Operation ohne Namen

Während die Regierung Bush zum Schlag gegen den Terror ausholt, entsteht in den USA eine heterogene Friedensbewegung.

Es wird Krieg geben, so viel steht fest. US-Präsident George W. Bush und seine Regierung haben in den vergangenen zwei Wochen das Wahlvolk in den USA auf einen »langen Kreuzzug gegen den Terror« eingeschworen, und das erste Ziel der Angriffe heißt Afghanistan. In seiner Rede zur Lage der Nation am vergangenen Donnerstag vor dem Kongress ließ der Präsident keine Zweifel daran aufkommen, wen er und seine Regierung für die Anschläge verantwortlich machen: Ussama bin Laden und die Taliban-Theokratie, bei der bin Laden zu Gast ist. Beweise für seine Behauptung hat Bush, anders als zuvor angekündigt, nicht geliefert.

Doch das war auch nicht der Zweck der Rede. Es ging darum, sich noch einmal demonstrativ der Loyalität des politischen Establishments der USA zu versichern, und diese Demonstration ist Bush eindrucksvoll gelungen. Seine 34minütige Rede, wie üblich in sehr einfachen Worten, wurde häufig von Applaus unterbrochen. Und, anders als üblich nach einer Rede zur Lage der Nation, verzichtete Tom Daschle, der Fraktionsführer der Demokraten im Senat, auf eine Antwort. Das Signal ist eindeutig, die Einheit der Nation duldet zur Zeit keine Debatten. In Detailfragen ist es allerdings bereits jetzt mit der Einigkeit nicht weit her.

Eine der ersten Maßnahmen war die Einrichtung eines Minsteriums für innere Sicherheit. Der erste Amtsträger ist der bisherige Gouverneur von Pennsylvania, Thomas Ridge. Er gilt als moderner Konservativer, hat in seiner siebenjährigen Amtszeit aber 100 Strafgefangene hinrichten lassen - getreu dem Vorbild seines Freundes George W. Bush.

Zur Terrorismusbekämpfung hat die Regierung ein Gesetzespaket vorgelegt, das die Befugnisse des FBI und anderer Behörden erheblich erweitern soll. Ermittlungsbeamte sollen ohne Gerichtsbeschluss über einen Zeitraum von einem Jahr Telefonleitungen abhören dürfen. Internet-Provider sollen dazu verpflichtet werden, Daten über Kunden offenzulegen, die unter Terrorismus-Verdacht stehen. Bisher bedarf es dazu einer gerichtlichen Anordnung. Von ausländischen Regierungen gewonnene Informationen über US-amerikanische Staatsbürger sollen bei Ermittlungen in Sachen Terrorismus benutzt werden dürfen, selbst wenn diese Informationen mit Methoden gewonnen wurden, die dem vierten Verfassungszusatz gegen illegale Durchsuchungen und Verhaftungen widersprechen. Die Bestimmungen über die Entnahme und Speicherung von DNS-Proben sollen gelockert werden.

Gegen diese Gesetzesvorlagen und gegen eine geplante Neufassung des Einwanderungsgesetzes, die die Abschiebung von des Terrorismus verdächtigten Ausländern ohne Gerichtsbeschluss vorsieht, hat sich eine ungewöhnliche Koalition gebildet. Auf einer Pressekonferenz veröffentlichte das Bündnis eine Petition an die Regierung mit der Aufforderung, »nicht die Freiheitsrechte zu zerstören, die den Kern des American Way of Life ausmachen«. Unterzeichnet wurde die Petition von über 150 Gruppen, darunter die American Civil Liberties Union, das American Muslim Council, die National Black Police Association, bis hin zu konservativen und rechten Kräften wie den Americans for Tax Reform und den Gun Owners of America.

Das Eintreten für individuelle Freiheitsrechte ist in den USA nicht unbedingt der Linken vorbehalten. Auch im Kongress findet die Initiative Unterstützer. Patrick Leahy, demokratischer Senator aus Vermont, hat vor hastig verabschiedeten Gesetzen gewarnt und sein eigenes Anti-Terror-Paket vorgelegt. Der von der Regierung Bush angekündigte harte Kurs gegen den »weltweiten Terror« lässt also noch vieles offen, das einer Debatte würdig wäre.

Das »globale Netzwerk des Terrors«, so Bush in seiner Rede, umfasse Tausende von Personen in mehr als 60 Ländern der Erde. Er werde nicht ruhen, bis dieses Netzwerk zerstört sei. An diese Staaten gerichtet, wiederholte Bush die Worte seines Außenministers Colin Powell: »Entweder ihr steht auf unserer Seite oder auf der Seite des Terrors.«

Das sind markige Worte, die sehr nach Cowboy-Mentalität klingen, doch die tatsächliche Politik der Regierung orientiert sich an pragmatischen Kriterien. Ohne internationale Kooperation lässt sich kein Bodenkrieg im Binnenstaat Afghanistan führen, geschweige denn eine weltweite Kampagne. Die USA sind auf die Zustimmung von Ländern wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien angewiesen, um ein panarabisches Bündnis gegen die USA zu verhindern. Um also mögliche islamische Partnerstaaten nicht zu verärgern, wurde das Wort »Kreuzzug« aus dem offiziellen Vokabular gestrichen. Der kommende Krieg wird auch nicht, wie anfangs geplant, »Operation Infinite Justice« heißen. »Unendliche Gerechtigkeit« sei nach der islamischen Lehre eine Eigenschaft Gottes, so die Begründung.

In den größeren Städten der USA finden mittlerweile täglich Friedensdemonstrationen statt. »Gerechtigkeit, keine Rache«, ist ein häufiges Motto auf den Transparenten. Dieser Slogan gehört zu dem wenigen, über das sich die sehr heterogene Friedensbewegung einig ist. Denn auf den Kundgebungen finden sich Kriegsgegner unterschiedlichster Couleur ein. Menschenrechtler, Globalisierungskritiker, Vietnamveteranen, Anarchisten, Umweltschützer und sogar Tierrechtler sind gegen den Krieg, und zwar aus vielfältigen Gründen: Es dürften nicht noch mehr unschuldige Menschen (und Tiere!) getötet werden, der Krieg sei eine Fortsetzung des imperialistischen Programms der USA, bin Laden müsse vor ein internationales Gericht gestellt werden, an Afghanistan habe sich schon die Rote Armee die Zähne ausgebissen, kein Krieg ohne UN-Mandat, lauten die gängigen Argumente.

Das Internetmagazin ZNet diskutiert mögliche Motive des Terrors. Eine Erklärung sei »der Groll der Menschen im Mittleren Osten - wegen der Hilfe der USA bei der Unterdrückung und Enteignung der Palästinenser durch Israel, wegen der US-Sanktionen gegen den Irak, die unzähligen Unschuldigen das Leben gekostet haben, und wegen der US-Unterstützung für autokratische, undemokratische und anti-egalitäre Regime«. Diese Einschätzung basiert auf der Vorstellung, dass das Selbstmordattentat die Waffe der Unterdrückten und Verzweifelten sei, die am 11. September einmal nicht Israel, sondern seine Finanziers an der Ostküste getroffen habe.

Diese Meinung vertritt auch die linksradikale Zeitung Counterpunch. Die Terroranschläge werden in das vorhandene, antizionistische bis antisemitische Weltbild eingeordnet. Auf den Internetseiten von Indymedia wurde sogar ernsthaft die These diskutiert, dass die Attentate von Israelis begangen wurden, um die Kritik an der »israelischen Unterdrückung der Palästinenser« zum Schweigen zu bringen.

In der aktuellen Ausgabe von The Nation wendet sich der Autor Christopher Hitchens gegen die Rationalisierung der Attentate. Obwohl er anerkennt, dass die Außenpolitik der USA häufig menschenverachtend war und ist, tritt er gegen jede Gleichsetzung der Ziele der Attentäter mit denen der Linken ein. »Die Bomber von Manhattan stehen für einen Faschismus mit islamischem Antlitz (...). Was sie am ðWestenÐ hassen ist nicht das Gleiche, was westliche Liberale an ihrem eigenen System kritisieren, sondern das, was Liberale unterstützen und verteidigen müssen: die Emanzipation der Frauen, wissenschaftliche Neugier, die Trennung von Religion und Staat.« Und weiter: »Glaubt irgendjemand, das ein israelischer Rückzug aus Gaza das Gemetzel in Manhattan verhindert hätte? (...) Die Kader des neuen Jihad haben klargestellt, dass sie das Judentum und die Säkularität aus Prinzip bekämpfen, nicht (oder nicht nur) den Zionismus.«

Die bis dato originellste Erklärung für die Ereignisse vom 11. September kommt aus den Reihen der Moral Majority. Der fundamentalistische Fernsehprediger Jerry Falwell verkündete in der vergangenen Woche, Gott habe seine schützende Hand von den Vereinigten Staaten wegen der unchristlichen Aktivitäten von Bürgerrechtlern, Feministinnen und Homosexuellen zurückgezogen. Falwell erhielt daraufhin aus Regierungskreisen den dezenten Hinweis, solche Äußerungen seien »unangemessen«. Er beugte sich dem theologischen Argument, dass Gottes Wege selbst für berühmte Fernsehprediger unergründlich seien.