Debatte um Sexualstraftäter

Ohne Wenn und Aber

Da ist sie, die große Debatte im Sommerloch. Während man noch glaubte, dass in den nächsten Wochen vor allem über die mögliche Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin diskutiert werden würde, bereitete sich Bundeskanzler Gerhard Schröder schon darauf vor, dem »Aufstand der Anständigen« vom vergangenen Jahr eine neue zivilgesellschaftliche Kampagne folgen zu lassen. Am vorletzten Sonntag ließ er die Bombe platzen: Sexualstraftäter seien nicht therapierbar, sagte er der Bild am Sonntag. »Deswegen kann es da nur eine Lösung geben: Wegschließen - und zwar für immer!«

In den Regierungsparteien war die Aufregung groß. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) wies darauf hin, dass Kindermörder schon jetzt zu lebenslänglicher Haft verurteilt würden, und der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, merkte zaghaft an, dass sie damit ja eh »weggesperrt« wären. Doch der Kanzler ließ sich nicht beirren. Und schnell genug sprangen ihm die Schreihälse aus Bund und Ländern bei. Innenminister Otto Schily (SPD) forderte, die Zahl der beim Bundeskriminalamt vorhandenen Gendateien zu erhöhen. Däubler-Gmelin gab nach und lässt nun die Gesetzeslage überprüfen.

Einzig die Konservativen blieben zunächst sachlich. Eine »bizarre Mischung aus Unkenntnis und Populismus« sah Norbert Geis, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in Schröders Vorstoß, und Georg Gafron von der B.Z., der journalistische Stichwortgeber der Union, erkannte neidlos an: »Eines muss man Bundeskanzler Gerhard Schröder lassen. Immer, wenn es eng wird, hat er ein neues Thema auf der Pfanne.«

Am letzten Donnerstag sagte Schröder dann, er nehme »nichts, aber auch gar nichts zurück«. Zugleich forderte er die Bundesländer auf, härter gegen Sexualstraftäter vorzugehen. Der Bund jedenfalls sei »ohne Wenn und Aber« zu einer umfassenden Strafrechtsdiskussion bereit. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz lächelte: Im Bundesrat werde sich zeigen, wie ernst der Bundeskanzler es meine. Die CDU/ CSU kann, wenn es um Härte geht, letztlich nicht hintanstehen. Auch sie will das Volk auf ihrer Seite wissen.

Völlig einsam wird es allerdings um die Experten bei diesem Thema. »In den vergangenen drei Jahren haben wir insgesamt 109 Sexualstraftäter aus Baden-Württemberg behandelt, von diesen sind drei rückfällig geworden«, teilte Siegfried Bayer, Geschäftsführer des Stuttgarter Bewährungshilfe-Vereins, mit. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte, Schröder habe nicht die »gesamte Komplexität des Problems« erfasst. Die überwiegende Mehrheit der jährlich rund 120 000 Fälle von Kindesmissbrauch finde in der Familie statt. Hilfe sei da wesentlich effektiver als Strafe: »Die kann man nicht alle wegschließen.« Und Schilys »periodischer Sicherheitsbericht«, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, weist aus, dass die Zahl der Sexualdelikte seit den sechziger Jahren rückläufig ist.

Aber Fakten bringen hier nichts. Wenn ein Politiker Stuss erzählt, weiß er in der Regel um ein Volk, das ihm nachplappert. Nach einer Emnid-Umfrage halten 84 Prozent der Bundesbürger Sexualstraftäter für nicht therapierbar.

So formiert sich nach der Kampfhunddebatte die Zivilgesellschaft erneut, um auf komplexe Fragen dumme, aber beruhigende Antworten zu geben. Es soll Zackzack gehen, ohne Wenn und Aber. Dabei denkt der Populist Schröder nicht wirklich an härtere Strafen, dafür müsste man ja die Verfassung ändern. Das wird erst jemand nach ihm machen, denn das Volk vergisst nicht und wählt entsprechend. Schröder aber hat sein Ziel erreicht: Von dem drohenden SPD/PDS-Bündnis in Berlin hat er abgelenkt.