Gespräche des Bündnisses für Arbeit verschoben

Bündnis macht Pause

Die Gewerkschaftsbasis will nach mageren Jahren endlich Lohnerhöhungen. Deshalb wurden die Gespräche des Bündnisses für Arbeit erst einmal vertagt.

Wer über Lohn- und Gehaltserhöhungen bis zehn Prozent fabuliere, »muss die letzten Monate im Baströckchen auf einer Südseeinsel verbracht haben«, wetterte der Gesamtmetall-Arbeitgeberpräsident Martin Kannegieser angesichts der Tarifforderungen, die in den vergangenen Tagen aus Betrieben in diverse Tarifkommissionen getragen wurden. Dieses Bild wäre ausbaufähig gewesen: Der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel, sein Kollege Frank Bsirske von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Dieter Schulte, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), allesamt im Baströckchen, tanzen im Bundeskanzleramt zur nächsten Gesprächsrunde des Bündnisses für Arbeit an. Doch dazu wird es nicht kommen, denn das Gespräch ist einstweilen ins kommende Jahr vertagt worden. Ursprünglich wollten sich die Gewerkschaften, die Arbeitgeber und die Bundesregierung am 16. Dezember treffen, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Da es aber nichts zu bilanzieren gibt, wurde das Gespräch von den Gewerkschaften abgesagt.

Bei einem Treffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten die führenden Gewerkschaftsfunktionäre Mitte Oktober weniger von kräftigen Lohnerhöhungen gesprochen, sondern eine neue Tarifvariante ins Spiel gebracht. Es ging um die Verkürzung der Laufzeiten der Tarifverträge auf ein halbes Jahr und um differenzierte Abschlüsse mit einer »betrieblichen Gewinnkomponente«, um so die wirtschaftliche Lage der einzelnen Unternehmen besser berücksichtigen zu können. Sollte heißen: Ein allgemeiner Abschluss auf niedrigem Niveau und die Betriebe, denen es gut geht, zahlen noch ein paar Prozente mehr. Wenn sich die Konjunktur erholt, könnte dann im zweiten Halbjahr 2002 neu verhandelt werden. Der Kanzler und die Gewerkschaftsvertreter fanden das praktikabel. Doch sie hatten die Rechnung ohne die Gewerkschaftsbasis gemacht, die wieder einmal zu murren begann.

Den Anfang machten die Metaller in Baden-Württemberg, wo die Automobilindustrie und der Maschinenbau zu Hause sind und in der ersten Jahreshälfte zum Teil große Gewinne eingefahren wurden. Die dortige Tarifkommission der IG Metall verlangte Ende November eine normale Laufzeit von zwölf Monaten und eine Tariferhöhung zwischen fünf und sieben Prozent. Sie widersprach damit Zwickel, aber auch dem baden-württembergischen Bezirksleiter Berthold Huber, der bei der Neuwahl des Gewerkschaftsvorsitzenden im Herbst des kommenden Jahres dessen Nachfolger werden könnte.

Wer Zwickel am Ende beerben wird, hängt auch vom Ergebnis dieser Tarifrunde ab. Als der bessere Taktiker erwies sich bisher der eigentliche Tarifexperte der IG Metall, der stellvertretende Vorsitzende Jürgen Peters, der ebenso Ambitionen auf die Nachfolge Zwickels hegt. Peters prüft erst die Stimmung an der Basis, bevor er öffentlich etwas verkündet. Huber dagegen hat schon des öfteren die Metaller verprellt, indem er mit unausgegorenen Reformvorschlägen an die Öffentlichkeit ging. Er musste zuletzt zugeben, dass es »in den Betrieben kocht« und dass dabei die Erfahrungen mit dem Abschluss vor zwei Jahren eine Rolle spielen.

Damals hatten sich die Gewerkschaften mit den Unternehmern im Bündnis für Arbeit auf moderate Abschlüsse geeinigt. Der Produktivitätszuwachs, sonst ein Maß für gewerkschaftliche Forderungen, sollte zum Aufbau von Arbeitsplätzen genutzt werden. Gerade mal 2,1 Prozent mehr Lohn wurden vereinbart. Das bedeutete eine Stagnation der Reallöhne oder sogar einen Reallohnverlust. Das soll sich 2002 nicht wiederholen. Noch nie habe er so viel Frust beobachtet und so viele Vorwürfe gehört sowohl an die Arbeitgeber als auch an die Regierung und die eigene Gewerkschaft, berichtete Huber nach der turbulenten Tarifkommissionssitzung.

So dürften die Erfahrungen aus dem Jahre 2000 und der Umstand, dass die Gewerkschaftsbasis die differenzierten Abschlüsse, wie sie die Gewerkschaftsvorsitzenden mit Schröder verabredet hatten, ablehnt, dazu beigetragen haben, dass es erst einmal keine neue Bündnisrunde gibt. Für Schröder ist das eine Katastrophe. Offensichtlich kann er mit seiner »Politik der ruhigen Hand« die Arbeitslosenrate nicht senken. Die Arbeitgeber haben die moderaten Abschlüsse nicht zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen benutzt und nichts zum Abbau der Überstunden beigetragen. Der Gewerkschaftsbasis aber gehen die Augen zu spät auf. Jetzt, da sie zu murren beginnt und höhere Löhne fordert, droht bereits wieder eine Rezession.

Der Verdi-Vorsitzende Bsirske scheint den Druck, der sich aufbaut, zu spüren. Mal prescht er verbalradikal vor, nur um dann doch wieder moderate Töne zu wählen. Die eigentliche Zuständige für das Tarifgeschäft bei Verdi, die stellvertretende Vorsitzende Margret Mönig-Raane, betonte, »die Zeit der Lohnzurückhaltung« sei vorbei. Was vor zwei Jahren im Bündnis vereinbart wurde, sei »gesamtwirtschaftlich nicht vernünftig« gewesen. In der Frankfurter Rundschau wird sie mit den Worten zitiert: »Unsere Mitglieder wollen den Kurs korrigiert sehen.« Man wolle sich diesmal nicht in »ein Korsett volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen pressen lassen«. Doch Mönig-Ranne ist nicht sicher, ob die Mitglieder eine harte Tarifauseinandersetzung aushalten: »Kippt das Land in eine tiefe Rezession, kann die Stimmung auch kippen«.

Vielleicht sollten Bsirske und seine Tarifexpertin darüber nachdenken, wie es ihrer Gewerkschaft mit bewusstseinsbildenden Maßnahmen gelingen könnte, dass die Mitglieder nicht der Propaganda der Gegenseite erliegen. Denn Verdi ist zum Erfolg verdammt. Die Gründungseuphorie vom Frühjahr ist verflogen. Zuletzt machte die Gewerkschaft mit der drastischen Erhöhung der Vorstandsgehälter und deutlichem Mitgliederschwund negative Schlagzeilen. Nur mit einem befriedigenden Tarifabschluss kann die Verdi-Führung die miese Stimmung an der Basis ändern.

Und tatsächlich ist eine andere Tarifpolitik längst überfällig. Die meisten Lohnabhängigen in Deutschland mussten seit 1994 Reallohnverluste hinnehmen. Ein Grund für diese Entwicklung waren die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit. Sie haben kaum mehr Arbeit gebracht, dafür aber weniger Lohn. Und das ist nicht unbedingt ein Anlass, in eine Gewerkschaft einzutreten.