Die deutsche Linke und die Anschläge, Teil II

Zweiter Erster Weltkrieg

Die Grünen streiten darüber, ob Deutschland den USA militärisch helfen soll. Die deutsche Linke und die Anschläge, Teil II.

Welche militärischen Maßnahmen die USA ergreifen werden, um den Terror des 11. September zu vergelten und sich gegen künftige Anschläge zu wehren, weiß man noch nicht. Fest steht aber, dass die deutschen Grünen ihnen zustimmen werden. Andernfalls müsste der Bundeskanzler die rot-grüne Koalition nämlich beenden. Entsprechende Drohungen kommen derzeit von allen Seiten. Peter Struck, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, redete der grünen Bundestagsfraktion ins Gewissen, sie müsse die Entscheidung der Bundesregierung, die Entscheidung der USA mitzutragen, auf jeden Fall mittragen.

»Die Grünen würden vor der Entscheidung stehen, entweder diese Entscheidung mitzutragen, wofür ich sehr plädiere, oder diese Entscheidung nicht mitzutragen. Das wäre in der Tat das Ende der Koalition.« Und dann hätten die Grünen wohl in naher Zukunft nichts mehr zu entscheiden bzw. mitzutragen.

So sieht das auch Daniel Cohn-Bendit. In einem Interview mit der taz gab er zu bedenken: »Wenn die Diskussion bei den Grünen so weiterläuft wie bisher, ist die Koalition nicht mehr zu retten.« Und ihr Ende träfe jeden hart, vor allem den Außenminister, der nach eigenem Bekunden keine grüne, sondern deutsche Außenpolitik treibt. Um ihn macht sein Freund Dany sich die allergrößten Sorgen. »Der Joschka macht doch seine Politik nicht, weil er gerne Außenminister ist. Er macht das aus innerer Überzeugung. Fischer führt keinen Krieg. Er geht davon aus, dass für den Kampf gegen diesen barbarischen Terror auch eine internationale militärische Koalition geschmiedet werden muss. Nur so hat Europa Einfluss auf die USA.«

Wer aber schon gegen den letzten Krieg gestimmt hat, den der Joschka nicht führte, und nun womöglich gegen den nächsten stimmt, stürzt nicht nur den Menschen Fischer, sondern die ganze Republik in eine tiefe Krise: »Wollen Sie Westerwelle als Außenminister? Einen Agrarlobbyisten statt Renate Künast? Beckstein zusammen mit Schily?« Eine grausige Vorstellung fürwahr, obwohl zumindest die Bayern der Ansicht sein könnten, Beckstein zusammen mit Schily hätten sie schon.

Was aber würde im Fall, einige Abgeordnete verweigerten dennoch ihre Zustimmung, aus dem größten lebenden politischen Talent der Grünen und aus der Vernunft, die immer auf seiner Seite steht? »Fischer würde nicht mehr bei den Grünen bleiben können.« Er, der Pragmatismus, die atlantische Solidarität und vor allem »Europas Einfluss auf die USA« müssten Otto Schily in die SPD folgen. »Der Bruch der rot-grünen Koalition würde Joschka in eine existenzielle Krise stürzen. Und wer weiß schon, wie der Mensch Joschka Fischer aus dieser Krise wieder herausfinden würde? Was macht das mit dem Politiker Fischer, wenn man ihn zwingt, gegen sein Gewissen zu handeln?«

Auf den Einwand, Cohn-Bendit selbst nötige soeben einige Mitglieder der grünen Fraktion, gegen ihr Gewissen zu handeln, antwortete der Handtaschenbismarck: »Albern! Mir ist das grüne Projekt viel zu wichtig, um als Westentaschen-Machiavelli in die Geschichte einzugehen.«

Das war nun in der Tat gut aufgelegt im innergrünen Meinungskrieg. Und das war auch nötig, denn seit Tagen schon randalierte die Parteibasis. Beispielhaft für all die Resolutionen, die die Fax-Geräte nicht mehr ruhen ließen, steht die Erklärung des Kreisausschusses der Grünen im Landkreis Lörrach. Der Ausschuss zeigte sich »entrüstet und traurig« über die Anschläge, wies aber darauf hin, dass »Waffengewalt kein geeignetes Mittel« sei im Kampf gegen den Terror. Vielmehr sei eine Politik vonnöten, die »soziale und ökonomische Ungleichheiten vermindert, die Demokratie und Menschenrechte unterstützt, Unterdrückung und Ausbeutung sanktioniert und die Armut bekämpft«.

Fragt sich nur, wie lange der Kampf gegen den Terrorismus dauern soll, wenn er als Grundlage diese Politik braucht. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Welt sich in das Paradies verwandeln sollte, denn nichts anderes fordern die Lörracher Grünen, bleibt die Frage, ob Mitmenschen wie Bin Laden sich mit Demokratie und Menschenrechten zufrieden gäben oder ob sie nicht gerade das Gegenteil einzuführen gedenken.

Der Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen, Roland Vogt, forderte eine »Gegenstrategie der Kriegsverweigerung« und erklärte: »Unsere Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung haben (...) offenbar noch nicht erkannt, dass sie im Begriff sind, die Weichen in Richtung auf Weltbrand zu stellen.« Da ist man dann doch geneigt, die Weichen in Richtung geistigen Feuerlöschens zu stellen. Vogt jedenfalls erwartet »Verwerfungen vom Kaliber Erster Weltkrieg«.

Der drohende Beginn des zweiten Ersten Weltkrieges führte auch schon zu einem Parteiaustritt. Ilka Schröder, die für die Grünen im europäischen Parlament sitzt, verkündete in der vergangenen Woche ihren Abschied von der Partei, weil zum grünen Standardrepertoire inzwischen »Angriffseinsätze deutscher SoldatInnen« gehörten. Schröder, die schon seit längerem Probleme mit der Partei hatte, weil sie das Programm der Grünen für bare Münze nahm, erwartete, dass »in der Berliner Parteiführung und dem Brüsseler Fraktionsvorstand heute einem Maschinengewehr gleich die Sektkorken knallen«. Und dem Leser solcher Botschaften fliegen die Bierdeckel wie Mörsergranaten um die Ohren. Ilka Schröder kann sich glücklich schätzen, dass sie noch in der Partei war, sonst hätte sie ja nicht austreten können.

Andere Grüne machen es sich nicht so leicht. Sie befassen sich mit den Ursachen des Terrors. Das Mitglied des Deutschen Bundestags Winfried Nachtwei wies darauf hin, was verschiedene Staaten, aber auch »eine westlich dominierte Medienwelt alles zur Förderung des islamistischen Terrorismus beigetragen haben (...) durch das alltägliche ðBombardementÐ traditionalistischer Gesellschaften mit freizügigen TV-Botschaften westlicher Konsum- und Spaßgesellschaft und die damit einher gehende Bedrohung eigener Identität«. Steht schon im Keller, der Fernseher. Und jetzt aber Frieden.

Da hört es sich fast schon wieder vernünftig an, was Joseph Fischer zum Thema beizutragen hat. Er sagte der taz, dass es ein Irrtum wäre zu glauben, »die USA könnten in New York und in ihrer Hauptstadt angegriffen werden, ohne dass das militärische Konsequenzen hätte«. Er sähe es als einen »historischen Fehler« an, wenn sich Deutschland nun nicht an die Seite der USA stellte. »In den USA würde niemand verstehen, wenn wir uns heraushalten würden.«

An einer Stelle des Interviews stürzte seine kampferprobte Rhetorik jedoch gleichfalls ab. Er nannte es eine große Leistung der rot-grünen Regierung und ihrer Politik im Nahen Osten, dass Deutschland »gerade dort die Last seiner Geschichte in produktive Politik umsetzen konnte.« Nein, »gerade dort« sollte Deutschland »die Last seiner Geschichte« nicht in Politik umsetzen. Und an einem anderen Ort besser auch nicht.