002, die im Mai eröffnet wird, will die Bewegung die politische Auseinandersetzung neu beleben. Mit dem Anti-Expo-Projekt »02 Prozent« (auf zwei Prozent wird der Anteil der Sans-papiers an der Gesamtbevölkerung geschätzt) sollen die prekären Lebensverhältnisse und die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der illegalisierten MigrantInnen zum Thema gemacht und politische Lösungen nachdrücklich gefordert werden.

Außerdem soll es im Juni im deutsch-französisch-schweizerischen Dreiländereck verschiedene Aktionen geben. Ein länderübergreifendes Aktionsbündnis will gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen protestieren. »Wir stellen uns gegen die polizeiliche Aufrüstung in Südbaden, gegen den geplanten Bau von Abschiebegefängnissen im Alsace und gegen die Einführung der Schleierfahndung in der Schweiz«, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Dreiländermanifest.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement arbeitet indes daran, die »Schleierfahndung« nach deutschem Muster einzuführen. Das würde bedeuten, den »rückwärtigen Grenzraum« bis nach Zürich auszudehnen. Das Recht auf Bewegungsfreiheit gälte dann nur noch in einem kleinen Bereich im Landesinneren.