Die IG Metall und VW einigen sich auf das Modell 5 000 mal 5 000

Minivans aus der atmenden Fabrik

Die Einigung zwischen der IG Metall und dem VW-Konzern schafft ein zukunftsträchtiges Modell für den Standort Deutschland.

Klaus Zwickel, der Vorsitzende der IG Metall, ist zufrieden. Einen großen Erfolg habe die Gewerkschaft mit der Einigung auf das Modell 5 000 mal 5 000 erreicht. Er schwärmt von einem »wichtigen Signal zum Aufbau neuer Arbeitsplätze und für die Attraktivität des Standortes Deutschland«. Nachdem die Verhandlungen mit VW über die Produktionsbedingungen des geplanten Minivans im Juni diesen Jahres zunächst gescheitert waren, hatte es Kritik gehagelt, dass die Gewerkschaft allzu stur an ihren Forderungen festhalte und damit 5 000 deutsche Arbeitsplätze aufs Spiel setze.

Nun sind immerhin 3 500 Arbeitsplätze in Wolfsburg gesichert, alle Konfliktparteien zeigen sich glücklich. Das Manager Magazin, die Financial Times Deutschland, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, kurz: der geballte Sachverstand der deutschen Wirtschaft sieht in 5 000 mal 5 000 ein neues Modell für Deutschlands Tariflandschaft. Und der Bundeskanzler freut sich mit.

Wenn sich Politik und Wirtschaft derart euphorisch über diesen Vertrag auslassen, muss die Gewerkschaft einen seltsamen Sieg errungen haben. Was hat die IG Metall eigentlich erreicht? Arbeitslose würden von VW zu »anständigen Bedingungen« eingestellt, meint der Hannoveraner IG Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine. Aber wie sehen diese anständigen Bedingungen aus?

Erstmals in der bundesrepublikanischen Tarifgeschichte wurde für die zukünftigen Arbeiter und Angestellten bei VW eine Abkoppelung von Lohn und Arbeitszeit vereinbart. Die tägliche Arbeitszeit wird in Zukunft flexibel sein und von der Erfüllung vorgegebener Produktionsmengen abhängen. »Programmentgelt« heißt diese tarifpolitische Neuheit.

Nach einer halbjährigen Ausbildungszeit, die mit 4 000 Mark pro Monat vergütet wird, bekommen die Beschäftigten 4 500 Mark monatlich und einen festen Bonus von noch einmal 500 Mark. Weiter besteht die Aussicht auf eine steigende Gewinnbeteiligung und Bonuszahlungen für besondere persönliche Leistungen. So soll ein Gesamtlohn erreicht werden, wie er im Flächentarifvertrag vorgesehen ist. Überstunden- oder Samstagszuschläge gibt es nicht mehr.

Geplant ist eine auf das Jahr bezogene Durchschnittsarbeitswoche von 35 Stunden. Hinzu kommt eine Qualifikationszeit von drei Stunden wöchentlich, die zur Hälfte entgolten wird. Gearbeitet wird nominell in siebenstündigen Schichten an sechs Tage der Woche, was einer 42-Stunden-Woche entspricht. Damit die Durchschnittsarbeitszeit dennoch erreicht wird, gibt es ein Arbeitszeitkonto. Dort dürfen sich bis zu 200 Stunden ansammeln.

Von jedem Arbeiter kann damit bei günstiger Auftragslage durchschnittlich alle zwei Wochen eine Extraschicht gefordert werden. Die unbezahlten Überstunden sollen bei schlechter Auftragslage wieder abgefeiert werden. Erst wenn es ein ganzes Jahr lang und auch in den ersten drei Monaten des Folgejahres keine schlechte Auftragslage gibt, bekommen die Arbeiter ihre Überstunden mit einem Aufschlag von 25 Prozent vergütet. Dass sie im Oktober nach Hause gehen, weil sie nach dem Arbeitsvertrag schon genug für ein Jahr gearbeitet haben, ist ausgeschlossen.

Die Beschäftigten müssen täglich eine bestimmte Anzahl an Autos in der geforderten Qualität produzieren. Ob und wie das gelingt, ist ihr Problem. Wenn sie zu wenig Minivans in der Regelarbeitszeit herstellen, dann müssen sie eben weiter- oder nacharbeiten. Für diese Mehrarbeit wird nur dann Lohn gezahlt, wenn VW wegen schlechtem oder fehlendem Material für die Produktionsverzögerung haftbar zu machen ist.

Die Trennung von Lohn und Arbeitszeit ist für VW eine rundherum grandiose Sache. Vor allem dadurch ist es dem Konzern gelungen, das Verhältnis von gezahltem Lohn und der zu erbringenden Leistung neu zu bestimmen. Das Gehalt von 5 000 Mark brutto liegt sowieso unter dem Haustarif der anderen sechs westdeutschen Volkswagenwerke.

Weiterhin fallen wegen des Arbeitszeitkontos die lästigen Überstundenzuschläge weg. Wenn die Nachfrage nach dem geplanten Minivan groß ist, dann wird eben mehr als 35 Stunden pro Woche gearbeitet. Und wenn sie sinkt, müssen die Arbeiter zu Hause bleiben und ihre unbezahlten Überstunden abfeiern. Dadurch kann die Stammbelegschaft von vornherein kleiner kalkuliert werden als das bei vergleichbaren Produktionsreihen in der Vergangenheit der Fall war. Aber dieses Konzept der »atmenden Fabrik«, die ihre Produktion nach den Launen der Käufer richtet, erhöht den Gewinn des Unternehmens noch aus einem anderen Grund. Es werden fast keine Autos mehr auf Halde produziert, sondern vor allem just-in-time. Damit ist weniger Kapital in Form von fertigen Produkten gebunden, die auch noch irgendwo gelagert werden müssen.

Mit dieser Kombination von geringerem Lohn, Arbeitszeitkonto und Projektentgelt ist es Volkswagen gelungen, 20 Prozent an Kosten einzusparen, wie VW-Verhandlungsleiter Josef-Fidelis Senn freudig verkündete. Auf wessen Kosten, ist nicht schwer zu erraten.

Für die künftigen VW-Arbeiter hat das Modell schwer wiegende Konsequenzen. Mit dem Bruttolohn werden sie knapp über die Runden kommen. Die alte Aufbesserungsmöglichkeit der Überstunden, Nacht- oder Samstagsschichten gibt es nicht mehr. Gleichzeitig wird der Druck auf die Beschäftigten erhöht, da jeden Tag die unbezahlte Mehrarbeit droht. Wann sie Sonderschichten einlegen müssen, bestimmt der VW-Konzern, ebenso, wann sie die Überstunden abzufeiern haben. Sie können nur darauf warten, dass es eine Flaute gibt, damit sie weniger arbeiten müssen. Wenn das aber passiert, sinkt die Gewinnbeteiligung und ihr Lohn wird niedriger. Sie werden mit dieser Kombination also auf das Interesse festgelegt, möglichst stark beansprucht zu werden.

Dem Fazit der Die Zeit, dass »der eigentliche Gewinner von '5 000 mal 5 000' feststeht: der Standort Deutschland«, kann nur zugestimmt werden. Volkswagen erhöht seinen Profit um die eingesparten Kosten. Die ursprünglich zur Interessenvertretung der Arbeiternehmer gegründete Gewerkschaft stimmt diesem Anschlag auf den Lohn zu, gestaltet ihn gar mit und beweist damit ein weiteres Mal ihr nationales Verantwortungsbewusstsein.

Denn natürlich hat die Drohung von VW, die Produktion des Minivans ins Ausland zu verlagern, eine entscheidende Rolle gespielt. Arbeitsplätze sind rar, vor allem für gering Qualifizierte, und natürlich prasselt trotz der wenig attraktiven Arbeitsbedingungen jetzt schon eine Flut von Bewerbungen auf den Konzern ein. Dabei startet die Produktion erst im Oktober 2002. Vergessen ist, dass Klaus Zwickel nur über Löhne deutlich oberhalb des Flächentarifvertrages mit sich reden lassen wollte. Und vergessen ist erst recht, dass der VW-Konzern mit der Einführung der 28,8-Stunden-Woche als Vorreiter bei der Arbeitszeitverkürzung galt.

So wird die Zukunft aussehen: ein Lohnniveau wie in Portugal, eine größere Produktivität und höhere Qualität der Arbeitsprodukte als im Ausland, keine Streiktage, die beste Infrastruktur. Und Deutschland steht in der internationalen Standortkonkurrenz noch besser da. So muss es auch bleiben und weitergehen, denn so verlangen es die Wirtschaft und die Bundesregierung mit ihren Forderungen nach Zurückhaltung beim Lohn und ihrem Werben für das VW-Modell.

Wenn nun von Gewerkschaftern, Betriebsräten und der Süddeutschen Zeitung gejammert wird, dass mit dem Modell 5 000 mal 5 000 bei Volkswagen zwei Klassen von Arbeitern geschaffen würden, so sind sie zu beruhigen. Dieses Modell wird Schule machen. Und wenn erst alle Arbeitnehmer mit einem Monatsgehalt ohne feste Arbeitszeit ausgestattet sind, gibt es auch die befürchteten zwei Klassen nicht mehr.