26.09.2001
Verdi-Spots im Kino

Du, komm doch in die Gewerkschaft, du

Keine Ankumpelei, kein Kasernenhofton. Mit leisen Tönen und frischen Bildern will verdi im Kino neue Mitglieder werben.

Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.« Oder: »Wir ver.ändern« - so lauten die Slogans der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Nach ihrer Gründung im Frühjahr hatte die weltgrößte Einzelgewerkschaft erst mal zehn Millionen Mark in eine Imagekampagne gesteckt. Das Ziel: Mitglieder werben. Denn den Organisationen laufen die Leute weg. Frohen Mutes rief der Vorsitzende Frank Bsirske verdi als »größtes Start-up der Welt« aus - was freilich nach dem Crash des Neuen Marktes einen komischen Unterton bekam.

Das Urteil vieler Gewerkschafter über den Dienstleisterriesen: Außen hui, innen pfui. Obwohl die verdianer jeden Tag mit irgendeinem Warnstreik in der Zeitung stehen, Interviews geben und Bsirske ein Riesenporträt gewidmet wird, ist der Fusionsprozess der HBV, DAG, IG Medien, ÖTV und DPG nicht ganz ohne Ärger zu haben. Konkret: Es gibt einen Überhang von 1 000 Stellen. »Innovative Sozialpläne und Vorruhestand« sollen helfen, sagte unlängst der frisch gewählte verdi-Jugendsekretär Torsten Tenbieg dem DGB-Magazin Soli aktuell. Und schweigt im Übrigen, wenn es darum geht, ob die neue Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin wirklich 46 000 Mark am Tag kostet, wie erzählt wird.

Wenn Vorruhestand mal reicht: »Bei mir in der Kartei ist ein ehemaliger HBV-Sekretär«, sagt ein Mitarbeiter des Nürnberger Arbeitsamtes. »Den haben sie rausgemobbt.« Hinlänglich in der Frankfurter Rundschau dokumentiert ist auch der Fall einer Büroklopperei in einem der Gewerkschaftshäuser. Der bisherige Vorsitzende wollte sein Zimmer nicht an seine fusionsbedingt neue Chefin abtreten. »Wir haben ihr doch ein anderes angeboten.« In manchen Bildungseinrichtungen wird hingegen weiter staubiger Kanisterkopf-Kommunismus gelehrt, als ob nichts passiert wäre.

Bei verdi Niedersachsen wissen manche Verwaltungsangestellte nicht, wie man eine E-Mail schreibt. Und von einer Filiale an der Saar erzählt man, dass sie Pressemeldungen grundsätzlich mit dem Gewerkschaftslogo verschickt - Datenmenge 1,4 MB, so dass beim Runterladen für zehn Minuten der Computer blockiert ist (»Ach, deswegen dauert das so lange«).

Das nicht gerade für mitreißenden Humor bekannte Neue Deutschland druckt, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Serie »Erklär mir verdi«, in der aber jetzt echt staubtrocken die Fachbereiche der neuen Gewerkschaft erklärt werden (»Heute: Fachbereich - Gemeinden«) - man hat fast den Eindruck, man müsste den drei Millionen verdi-Bürgern erst einmal aufschreiben, wo sie da jetzt drin sind.

»Ein Image braucht, wer kein Gesicht hat«, unkt IG Medien-Schlachtross Eckart Spoo. Aller Anfang ist schwer. Die Überlegung, sich als Gewerkschaft außenwirksam zu verkaufen, ist natürlich nachvollziehbar. Allerdings: Besonders kämpferisch trat verdi bisher in den vielen geschalteten Anzeigen nicht auf. Wenn da auf der Plakatwand einer mit Kopfhörer abgebildet ist, zu dem geschrieben steht: »Volker, hör die Signale. Nichts gegen Oldies. Aber jede Zeit hat ihre eigenen Hits. Drei Millionen Menschen aus tausend Berufen sind jetzt in einer Gewerkschaft. Klingt gut«, fragt man sich unweigerlich: Na und?

»Wir wollen mit der Imagekampagne bewusst ganz unten ansetzen«, bekundet verdi-Werbeleiter Klaus Hecht. Wir befinden uns im Kino in den Hackeschen Höfen, denn hier wird den Gewerkschaftern und Medienvertretern zum Abschluss der Startphase der Image-Kampagne nun ein Filmspot vorgeführt, der ab sofort in allen größeren Kinos Deutschlands laufen soll. Draußen spielt eine Jazzband, mit Schlagzeug-Besen und Kontrabass. Sekt extra dry und Spinat-Häppchen-Kreationen gibt's auch. »Kompliziert zu essen«, meint Gewerkschaftsfrau M. »Aber lecker.«

An den Gemüsebouletten weniger, aber an den ausgehöhlten Gurken mit Krabben-Inlay hat auch einer lange gesessen. Schicke Männer, gut aussehende Frauen gibt's hier heute Nachmittag zuhauf. »Menschen aus der ganzen Republik sind heute zusammengekommen«, sagt Klaus Hecht. Die Image-Kampagne habe heute einen Höhepunkt erreicht. Jetzt sei das Kino dran.

Der Regisseur Nicolai Rohde, preisgekrönt für den Film »Schlafmann«, ist anwesend, ebenso der Campaigner Michael Gronacher von der Agentur Odeon Zwo und Frank Wernecke vom verdi-Vorstand. Mitgliederwerbung sei das Ziel des Spots, sagt Wernecke, »und zwar nachhaltige: Medienmacher bestätigen, das unsere Kampagne gelungen ist.« Man wolle neue und andere Akzente in der Öffentlichkeit setzen, und »nicht die Aneinanderreihung von Strohfeuern«. Denn durch die Gründung von verdi allein bekomme man nicht gleich haufenweise jüngere Mitglieder. Daher: »Ein kurzer, schöner Spot« (Hecht).

'S Lichtl geht aus. Sinnigerweise wird das 45-Sekunden-Filmchen mit dem Titel »Ein neuer Tag« in einer Werberolle mit anderen Spots präsentiert. Man soll den Unterschied sehen. So gibt's erst mal Früh Kölsch (»Schmeckt auch mit Flaschenöffner«) und den Nike-Fußballtanz. Und dann, der isses jetzt? Nee, Benneton. Jetzt aber - »Der neue Tag«: Bindfadenregen, düstere Wolken - in der U-Bahn Triefgesichter. Dann fängt ein Flötenheini an, Klarinette zu spielen. Die Mienen der Leute hellen sich; ein Lächeln, Freude. Als die Hauptdars1tellerin aussteigen will, steht plötzlich eine Frau neben ihr. Sie schauen sich an, steigen aus. Eine nimmt die andere unter den Schirm. Da kommt der Spruch: »Manchmal ist es einfach, die Dinge zu ändern.« Ein stiller, ein ruhiger Film in unserer unruhigen Zeit, meinen die Macher. Stimmt: Polternde Gewerkschaftsfunktionäre sucht man vergebens. Regnen tut's am Ende aber immer noch.

Amazing. Verhaltener Applaus. »Meine Kinder finden's toll«, freut sich Hecht. »45 Sekunden pralles Leben in der Mitte Berlins« nennt das die Berliner IG-Medien-Zeitung Sprachrohr. In den Unterlagen zum Film heißt es: »In einer ruhigen Bildsprache vermittelt der Spot Modernität, ohne den Begriff Modernität verbal oder dramaturgisch umzusetzen.« Ja, wie nun? »Der Spot transportiert die Botschaft: Individualität und Solidarität gehören zusammen.« Na also.

Einen leisen, stillen Film habe man machen wollen, sagt Michael Gronacher. Nicht nur Konfliktstoff und Kommandos, wie man sie von Gewerkschaftsführern gewöhnt sei. Eben was für alle. Du, komm doch in die Gewerkschaft, du. Regisseur Rohde: »Ich habe den Film schon zwei Mal gesehen, haha. Wir hatten auch ein paar Testseher, aber die wollten nichts sagen. Ich gucke aber gerne hin, wenn er läuft.« »Ein Wahnsinnsspot«, findet Produktionsleiter Henry Rehorek. Und die Schauspieler wollen umgehend in die Gewerkschaft eintreten, ganz sicher. »Windelweich«, schimpft dagegen eine Filmkritikerin, die zur Zeit an einer Rezension des neuen Ken Loach-Films »Bread and Roses« sitzt. Da lautet die zentrale Botschaft: Spaß am Kampf, und beides radikal.

Im Kino-Foyer spielt nun eine Frau auf der Klarinette (PR-Text: »Eine wunderschöne Melodie«) die Töne aus dem Film nach. Noch mal Schnittchen, Sekt. Schulterklopfen.

In einer der letzten Ausgaben brachte das Sprachrohr eine Reportage von einer Tagung der englischen Mediengewerkschaft. Die Funktionäre seien alle topmodern und gut ausgerüstet gewesen. Alle online etc. Die hätten sich an den Kopf gefasst, als sie hörten, dass sich die IG Medien selbst aufgelöst haben: Mann, die Neuen Medien, die ganze Branche boomt, und ihr schafft eure Gewerkschaft ab, das gibt's doch gar nicht, meinten die englischen Kollegen.

»Die Tatsache, dass die Gewerkschaft im Kino wirbt und Emotionalität transportiert, soll überraschen« (PR-Text zu »Der neue Tag«).

Ja, das gewerkschaftliche Kulturschaffen ist ein Thema für sich. Manchmal klappt es sogar. Der nicht gerade für seine Peppigkeit berühmte Deutsche Gewerkschaftsbund hat vor kurzem einen Spot ins Kino gebracht: eine Satire auf einen Daimler-Spot - der, wo der Chef einer IT-Bude am späten Abend für alle Pizza holen geht. Der DGB-Spot hat allerdings einen anderen Schluss. Da schreit der Typ eine Mitarbeiterin an: »Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich verpissen!« Das war schon ungewohnt gelungen und satirisch. Aber: Wollten die Schauspieler da auch gleich in die Gewerkschaft eintreten?

In den fünfziger Jahren betrieb die IG Metall eigene Kinos, zum Beispiel im Bremer Werftengebiet. Die Professorin und jetzige Frauenbeauftragte der Bremer Universität Renate Meyer-Braun hat dazu mal ein Seminar veranstaltet. »Damals war's ganz einfach«, sagt sie: »Es gab gute und schlechte Filme. Die schlechten waren die, wo geschossen wurde. Und in den guten kam die Gewerkschaft vor.« Demnach wäre der verdi-Spot eindeutig ein guter Film. Aber: Im Ken Loach-Film haben die Bullen Kanonen. Und so was soll ja auch im richtigen Leben hin und wieder der Fall sein.