Christopher Street Day

Anders sein müssen

Lesben und Schwule sind zwar ein anerkannter Teil der Gesellschaft, aber nur als die Anderen. Gedanken zum CSD

Der Filmkritiker Frank Noack behauptet, allein aus der Tatsache, dass der Regisseur Patrice Chéreau in seinem Film »Intimacy« den nackten Körper des männlichen Hauptdarstellers häufiger zeige als den der weiblichen Hauptdarstellerin, ließe sich ableiten, dass Chéreau homosexuell sei. (Jungle World, 24/01) Noack wirft Chéreau vor, »einer jener altmodischen, verklemmt-bürgerlichen Schwulen zu sein, die sich erfolglos hinter heterosexuellen Figuren verstecken«.

Daraus sind zwei Schlüsse zu ziehen: Erstens glaubt Noack, dass ein heterosexueller Mann sich mit dem Körper eines anderen Mannes nicht beschäftigen könne, sondern an der Frau interessiert zu sein habe. Zweitens hätten Schwule sich zu outen und ihr Begehren zu thematisieren.

Offensichtlich ist der Glaube noch immer weit verbreitet, Schwule müssten sich permanent schwul verhalten und Lesben permanent lesbisch. Er impliziert, dass es die Vorstellung von einem schwulen oder lesbischen Lebensideal gibt, dem Menschen, die ein homosexuelles Begehren haben, nachkommen müssten.

Homosexualität ist aber genauso wie Heterosexualität weder eine Idee noch eine Ideologie. Wenn man Homosexualität als Ideologie betrachtet, konstruiert man eine homosexuelle Identität, zu der man homosexuelle Menschen verpflichtet. Das bringt Ausschlüsse und Gruppenzwang mit sich.

Nicht umsonst wurde das Wort queer kreiert, um die verschiedenen Lebenskonzepte benennen zu können, die sich nicht unter einschränkende Begriffe wie schwul, lesbisch oder heterosexuell subsumieren lassen. Darüber hinaus wird das Wort queer benutzt, um nicht in den Dualismus schwul/lesbisch zu verfallen, der sich auf die althergebrachten Vorstellungen von weiblich und männlich stützt und damit der Homosexualität wieder eine dualistische und damit implizit heterosexuelle Struktur unterschiebt.

Anlässlich des Berliner Christopher Street Day, der am vergangenen Samstag stattfand, war zu sehen, dass Teile der homosexuellen Szene genauso wie die bürgerlichen Medien auf dem Geschlechterdualismus und auf der Bedeutung einer homosexuellen Identitätspolitik beharren. »ðQueerÐ ist im Englischen schwul«, war im Tagesspiegel zu lesen. Ein schwuler Werbekaufmann kommentierte im Sender Freies Berlin feiernde Lesben damit, dass homosexuelle Frauen weniger Spass hätten als homosexuelle Männer, da Schwule lustbetonter seien: »Die Lesben sollen mal aus sich herauskommen.«

Zugleich versuchten homosexuelle wie heterosexuelle AktivistInnen und KommentatorInnen dem offiziellen CSD-Umzug eine politische Note abzugewinnen, die allerdings allein darin bestehen sollte, offen schwul oder lesbisch aufzutreten. Hiermit wird allerdings unterstellt, dass offen auftretende Homosexuelle automatisch eine Lobby bilden und Lobbyarbeit betreiben, also homosexuelle Politik machen müssen.

Dabei war der offizielle CSD - im Gegensatz zum Kreuzberger CSD - in diesem Jahr noch affirmativer als in den Jahren zuvor. Nicht nur, dass diverse Wirtschaftsbetriebe wieder Werbetrucks einsetzten, sich die Tourismusbranche für den CSD stark machte und die alles andere als queere BZ ihre Leserinnen und Leser aufforderte, mitzugehen, nein, der CSD gab sich staatstragend, indem er zum ersten Mal einen Preis für Zivilcourage verlieh.

Geehrt wurden für ihre Arbeit Szeneeinrichtungen wie das Schwule Überfalltelefon, die Gruppe Que(e)r gegen Rechts, aber auch das Friedrichshainer Andreas-Gymnasium und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Allesamt verdiente Preisträger. Allerdings war das Rahmenprogramm zum CSD-Motto »Que(e)r gegen Rechts«, wie die Zeitschrift Siegessäule anmerkte, eher dürftig, es gab so gut wie keine politischen Veranstaltungen zum Thema. Entsprechend ablehnend reagierten die politischen AktivistInnen vom Kreuzberger CSD: »Wir wollen uns nicht einbinden lassen in einen staatlichen Antifaschismus, der seinen eigenen Rassismus festschreibt und alles links von sich als extremistisch verunglimpft.«

Der offizielle Hauptstadt-CSD aber ließ sich nicht von Kritik anfechten, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf politische Prominenz. Die CDU-Spitzen Merkel, Merz und Meyer hatten leider abgesagt, doch Bundeskanzler Gerhard Schröder richtete ein Grußwort an den CSD, und Wolfgang Thierse, der sich Naziskins von heute als spätere Bundesminister durchaus vorstellen mag, hielt die Laudatio zur Preisverleihung.

Die größte Aufmerksamkeit jedoch galt dem neuen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich auf dem SPD-Landesparteitag geoutet hatte. Sein Auftreten wurde von den Medien der homosexuellen Szene wie auch von der sonstigen Presse mit großer Spannung erwartet. Wowereit verhielt sich dann allerdings so, wie es jeder andere dem CSD souverän gegenüberstehende Bürgermeister auch getan hätte. Zunächst hielt er sich sein Erscheinen offen, da er über den Länderfinanzausgleich zu entscheiden habe, dann hatte er aber doch Zeit und pries Berlin als eine Stadt der Toleranz. Insofern trat er nicht schwuler auf als Thierse.

Obschon Wowereit bereits klar gesagt hat, dass er »keine schwule Politik, sondern als Schwuler Politik« mache, sieht man ihn dennoch als »natürlichen« Schwulenaktivsten. Die Siegessäule berichtet, dass weite Teile der schwul-lesbischen Szene zum Zeitpunkt seiner Vereidigung als Nachfolger von Eberhard Diepgen noch nicht wussten, wer und was Klaus Wowereit überhaupt ist.

Dennoch erwarten jetzt, nach seinem öffentlichen Coming Out, nicht nur schwul-lesbische Kreise eine Politik von ihm, die er nie beabsichtigte. Die bürgerliche Presse unterstellte ihm, dass er das Sexualleben der Politiker zu einem Objekt der öffentlichen Debatte mache. »Wir können auf Informationen zu Klaus Wowereits Sexualleben verzichten«, schrieb Jakob Augstein in sichtlicher Panik in der Süddeutschen Zeitung.

Dabei hat Wowereit, wie Elmar Kraushaar in der taz richtig aufgezeigt hat, nicht ein Wort zu seinem Sexualleben gesagt. Die Öffentlichkeit weiß von Wowereits sexuellen Begierden nicht mehr, als dass er auf Männer steht. Diepgen steht vermutlich auf Frauen, zumindest hat er öffentlich in einer Kirche einer Frau sein Jawort gegeben. Hat er damit sein Sexualleben ausgestellt?

Am Beispiel des öffentlichen Umgangs mit Wowereits Coming-out zeigt sich, wie sehr die Ideologie von einer schwulen Identität zu einem Druckmittel wird. Selbst der offizielle Berliner CSD, dessen Gesamtinszenierung sich davon ableitet, dass Schwule und Lesben sich als stolzer Teil der bundesrepublikanischen Mitte präsentieren wollen, kann trotz Zivilgesellschaft, Wirtschaftlichkeit und Brandenburger Tor nicht Teil dieser Mitte werden.

Lesben, Schwule und andere Queere sind zwar offiziell akzeptierter Teil der Gesellschaft, bleiben aber dennoch immer als die Anderen gekennzeichnet. Es gehört zur Identitätspolitik von Teilen der queeren Szene, dieser Ideologie des Andersseins explizit zuzuarbeiten.