Prozess gegen ehemaligen SS-Aufseher

Nicht gesucht und doch gefunden

In München beginnt nächste Woche der Prozess gegen den ehemaligen SS-Aufseher Anton Malloth.

Zwei Täter, ein Tatort: das Gestapo-Gefängnis Kleine Festung Theresienstadt. Nachdem das Landgericht Ravensburg den früheren SS-Untersturmführer Julius Viel wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat, steht nun der nächste NS-Prozess bevor. Vom 23. April an soll in München gegen den ehemaligen SS-Oberscharführer Anton Malloth, 89, verhandelt werden - 55 Jahre nach Kriegsende und 37 Jahre nach Beginn der Ermittlungen.

Ein Gericht im tschechischen Leitmeritz hatte den früheren SS-Aufseher der Kleinen Festung 1948 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Malloths weitere Geschichte ist skandalös, aber nicht untypisch für den Umgang mit NS-Tätern in der Nachkriegszeit. Kurzzeitig saß er in Österreich im Gefängnis, doch man ließ ihn wieder laufen. Wenig später traf das Belastungsmaterial der tschechischen Justiz ein. Anton Malloth ging nach Südtirol und lebte bis 1988 in Meran. Spätestens seit 1968 wussten deutsche Behörden davon, denn sie hatten ihm einen Pass ausgestellt und laufend verlängert, obwohl er 1952 die italienische Staatsangehörigkeit angenommen hatte.

Eine Zeitlang galt Anton Malloth als tot. Aus Wien war an die deutschen Behörden die Nachricht ergangen, er sei nach dem Urteil von 1948 hingerichtet worden. Als die deutschen Ermittler erfuhren, dass er in Italien lebte, fragten sie in Meran nach. Das örtliche Gericht antwortete, Malloth sei 1972 ausgewiesen worden, sein Aufenthalt sei unbekannt. Dabei war aktenkundig, dass er nach wie vor in Meran lebte.

1979 stellte die Zentralstelle der Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen gegen ihn ein, da sei Wohnort nicht ermittelt werden konnte. 1988, als Italien Malloth überraschend nach Deutschland abschob, ermittelte sie erneut, stellte das Verfahren aber bald wieder ein. Im April 1993 wurde bekannt, dass in der DDR ein Verfahren gegen einen Aufseher der Kleinen Festung stattgefunden hatte. Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, damals Leiter der Dortmunder Zentralstelle zur Bearbeitung von NS-Verbrechen, wertete das Material aus und reiste mit einem Dolmetscher nach Tschechien. Tausende von Kopien wurden angefertigt, übersetzt und ausgewertet, Zeugen wurden vernommen. So erklärte Klaus Schacht auch die »teilweise lange Dauer« der Ermittlungen.

Ende 1998 schließlich hielt er eine Anklage für möglich, stellte aber im Juni 1999 das Verfahren wiederum ein. Denn Urkunden und sonstige Dokumente, mit deren Hilfe Malloth »ein noch nicht verjährtes Tötungsverbrechen hätte nachgewiesen werden können, sind auch bei der Auswertung der nunmehr von den tschechischen Behörden zur Verfügung gestellten Archivmaterialien und Gerichtsakten nicht aufgefunden worden«. Zwar sei »generell« davon auszugehen, dass Malloth sich »in brutaler Weise an Leib und Leben von Gefangenen vergangen« habe. Das allein reiche zur Anklageerhebung aber nicht aus, es fehlten Beweise für konkrete Straftaten. Der Fall Malloth schien erledigt.

Doch dann legte im Oktober 1999 die tschechische Justiz neues Beweismaterial vor. Der Fall wurde an die Staatsanwaltschaft München I abgegeben, und die dortige Polizei nahm Malloth im Juni letzten Jahres fest. Die Anklage lautet auf dreifachen vollendeten und einfachen versuchten Mord. Malloth soll einen jüdischen Häftling mit 20 Stockschlägen und Fußtritten getötet haben, weil dieser sich nicht ordnungsgemäß »gemeldet« hatte. Zwei weitere Häftlinge habe er im Winter dazu gezwungen, sich im Freien auszuziehen, und einem anderen Häftling sodann befohlen, sie mit kaltem Wasser zu bespritzen. Ein tschechischer Zeuge sagte aus, dass Malloth einen jüdischen Häftling, der einen Blumenkohl verstecken wollte, mit einem Stock schlug und dann auf ihn schoss. In diesem Fall lautet die Anklage nur auf versuchten Mord, weil der Tod des Häftlings nicht sicher nachzuweisen sei.

Eine Kartei zum Verfahren »Kleine Festung Theresienstadt« der Zentralstelle Dortmund aus dem Jahr 1970 deutet darauf hin, dass Malloth darüber hinaus an den Verbrechen beteiligt war, die am Panzergraben zwischen Theresienstadt und Leitmeritz begangen wurden. Sein Name erscheint hier häufig im Zusammenhang mit Tötungen und Misshandlungen.

Der Fall Anton Malloth wirft Fragen auf. Deutsche Staatsanwälte wundern sich darüber, dass die Dortmunder Ermittlungen so lange ergebnislos verliefen und die Münchner Staatsanwaltschaft nun so schnell Anklage erheben konnte. Der Kölner Schriftsteller Peter Finkelgruen, dessen Großvater nach Aussage einer Zeugin von Malloth ermordet wurde, kritisiert die Ermittlungspraxis seit Jahren. Efraim Zuroff, der Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, hat sich ebenfalls im Fall Malloth engagiert. Er versuchte, die Prager Regierung zu bewegen, die Auslieferung Malloths zu verlangen. »Das Wichtigste an dem Fall ist«, so Zuroff, »dass Malloth nach so langer Zeit endlich für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird.«

Eine Kritikerin, die ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen in Nordrhein-Westfalen Brigitte Schumann, stellte Strafanzeige gegen Klaus Schacht wegen Strafvereitelung im Amt und Verschleppung der Emittlungen. Die Vorgehensweise aller Beteiligten erweckt tatsächlich den Eindruck, dass der Wille fehlte, Malloth vor Gericht zu stellen. Der »schöne Toni«, wie er früher genannt wurde, scheint einflussreiche Freunde zu haben. Auch in Tschechien wollte man ihn nur dann anklagen, wenn er nicht in Deutschland vor Gericht gestellt würde. Das tschechische Todesurteil gegen Malloth ist 1968 aufgehoben worden, und einen Auslieferungsantrag hat Tschechien bis heute nicht gestellt, obwohl das möglich wäre. Denn Malloth ist staatenlos, sein Pass wurde eingezogen; er selbst klagt gegen diese Entscheidung.

Die Strafsache Anton Malloth wird nicht der letzte NS-Prozess sein. Bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg sind noch 24 förmliche Vorermittlungsverfahren anhängig, die einer Staatsanwaltschaft zugeleitet werden können. In weiteren Verfahren wird geprüft, ob eine Vorermittlung sich lohnt - etwa im Fall Cefalonia, der Tötung Tausender italienischer Soldaten durch deutsche Gebirgsjäger im September 1943. Der Fall des mutmaßlichen holländischen NS-Verbrechers Dirk H., der heute unter falschem Namen als Dieter H. in Hessen leben soll, wird wohl noch hinzukommen.