Wahlkampf in Nicaragua

Der dritte Versuch

Im nicaraguanischen Vorwahlkampf liegt der Sandinist Daniel Ortega knapp in Führung.

Aus dem Regierungsfonds für den Erhalt der Überlandstraßen wurden gerade 20 Millionen Cordoba, umgerechnet 1,7 Millionen Euro, für Pensionen von Regierungsangehörigen entnommen, klagt José Velásquez, ein Finanzspezialist aus León. Von der Umschichtung im Haushalt ist auch León betroffen, eine Stadt, die nun sehen muss, wie sie die Straßen im Umland in Stand hält. Die Umlenkung von Regierungsmitteln zu Lasten der Gemeinden ist ein gern betriebener Winkelzug der Regierung in Managua. Und nicht nur in León, sondern in fast allen größeren Städten des Landes sind die Kassen leer, weil die Regierung ihren Verpflichtungen nicht nachkommt.

»Das Geld versickert in den Taschen der Regierenden«, prangert Velásquez das auch international mittlerweile bekannte Prozedere an. Deshalb sind internationale Hilfsorganisationen längst dazu übergegangen, Projekte vor Ort zu koordinieren, anstatt das Geld der Regierung anzuvertrauen. Und auch die Hilfen zur Versorgung der unter einer Dürre leidenden ländlichen Bevölkerung werden nicht ausgezahlt. Nach Schätzungen des UN-Welternährungsprogramms hungern derzeit rund 150 000 Menschen in Nicaragua.

Hilfsgüter, vor allem Saatgut, Lebensmittel und Medikamente, werden direkt geliefert und nicht, wie vom Präsidenten Arnoldo Alemán gefordert, in Form einer Geldüberweisung. Das Risiko der Veruntreuung ist angesichts chronisch leerer Regierungskassen zu groß. Die Zentralbank des mittelamerikanischen Landes hat dem Wirtschaftswissenschaftler Néstor Avendaño zufolge derzeit mit einem Defizit von zehn Millionen Dollar zu kämpfen, Reserven gibt es nicht.

Ohnehin ist Nicaragua seit Jahren von Auslandshilfen abhängig, um den nationalen Haushalt auszugleichen. Die Wirtschaft des Landes hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht wieder erholt, und der Verfall des Kaffeepreises auf dem Weltmarkt hat die Einnahmen in diesem Jahr weiter reduziert. Derzeit pendelt der Preis zwischen 50 und 60 US-Cent für ein amerikanisches Pfund (454 Gramm) und liegt weit unter den Produktionskosten von 70 bis 80 US-Cent, so Nico Demann, der Präsident der deutsch-nicaraguanischen Handelskammer in Managua. Mit erfreulichen Nachrichten sei derzeit nicht zu rechnen. »Viele Unternehmer halten beabsichtigte Investitionen zurück und warten ab, was die Präsidentschaftswahlen im November bringen. Die wirklich reichen Nicaraguaner legen ihr Geld lieber in Miami an, statt es hier zu investieren.«

Auch das marode Finanzsystem trägt seinen Teil zum Siechtum der Wirtschaft bei. Seitdem die Interbank im letzten Jahr von der Zentralbank mit 75 Millionen US-Dollar vor der Pleite gerettet wurde, ist das Vertrauen in Nicaraguas Bankensystem erschüttert. Immer neue Gerüchte über drohende Pleiten machen die Runde, und wer es sich erlauben kann, hat sein Geld längst ins Ausland transferiert. Kredite haben die Not leidenden Kleinbauern somit nicht zu erwarten. Frühestens mit dem Regierungswechsel könnte es zu einer Reform des Finanzsektors kommen, für die sich die Sandinisten in León, der zweitgrößten Stadt des Landes, stark machen.

Derzeit stehen die Chancen der FSLN, die Wahlen vom 4. November zu gewinnen, recht gut. Nach Umfragen übertrifft Daniel Ortega derzeit mit 37,3 Prozent der Stimmen seinen Konkurrenten Enrique Bolaños von der regierenden Liberalen Partei (PLC) um rund zwei Prozentpunkte.

Doch die heiße Phase des Wahlkampfs hat gerade erst begonnen, und weder Ortega noch Bolaños gelten in Nicaragua als Kandidaten für einen Neuanfang. Mit seinen beinahe 80 Jahren hat Bolaños Schwierigkeiten, den Wahlkampf durchzustehen, und in der Öffentlichkeit blieb der Vizepräsident stets in der zweiten Reihe hinter Gordomán (Dickmann), wie sich der schwergewichtige Präsident Alemán gern nennt. Bolaños als Hoffnung für die Zukunft des Landes zu präsentieren, fällt den Parteistrategen schwer, aber die zweite Garnitur der Partei ist noch blasser als der Tattergreis.

Ihm steht Daniel Ortega gegenüber, der bereits zum vierten Mal für die FSLN antritt und die parteiinterne Ausscheidung im Januar klar gewonnen hat. Doch geeint steht die Frente trotzdem nicht hinter ihrem Generalsekretär. Vor allem der linke Flügel hätte sich zum Zeichen der viel beschworenen Erneuerung der Partei einen jungen Spitzenkandidaten gewünscht. Und selbst Humberto Ortega, der ehemalige Verteidigungsminister, votierte gegen seinen Bruder. Humberto gilt mittlerweile als wichtigster Repräsentant der Kapitalfraktion der FSLN, und Daniel Ortega findet bei der Unternehmerschicht Nicaraguas keine besondere Anerkennung.

Mit dem ehemaligen Comandante verbinden nicht allein die Unternehmer des Landes Misswirtschaft und Bürgerkrieg. Zwar hat sich Daniel Ortega längst für die katastrophale Wirtschaftspolitik der Sandinisten in den achtziger Jahren entschuldigt, die nicht allein durch das US-Embargo bedingt war. Aber genützt hat das wenig. 1990 zog er gegen Violeta Chamorro den Kürzeren, und 1996 unterlag er Arnoldo Alemán.

Wie damals weckt die liberale Partei Ängste vor einem neuerlichen Bürgerkrieg für den Fall, dass Ortega die Wahlen gewinnt. Die Contras und die USA spielen dabei ihren Part. Vollmundige Erklärungen der Contra-Comandantes, die Waffen wieder auszugraben, gehören ebenso zur Strategie wie die Warnungen aus der US-Botschaft, dass ein Wahlerfolg Ortegas ernste Konsequenzen hätte. Gerüchte kursieren, dass die USA den geläuterten Revolutionär nicht akzeptieren würden. Ortega schlägt derweil im Wahlkampf versöhnliche Töne an. Hass und Groll müsse man hinter sich lassen, um die Probleme des Landes zu lösen.

Doch so ganz nimmt man dem Comandante Daniel, der die FSLN gemeinsam mit Tomás Borge zentralistisch führt, die Rolle als Versöhnler nicht ab. Selbst innerhalb der Frente kann man sich einen moderierenden, schlichtenden und den Kompromiss suchenden Ortega nicht so recht vorstellen. Zudem steht er nach den Missbrauchsvorwürfen seiner Stieftochter und der erwiesenen Bereicherung kurz vor der Übergabe der Amtsgeschäfte an Violeta Chamorro keinesfalls mit weißer Weste da. Noch eine Niederlage Ortegas würde die Euphorie der FSLN, die nach den erfolgreichen Kommunalwahlen vom letzten Oktober aufkam, ins Gegenteil verwandeln. Das kann sich selbst Comandante Daniel nicht leisten, er muss den Gordomán im Präsidentenpalast ablösen oder seine Ambitionen endgültig begraben.