Neue Konstellationen nach dem Regierungswechsel in Berlin

Rotation für alle

Die Neuwahl des Berliner Senats beschleunigt die Erosion des alten bundesrepublikanischen Parteiensystems. Erste Opfer der veränderten Konstellationen könnten die Grünen werden.

Die Frau weiß, wovon sie spricht. »Der Römer ist kein Blumenladen, und wir handeln nicht mit Mimosen«, drohte Jutta Ditfurth vergangene Woche den beiden PDS-Stadtverordneten im Frankfurter Stadtparlament. Diese hatten kurz zuvor den von Ditfurths Ökolinx und der Europa-Liste ausgeguckten Kompromisskandidaten für einen Posten im Magistrat der Stadt abgelehnt. Ein letztes Ultimatum Ditfurths - »11.30 Uhr in meinem Fraktionsbüro« - sorgte zwar schließlich noch dafür, dass der Ökolinx-Mann Manfred Zieran zum Kandidaten der vier linken Abgeordneten ernannt wurde. Doch die Stimme eines CDU-Stadtverordneten bei der geheimen Wahl genügte, um Zieran durchfallen zu lassen. Statt seiner zieht nun der Republikaner Andreas König in den Frankfurter Magistrat.

Eigentlich war geplant, dass Zieran und der PDS-Kandidat Eberhard Dähne sich das fünfjährige Ehrenamt teilen. Die überraschende Stimme für den Rep-Mann verhinderte aber nicht nur das von Ditfurth beabsichtigte Zweckbündnis der linken Stadtverordneten. Auch ihre ehemaligen grünen Parteifreunde mussten die Hoffnung auf neue Posten in einer schwarz-gelb-grünen Koalition vorerst begraben. Nach dem Votum für den Republikaner erklärte Jutta Ebeling, die Spitzenkandidatin der Grünen bei der Kommunalwahl, die Gespräche seien »in dieser Konstellation« gescheitert.

Wie lange Ebelings Absage gültig bleibt, ist angesichts des Ehrgeizes, mit dem die Grünen seit März an dem bislang eher ungewöhnlichen Bündnis gefeilt haben, fraglich. Schließlich waren zentrale kommunalpolitische Streitfragen wie etwa der Ausbau des Frankfurter Flughafens entweder ausgeklammert worden oder die Grünen hatten nachgegeben.

Waren schwarz-grüne Zweckbündnisse wie das in Frankfurt geplante vor wenigen Jahren auf Landes- oder gar auf Bundesebene noch undenkbar, so haben sich seit der Bundestagswahl 1998 die politischen Koordinaten entscheidend verändert. Der Sturz der CDU in die Opposition sorgte nicht nur für die Befreiung der FDP aus der Umklammerung des fast schon natürlichen Koalitionspartners. Auch die Grünen, deren Versuch, die FDP bei der mittelständischen Klientel auszustechen, inzwischen als gescheitert gilt, schauen sich nach neuen Partnern um.

Die Möglichkeit einer rosa-rot-grünen Regierung in Berlin dürfte die Fähigkeit aller, mit allen anderen zu koalieren, in den letzten Wochen noch vergrößert haben. Zwar lassen sich Bündnisse zwischen der CDU und den Grünen wie in Frankfurt oder Saarbrücken, wo Anfang des Monats eine schwarz-grüne Stadtregierung ihr Amt antrat, vor allem aus pragmatischen und nicht so sehr aus ideologischen Motiven erklären. Dennoch kommt man kaum daran vorbei, das Aufbrechen althergebrachter Koalitionsstrukturen des bundesdeutschen Parlamentarismus zu konstatieren.

Nicht zuletzt die von Gerhard Schröder erfolgreich aus England importierte Strategie der Neuen Mitte sorgt plötzlich für ein buntes Durcheinander, wo jahrzehntelang nichts als rot-gelbe oder schwarz-gelbe Blöcke waren. Bezeichnend für diesen Wandel ist das Verhalten der Parteien in der Diskussion um Risiken und Chancen der Gentechnik. Schon in der einschlägigen Bundestagsdebatte entdeckten grüne und schwarze Wertkonservative ihre gemeinsame Sorge um das ungeborene Leben; Helmut Kohl beispielsweise klatschte der geschassten Gesundheitsministerin Andrea Fischer begeistert Beifall.

Für neue Mehrheiten sorgte vorige Woche auch Wolfgang Clement (SPD), der wohl prominenteste politische Verfechter der Gentechnik. Der FDP-Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Jürgen Möllemann, hatte einen Antrag vorgelegt, mit dem das Parlament die Haltung des Ministerpräsidenten zur Genforschung »begrüßen und unterstützen« sollte. Ein voller Erfolg: 120 sozialdemokratischen und liberalen Stimmen für Clement standen 100 Stimmen der CDU und der Grünen entgegen. Auf die Frage, ob es nun bald eine sozial-liberale Koalition geben werde, antwortete Möllemann: »Stein um Stein - bald schon wird es fertig sein.«

Erste Opfer der unbeschränkten Bündnisfähigkeit dürften die Grünen werden, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen. In Berlin könnte die Neuwahl des Abgeordnetenhauses im Herbst dafür sorgen, dass die Ökobomber das schwächste Glied einer von der SPD, der PDS und ihnen selbst gebildeten Regierung werden. Umfragen zufolge kommen PDS und SPD gemeinsam sogar auf 50 Prozent der Stimmen, die Grünen würden theoretisch also gar nicht mehr gebraucht. Die Angst vor einer starken PDS veranlasste wohl auch Renate Künast, die aus der Berliner AL kommende Landwirtschaftsministerin, von einem Bündnis mit den Linkssozialdemokraten abzuraten. »Die PDS steht nicht für eine moderne Politik, sondern ist durchaus konservativ.« »Reaktionäre« Ansichten gar wollte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, bei der Konkurrenz von links ausgemacht haben.

Noch Mitte der neunziger Jahre hatten die Grünen in Berlin gehofft, die PDS eines Tages zu überrunden. Doch die wenigen Positionen, um derentwillen Linke die Partei wählen konnten, sind spätestens seit dem Kosovo-Krieg nur noch bei der PDS zu haben. Zu einem heftigen Schlagabtausch soll es deshalb einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge in der grünen Bundestagsfraktion gekommen sein. Als am vergangenen Freitag Außenminister Joseph Fischer für die Beteiligung deutscher Truppen an einem Nato-Einsatz in Mazedonien warb, ergriff der Berliner Abgeordnete Hans-Christian Ströbele das Wort und bezeichnete einen erneuten Auslandseinsatz als »Wahlgeschenk« an die PDS.

Doch nicht nur Vertreter der Parteilinken, auch grüne Rechtsausleger aus dem Kreis der früheren DDR-Bürgerrechtler kritisieren, allerdings aus anderen Gründen, das Schielen auf die PDS. So führte Wolfgang Ullmann den »Verrat an den Idealen der friedlichen Revolution« als Grund für seine Ablehnung rosa-rot-grüner Bündnisse an. Gut möglich, dass dem Parteiaustritt von Ullmanns Weggefährten aus Bündnis-90-Zeiten - Konrad Weiß verließ die Grünen in der letzten Woche - bald der Beitritt zur CDU folgt. Schon 1996 waren sich die Konservativen nicht zu schade, Angelika Barbe, Vera Lengsfeld und Günter Nooke politisches Asyl zu gewähren. Zur glaubwürdigen Auffrischung antikommunistischer Ressentiments dürfte das Recycling der Ost-Flaschen gerade im Berliner Wahlkampf beitragen.

Glückliche Siegerin der großen Koalitionsarithmetik ist zumindest vorerst die PDS. Gerhard Schröders Abkehr von der Doktrin, eine Zusammenarbeit mit der Konkurrenz aus dem Osten sei strikt abzulehnen, hat die PDS zumindest in den Länderparlamenten akzeptabel gemacht. Wendegewinner wie der frühere FDJ-Kader und mecklenburg-vorpommersche Arbeitsminister Helmut Holter, aber auch der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch oder der Bundestagsfraktionsvorsitzende Roland Claus dürften alles daran setzen, das PDS-Programm so zu schleifen, dass bald auch die außen- und verteidigungspolitischen Bedenken der SPD weggewischt werden.

Seit Holters Unterstützung für die rot-grüne Rentenreform ist die PDS ohnehin schon ein gefügiger Partner Schröders im Bundesrat. Ganz unabhängig davon, dass sämtliche Parteitagsbeschlüsse und sonstigen programmatischen Aussagen der PDS in den vergangen zwölf Monaten gegen die Einführung der privaten Rente argumentierten.

Wie schnell man in den Armen des politischen Gegners landet, wenn man sich erstmal auf den Parlamentarismus eingelassen hat, macht übrigens auch das Zweckbündnis von Jutta Ditfurth mit der PDS im Frankfurter Römer deutlich. Im Kommunalwahlkampf hatte sie noch üble Militaristen entlarvt (»Wir treten auch gegen die PDS an: Die wird beim nächsten deutschen Krieg dabei sein«), mit denen sie nun bei der Wahl des Ökolinx-Kandidaten paktierte.

Und so ehrenwert das Anliegen auch war, die Wahl des Rep-Mannes zu verhindern, man fragt sich doch, weshalb das Bündnis mit vermeintlichen linken Rassisten unbedingt besser sein soll. »Die Frankfurter PDS legitimiert den subtilen bis offenen Rassismus in der Ost-PDS«, hatte Ditfurth schließlich im Wahlkampf noch geschimpft.