Verbotsverfahren gegen die NPD

Perfektes Desaster

Dubiose Gutachter, immer mehr enttarnte Spitzel: Das Verbotsverfahren gegen die NPD gerät zur Farce.

Mit dem Triumphmarsch aus Aida feierte das Bundesamt für Verfassungsschutz vor 15 Monaten seinen 50. Geburtstag. Der Geheimdienst hatte allen Grund zur Freude, stand doch der Erhalt der Einrichtung im Jahr 2000 nicht mehr in Frage, trotz des realkapitalistischen Sieges über die DDR und die UdSSR ein Jahrzehnt zuvor.

Wie die Bundeswehr und der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte auch der Verfassungsschutz nach der Selbstauflösung des Hauptfeindes zunächst Probleme damit, die eigene Existenz zu rechtfertigen. Für die Bundeswehr fanden sich neue Aufgaben als Interventionsstreitmacht, der BND klärte selbst inszenierte Plutoniumgeschäfte auf und der Verfassungsschutz konvertierte zur Avantgarde des Antifaschismus. »Das Bundesamt für den Verfassungsschutz wird 50 und hat endlich wieder eine Aufgabe: den Kampf gegen Rechts«, brachte es die Süddeutsche Zeitung (SZ) auf den Punkt. Und das bedeutete vor allem, Material für ein Verbot der NPD zu sammeln.

Die Zweifel am Sinn des Amtes verstummten angesichts dieser Mission. Dabei hatten es die Grünen, bevor sie an die Regierung kamen, noch besser gewusst. »Geheimdienste haben fast alle Aufgaben verloren. Zwecks Arbeitsbeschaffung werden krampfhaft neue Betätigungsfelder gesucht«, hieß es in ihrem Programm für die Bundestagswahl 1998. »Die Geheimdienste sind schrittweise aufzulösen.«

Weil sie aus dieser Erkenntnis keine Konsequenzen zog, sondern im Gegenteil die Kompetenzen der Geheimdienste mit den Anti-Terror-Gesetzen noch erweiterte, steht die rot-grüne Regierung nun vor einem Scherbenhaufen. Schon bald nach dem Bekanntwerden des Skandals musste das Bundesinnenministerium einräumen, dass mit dem ehemaligen Mitglied des NPD-Bundesvorstands Wolfgang Frenz, dem Vorsitzenden der Thüringer NPD, Tino Brandt, und dem NPD-Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Udo Holtmann, drei V-Männer zur Begründung des Antrags auf ein NPD-Verbot beitragen sollten. In der vergangenen Woche tauchten dann jeden Tag neue Einzelheiten über weitere V-Männer auf.

Am Dienstag vergangener Woche musste das Bundesinnenministerium zugeben, dass mit dem früheren Leiter der NPD-Zeitung Der Kamerad, Matthias Meier, ein vierter V-Mann eine Rolle im Verbotsverfahren spielt. Zwar beteuerte der Ministeriumssprecher Rainer Lingenthal, dass Meier nur von Ende 1998 bis Ende 1999 für den Verfassungsschutz gearbeitet habe und dass nur Zitate von ihm aus der Zeit davor im Antrag verwendet würden. Doch Zweifel an dieser Version sind angebracht.

Die Berliner Zeitung berichtete schon vor eineinhalb Jahren, dass Meier bereits vor der Mitte des Jahres 1998 vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeheuert worden sei. In seine Zeit als V-Mann fiele dann auch der Bundestagswahlkampf 1998, in dem Meier als stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern eine entscheidende Rolle spielte. Er war es, der den verurteilten Rechtsterroristen Manfred Roeder nach Stralsund holte und dort zum Direktkandidaten der NPD machte. Nach Informationen der Berliner Zeitung hat Meier als V-Mann auch militante Aktionen propagiert. Er soll unter anderem 1998 den »Kampfbund Nord« gegründet haben. »Meier ist als agent provocateur aufgetreten«, behauptet sein einstiger »Kamerad« Axel Möller. Meier verriet in der ARD, der Verfassungsschutz habe ihm »nahe gelegt, für das Amt des stellvertretenden Landesvorsitzenden zu kandidieren«.

Schon am Tag nach der Enttarnung Meiers folgte V-Mann Nummer fünf: Mike Manfred Layer, der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Jungen Nationaldemokraten (JN). Zitate Layers, in denen er von einem Recht auf »Notwehr« gegen den deutschen Staat spricht, sind im NPD-Verbotsantrag enthalten.

Angesichts dieser Enthüllungen bleibt der Bundesregierung nichts anderes übrig, als in Karlsruhe zu Kreuze zu kriechen, um vom Verbotsverfahren zu retten, was zu retten ist. Wie die SZ am Samstag berichtete, werden in einem 40seitigen Papier, das dem Bundesverfassungsgericht in dieser Woche zugestellt wird, die Gründe für die Pannen erläutert und die Richter um Entschuldigung gebeten.

Dabei zerbröselt längst die Front der Befürworter eines Verbots. Neben der PDS und der FDP, die von vornherein Bedenken hatten, distanzieren sich nun auch Teile der Union. Die CDU / CSU-Bundestagsfraktion will die ans Bundesverfassungsgericht gerichtete Stellungnahme der Bundesregierung nicht unterschreiben, man fühle sich von Innenminister Schily zu schlecht informiert. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) plädiert dafür, das Verbot fallen zu lassen. Man solle darüber nachdenken, »ob nicht ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende«, sagte er dem Saarländischen Rundfunk.

Völlig andere Signale kommen dagegen aus Bayern, wo man Franz Josef Strauß' Diktum befolgt, rechts von der CSU dürfe kein Platz für eine andere Partei sein. »Nach meiner Meinung muss der Verbotsantrag gegen die NPD fortgeführt werden, und deswegen halte ich es für sinnvoll, dass die Verfassungsorgane den Antrag weiter gemeinsam beim Bundesverfassungsgericht stellen«, sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) im ZDF-Morgenmagazin.

Ob eine gemeinsame Stellungnahme des Bundesrates, des Bundestages und der Bundesregierung ausreicht, die Karlsruher Richter milde zu stimmen, darf indes bezweifelt werden. Für den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Eckart Werthebach (CDU) ist es nicht ausgeschlossen, dass das ganze Verfahren in sich zusammenbricht. »Die Gefahr besteht, dass das Gericht seine Entscheidung nicht beibehält, sondern die drei Antragsparteien auffordert, neue Verbotsanträge zu stellen, und dann neu entscheidet«, sagte er der Welt am Sonntag. Aber eine überarbeitete Fassung der Verbotsanträge ohne die Aussagen der V-Leute könne das Verbot vermutlich nicht mehr begründen, meint Werthebach.

Doch es könnte auch noch aus einem anderen Grund scheitern. Denn das scheinbar so neutrale Verfassungsgericht hat als unabhängige Gutachter zwei Experten bestellt, die in der Vergangenheit durch höchst fragwürdige Äußerungen aufgefallen sind: Den Chemnitzer Politologen Eckhard Jesse und den stellvertretenden Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts Uwe Backes.

Backes machte auf sich aufmerksam, als er vor einiger Zeit einen Mitarbeiter seines Instituts in Schutz nahm, der in einem Aufsatz den Hitler-Attentäter Johann Georg Elser diffamiert hatte. Für Jesse sind die Juden selbst für den Antisemitismus verantwortlich. »Auf Dauer dürfte Judenfeindlichkeit nicht zuletzt gerade wegen mancher Verhaltensweisen von Repräsentanten des Judentums an Bedeutung gewinnen«, erklärte er 1990.

Jesse und Backes brachten gemeinsam mit dem FDP-Rechtsaußen Rainer Zitelmann das Buch »Die Schatten der Vergangenheit« heraus - für die SZ das »Standardwerk des gemäßigten Geschichtsrevisionismus«. Backes und Jesse wissen, wo der Feind steht. Rechtsextremismus, so Jesse, sei »mehr Phantom als Realität«. Seiner Meinung nach verdienen die Antifaschisten »gesellschaftliche Ächtung«. Angesichts solcher Gutachter dürfte auch das NPD-Verbot bald nur noch ein Phantom sein.