Zu wenig, zu spät
Zu feiern gab es eigentlich wenig, als Ende August eine Handvoll gebrechlicher Menschen, tränenüberströmt und ausgestattet mit roten Rosen sich in Moskaus Haus der Freundschaft zusammenfand. Organisiert wurde das Spektakel von Russlands Regierenden, gefeiert wurde der Beginn der Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter in Nazi-Deutschland. Nachdem bereits Polen, Italien, Ungarn, die Ukraine und Weißrussland mit der Auszahlung der Entschädigungen begonnen haben, ringt sich endlich auch Russland dazu durch, die längst überfälligen Zahlungen an ehemalige deutsche Zwangsarbeiter weiterzuleiten.
»Das Geld kommt viel zu spät. In der Zwischenzeit sind hunderte Kameraden nicht mehr bei uns«, beklagt sich Pawel Krawtschenko. Er wurde von den Nazis verschleppt und landete im Konzentrationslager Buchenwald. Als Kompensation und Wiedergutmachung sieht er den Geldbetrag keineswegs. »Aber vielleicht kann ich meine Einzimmerwohnung gegen eine etwas geräumigere tauschen«, hofft der 79jährige ehemalige Zwangsarbeiter.
Zu viel mehr wird es wohl auch nicht reichen. Zwischen 4 200 und 15 000 Mark - je nach der Bewertung ihrer Fälle - erhalten die ehemaligen Zwangsarbeiter als Entschädigung. Insgesamt sind für Russland, Weißrussland und die Ukraine drei Milliarden Mark vorgesehen.
Erst am 15. Februar 1999 entschloss sich die Bundesregierung, Entschädigungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter zu zahlen. Zu dieser Entscheidung kam es erst unter dem Druck von Entschädigungsklagen in den USA, die Sorge der deutschen Unternehmen und der Bundesregierung galt fortan vor allem der Herstellung des so genannten Rechtsfriedens. So öffnete die mit der Auszahlung beauftragte deutsche Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft erst die Geldhähne, als alle Klagen zurückgezogen oder zurückgewiesen worden waren.
Für weitere Verzögerungen sorgten dann Moskauer Pläne, die Entschädigung mit einer Steuer von 35,6 Prozent zu belegen. Die deutsche Regierung protestierte gegen den Versuch, den erwarteten Geldsegen auch zur Sanierung des maroden russischen Budgets zu verwenden. Davon war beim feierlichen Akt im Haus der Freundschaft freilich nicht mehr die Rede. »Wir werden im Kabinett eine Regelung finden, die alle Bezieher von Entschädigungszahlungen von der Steuer befreit«, versprach der Sprecher des russischen Finanzministers Igor Ivanow der betagten Zuhörerschaft. Das entsprechende Dekret wurde im russischen Finanzministerium jedoch immer noch nicht erlassen.
Rund 5,2 Millionen Mark für 2 300 Menschen überwies die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft in den letzten Tagen an die russische Partnerstiftung Verständigung und Versöhnung. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass vermutlich weit mehr als 350 000 Menschen noch Anspruch auf Entschädigung haben. Ob sie das Geld jemals zu Gesicht bekommen werden, ist allerdings fraglich, wie auch Pawel Krawtschenko weiß: »Für uns zählt jeder Tag. Wir können nicht mehr ewig warten.«
Die schnelle Auszahlung wird nun wieder von der deutschen Seite in Frage gestellt. Denn die Entschädigungszahlungen sind weiterhin an die Bedingung des »Rechtsfriedens« geknüpft, und dieser ist nach Ansicht der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft schon wieder in Gefahr. Der Grund ist eine Entschädigungsklage gegen den Baukonzern Hochtief in den USA. Sie wurde zwar bereits vor einiger Zeit zurückgewiesen, wegen eines Formfehlers der US-Justiz könnte es aber zu einer neuerlichen Verhandlung der Klage kommen. In diesem Fall könnten auch die gerade angelaufenen Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter wieder gestoppt werden.