Olympische Winterspiele in der Mormonenstadt Salt Lake City

Saubere Menschen, saubere Spiele

Je unaufdringlicher sich die so genannte Kirche Jesu Christi der letzten Tage präsentiert, desto erfolgreicher werden die »Mormonen-Spiele« in Salt Lake City.

Schnee gibt es genug in Salt Lake City, und auch wenn der wichtigste Naturstoff für Olympische Winterspiele fehlte, wäre für Sauberkeit gesorgt. Schließlich gelang es den Organisatoren der Spiele, ihren grandiosen Bestechungsskandal, der zum Jahreswechsel 1998/99 bekannt geworden war, routiniert kleinzuarbeiten.

Damals waren Dokumente aufgetaucht, die belegten, dass die Hauptstadt des als Mormonenstaat geltenden Utah nur durch Bestechung etlicher Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) den Zuschlag für die Spiele erhalten hatte. Beträge zwischen 5 000 und 70 000 Dollar hatten ihre Besitzer gewechselt, man hatte kostenlosen Luxusurlaub spendiert, für die Ehefrauen Schönheitsoperationen, für die Kinder Stipendien bezahlt und für männliche Olympier Prostituierte als »weibliche Begleitung« verpflichtet.

Die Verantwortlichen im Organisationskomitee SLOC, allesamt Mormonen, mussten daraufhin zurücktreten, in der örtlichen Presse war beschwichtigend von »schwarzen Schafe« die Rede, die es halt überall gebe. Am Arbeitsalltag der 165 fest angestellten SLOC-Mitarbeiter änderte sich nichts. Etliche Sponsoren zogen sich zurück, aber es waren auch die Mormonen, die einen Retter präsentierten: Mitt Romney wurde im Februar 1999 als neuer Chef des Organisationskomitees benannt.

Romney, der wie fast alle männlichen Mormonen als junger Erwachsener zwei Jahre Missionarsdienst leistete - er war in Frankreich - und jetzt nach Angaben der New York Times als »Mormonenbischof« gilt, spendete erst einmal eine halbe Million Dollar aus seinem Privatvermögen, dann verzichtete er auf eine Erhöhung seines Jahresgehalts von 285 000 Dollar, bis das SLOC mit einer positiven Bilanz abschließe.

Und ganz nebenbei kämpfte er dafür, dass der Tempel, das religiöse Sinnbild Salt Lake Citys und der Mormonen, vom in den USA die Winterspiele übertragenden Sender NBC als olympisches Zeichen in Szene gesetzt wird. Schließlich, so erklären Romney und seine Mitstreiter, habe die Kirche mit dem Bestechungsskandal unmittelbar nichts zu tun.

NBC ist bereits vor dem Beginng der Spiele der Kritik ausgesetzt, im Grunde »Mormonen-Spiele« zu inszenieren, und antwortet bemerkenswert mormonenfreundlich auf den Vorwurf. »Wir sind Fernsehmacher«, erklärte NBC-Sportchef Dick Ebersol, »aber vom ersten Tag an wussten wir, dass es großartig wäre, den Tabernakel-Chor der Mormonen in diese Spiele zu integrieren.« David Neal, Vizepräsident bei NBC, erläutert: »Wenn die Spiele in Rom wären, würden wir den Vatikan doch auch gut ins Bild rücken.«

Die Desert News, eine von mehreren Tageszeitungen in Salt Lake City, die, wie ihre Konkurrenz auch, in der Hand der Mormonen ist, bilanzierte zufrieden: »NBC hat seinen Weg gefunden, sowohl die Menschen in Utah zu würdigen als auch die Führer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage«, wie die Eigenbezeichnung der Mormonenkirche lautet. Mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in den USA außerhalb Utahs legt die Kirche gleichwohl Wert darauf, nicht in die Olympiaplanungen involviert zu sein.

Vor zwei Jahren noch rief Gordon Hinckley, das greise Oberhaupt der Mormonen, schriftlich dazu auf, während der Spiele zu helfen. Etwa 50 000 Freiwillige haben sich seither gemeldet. Und sie sollen nun durch ein spezielles »Höflichkeitstraining« gezähmt werden. Trotz eines ursprünglich geplanten Missionseinsatzes wollen die Mormonen nämlich weitgehend auf ihre Kirchenpropaganda verzichten. Von den anfänglichen Ideen blieb nur ein aufwändiges Musical (»Light of the World«) mit 1 500 Schauspielern übrig, das zehnmal bei freiem Eintritt gezeigt werden soll. Ansonsten gibt es nur noch ein Stadtbüro, in dem man sich, so man denn will, mit religiösen Materialien versorgen kann. Auch unmittelbare Zahlungen der Kirche in den Etat des früheren Bewerber- und jetzigen Organisationskomitees SLOC gibt es in der Tat nur wenige.

Die relative Zurückhaltung zahlt sich nun aus, denn jetzt können sich die Mormonen als Kämpfer gegen Korruption und Geldgier präsentieren. Immerhin, so Gordon Hinckley noch vor wenigen Jahren, sei mit den Olympischen Spielen eine alte Prophezeiung wahr geworden. »Wir werden dem Allerhöchsten eine Stadt und einen Tempel errichten«, hatte um 1847 der Mormonenführer und Stadtgründer Brigham Young verkündet.

Damals waren er und seine Glaubensbrüder in einem Tal angekommen, wo sie umgehend die Stadt Salt Lake City gründeten. Damit nichts ungeplant begann, bestimmten sie einen Fixpunkt, den Meridian Marker. Von diesem Punkt aus planten sie alles, was eine Stadt ausmacht. Alle Plätze sind exakt zehn Acres groß, ein Flächenmaß, das 4,05 Hektar entspricht. Die Straßen sind exakt 132 Feet oder 40 Meter breit, damit ein von vier Ochsen gezogener Planwagen wenden kann.

Die Planungen erweisen sich noch im 21. Jahrhundert als kompatibel mit dem modernen Straßenverkehr. Überhaupt ließen sich die Stadtgründer von einer bemerkenswert weltlichen - soll heißen: ehrlichen - Religion anleiten. Neben der christlichen Bibel gilt ihnen ein zweites Buch als heilig: das Buch Mormon. Der Kirchengründer Joseph Smith, so lehren es die Mormonen, fand es als 18Jähriger im Jahr 1823 nach Anweisungen eines Engels. Wenige Jahre später erhielt er die Order, es zu übersetzen, und da der Sohn eines Tagelöhners nicht schreiben konnte, diktierte er den Text. Wiederum zwei Jahre später gab er das Originalbuch - es sollen dünne Goldplatten gewesen sein - auf Befehl eines Engels zurück, und erst als keine überprüfbaren Spuren mehr existierten, gründete Smith seine Kirche.

Allerdings ist die überlieferte Geschichte, wonach Smith einem Dorfpfaffen, der literarische Übungen im Stile der Bibel betrieb, einfach das Manuskriptbuch klaute, um darauf seine ökonomische Existenz zu begründen, viel plausibler. Smith verkündete jedoch mit großer Verve seine neuen Erkenntnisse, die stärker als die Bibel weiße Eroberungslust gegenüber eingeborenen Indianern und als Sklaven gehaltenen Schwarzen zu legitimieren wusste. Im Buch Mormon lehrt er, dass vom Glauben Abgefallene von Gott mit dunkler Hautfarbe bestraft würden, woran man die zu verachtenden Sünder folglich leicht erkennen könne. Vom amerikanischen Westen zogen die Mormonen mit ihren Planwagen, angeführt von Joseph Smith und seinem Bruder, in Richtung Osten, doch überall, wo sie sich ansiedeln wollten, wurden die komischen Heiligen vertrieben.

Weil es, wie im amerikanischen Westen damals üblich, immer wieder handfeste Auseinandersetzungen gab, bei denen Männer ihr Leben ließen, kam es zu einem deutlichen Frauenüberschuss unter den Mormonen. Kurzerhand verkündete Smith daraufhin, die Ehe eines Mannes mit vielen Frauen sei gottgewollt. Das war gut für seines und seiner männlichen Mitmissionare Libidoheil, beendete aber die Auseinandersetzungen mit anderen Pionieren des amerikanischen Westens nicht.

Bei einem solchen Streit im Jahre 1846 wurden Smith und sein Bruder auch prompt gelyncht, und Smith' Musterschüler, Brigham Young, übernahm die Führung. 1847 kam der Treck im Tal des großen Salzsees an, und Young sprach die Worte: »This is the place.« Hier lebte nämlich niemand, den die Mormonen erst hätten vertreiben müssen, und folglich war der Platz gottgewollt.

Dieses Muster findet sich 155 Jahre später, anlässlich der Olympischen Winterspiele, immer noch. Irdische, also oft auch monetäre Ziele, erhalten durch die Lesart der Mormonen eine ideologische oder religiöse Begründung. Schließlich sind sie bekannt für ihre Missionarstätigkeit und ihre Skrupellosigkeit, mit der sie ehrenamtliche Einsätze und scheinbar freiwillige Geldspenden von ihren Anhängern fordern.

Solch intelligentes Arrangement mit den Gegebenheiten zeichnet die Religion der Mormonen auch in nicht olympischen Bereichen aus. Als sie feststellten, dass eine Kirche, die sich erst 1830 gegründet hat, und die erst seit 1847 über ein Zentrum verfügt, Nachteile gegenüber den anderen Mitbewerbern um die richtige Lehre hat, verfielen die Mormonen auf die kluge Idee der »Nachtaufe«. Weil ja die sehr viel früheren Generationen nicht in Kontakt mit dem Buch Mormon kommen konnten und weil ja, trotz intensiver Missionstätigkeit, auch heute noch Menschen auf der Erde sind, die von den Vorzügen des mormonischen Glaubens noch nichts gehört haben, werden schlicht Tote getauft und posthum zu Angehörigen der Kirche der Heiligen der letzten Tage gemacht.

Zu diesem Zweck unterhalten die Mormonen in Salt Lake City riesige genealogische Archive, kostenlos einsehbar für jedermann, damit möglichst viele potenzielle, aber leider verstorbene Mormonen ermittelt werden können. Zu den Prinzipien der Mormonen gehört die strikte Ablehnung von Alkohol, Nikotin, Koffein, Teein und Haschisch. Harte Drogen sind ohnehin ausgeschlossen. Das hat zur Folge, dass sich in der Stadt Salt Lake City kaum gute Cafés finden. Es gibt zwar Läden, die Kaffee und sogar Bier ausschenken - während der Olympischen Spiele wird das sogar großzügiger gehandhabt -, aber die Werbung für sie ist verboten.

Die Begründung der Mormonen für diese Art der Lustfeindlichkeit ist der Begründung des olympischen Dopingverbots nicht ganz unähnlich. Sie lautet, dass der von Gott gegebene Leib nicht mutwillig geschädigt werden solle. Der Mormonenstaat Utah ist eben ein sauberer Staat mit einer sauberen Hauptstadt, in der saubere Menschen leben.