»Dynamo Kiew - Legende einer Fußballmannschaft«

Helden auf Rente

Der Film »Dynamo Kiew - Legende einer Fußballmannschaft« zeigt, was aus den Spielern wurde, die einst Bayern München schlugen.

Haben Sie noch Angst vor Gerd Müller?« wird Jewgeni Rudakow gefragt. Er lacht, »jetzt nicht mehr«. Rudakow war der Torwart der legendären Mannschaft von Dynamo Kiew, die 1975 im Supercup Bayern München schlug. Das Hinspiel gewann Kiew 1:0, das Rückspiel 2:0. Deutschland war im Vorjahr Weltmeister geworden, war amtierender Europameister, und die Namen Beckenbauer, Müller, Meier hatten für Kicker auf der ganzen Welt etwas Furchtbares. Aber Rudakow kassierte von Gerd Müller kein Tor.

Der Gegenspieler von Gerd Müller hieß in beiden Spielen Stefan Reschko. Müller habe sich beschwert, dass er ihn zu eng gedeckt habe, erzählt Reschko heute. »Er hat sich so aufgeregt, dass er sogar die Gelbe Karte sah. Das werde ich nie vergessen.« Reschko lacht noch heute darüber. »Für mich war es damals die beste Zeit«, sagt Oleg Blochin. »Ich mochte den Fußball und wusste, dass wir guten Fußball spielen.« Und er, der Stürmer, spielte den besten Fußball. »Wir haben damals unseren Wert gar nicht begriffen«, sagt Blochin, der mit 122 Punkten vor Franz Beckenbauer (42) und Johan Cruyff (27) zu Europas Fußballer des Jahres gewählt wurde. »Bayern hatte so viel Reklame. Da haben wir uns klein gefühlt.«

Oleg Blochin, Jewgeni Rudakow und Stefan Reschko sagen das alles in einem neuen Film, der unregelmäßig in etlichen Programmkinos Deutschlands läuft. Er heißt »Dynamo Kiew - Legende einer Fußballmannschaft«, wurde gedreht von den Hamburger Filmemacherinnen Alexandra Gramatke und Barbara Metzlaff. Im August soll er auch auf Arte zu sehen sein.

Gramatke und Metzlaff spüren der damals besten Mannschaft der Welt nach, dem »roten Orchester«, wie es im Westen oft genannt wurde. »Zum einen, weil wir beide Fußball mögen, zum andern, weil ich Russisch kann«, trägt Alexandra Gramatke zur Begründung vor. Gute Filme brauchen keine umständlichen Legitimationen.

Fast alle Dynamo-Spieler von einst leben heute noch in Kiew. Lediglich Blochin, schon damals herausragender Star im Kollektiv, arbeitet als Trainer in Griechenland, aber er kommt noch oft in seine Geburtsstadt. Wer in Kiew lebt, gehört auch zur Veteranenelf. Die alten, schon etwas füllig gewordenen Herren tingeln in Dynamo Kiew-Trikots über die Dörfer und verdienen sich so etwas Geld hinzu.

Auch da begleitet sie die Kamera. Der Film wechselt zwischen den Archivaufnahmen, die den großen alten Fußball zeigen, und den Veteranen von heute, und auch bei den alten Bildern achteten die Filmemacherinnen darauf, Nahaufnahmen zu finden, möglichst Porträts: die Spieler sind interessant, nicht der moderne Fußball, den sie als Kollektiv spielten.

Nach einem dieser Dorfspiele sitzt Jewgeni Rudakow mit verschwitztem roten Unterhemd in einer heruntergekommenen Umkleidekabine. Ein Fan, der wie ein Bauer aussieht, geht zu dem Torwartidol seiner Jugend. Man sieht förmlich, wie sich der Mann ein Herz fasst. »Solange ich lebe, bin ich Ihr Fan«, sagt er, »gebe Gott ihnen Gesundheit.« Er beugt sich leicht nach vorne und fügt hinzu: »Ich konnte nie schlafen, wenn Sie gespielt haben.« Rudakow schaut müde und verständnislos hoch: »Und wie schlafen sie jetzt?« Der Fan ist zu aufgeregt, um die launig nette Nachfrage zu beantworten.

Der Film zeigt, wie sich der Ruhm dieser Mannschaft gehalten hat, und wie er sich für die Akteure bis heute auch finanziell auszahlt, ohne dass sie jemals das ganz große Geld gemacht hätten. Alle haben geräumige Wohnungen in einer vornehmen Gegend Kiews, die sie noch als Aktive erhielten. Für den Gewinn des Supercups bekam jeder Spieler ein Auto der Marke Wolga. Und nach der Karriere unternahmen die meisten irgendetwas, bei dem es um Fußball geht.

Jewgeni Rudakow, der Torwart, unterrichtet in einem Sportinternat, sein Gehalt wird ihm nicht regelmäßig überwiesen. Stefan Reschko, der Müller-Bewacher, heute als Polizeioffizier für die Sicherheit im Stadion verantwortlich, berichtet, er habe von Beckenbauer gehört, die Bayern hätten 15 000 Mark Prämie für ein Spiel erhalten; für die Dynamos aber gab es nur umgerechnet 400 Mark.

Sie galten in ihrem Land als Profis, als Fußballer auf Welt- und Westniveau, wenn sie von ihren Reisen zurückkamen, trugen sie karierte Sakkos, gestreifte Hemden und quergestreifte Krawatten. Hässlich, aber westlich. Auch dieses erschütternde Bild wird von den Filmemacherinnen gezeigt.

Als die Sowjetunion zerfiel, ging nur Einer in den Westen: Oleg Blochin, doch er war schon 36, als er 1988 bei Vorwärts Steyr anfing. »Alles musste ich lernen«, berichtet er, in einem Kiewer Restaurant sitzend, mit sympathischer Naivität von seinen Erfahrungen in Österreich. »Ich musste sogar lernen, wie man mit dem Auto parkt. Einmal hatte ich einen Strafzettel, weil ich zu lange vor dem Hotel gestanden hatte. Das habe ich nicht verstanden. Schließlich spielte ich doch in einer Fußballmannschaft. In Kiew wäre es unmöglich gewesen, dass Oleg Blochin einen Strafzettel bekommt.«

Was Blochin während Gorbatschows Perestroika erlebte und mittlerweile hinter sich gelassen hat, ist immer noch der Alltag seiner alten Kollegen. Sie sind irgendwo angesiedelt zwischen dem erfolgreichen Staatsamateur und dem auf sich selbst gestellten ehemaligen Profi. Da können sie überleben, da werden sie geachtet. Aber da werden sie nicht reich und nur selten verehrt. Bis heute leben die Dynamo-Veteranen irgendwie vom Fußballverband. Sie sind mit Ausnahme Blochins immer noch Staats- oder Verbandsamateure. Der heutige Club Dynamo Kiew zahlt einigen Spielern eine kleine Rente und stellt die Trikots für die Veteranenelf. Ansonsten brauchen die alten Herren Privatsponsoren, und die finden sie, indem sie von Betrieben oder Städten eingeladen werden. Im Film sagt ein Funktionär, der die Veteranen verpflichtet hat: »Das wird ein Festtag für alle.« Niemand macht dabei den Eindruck, als würde es ein Festtag.

Einige »Sputniks«, wie man sie früher nannte, trauern verpassten Chancen nach. Viktor Matwienko, den sie früher den »schönen Viktor« riefen, schimpft über den Reichtum des heutigen Clubs. »Wer hat denn den Namen Dynamo Kiew in Europa bekannt gemacht?«

Gegen Ende des Films sieht man eine Szene aus der Gegenwart. Der heutige Star Andrei Schewtschenko, der 1999 für 25 Millionen Dollar von Kiew zum AC Mailand wechselte, geht cool auf kreischende Mädchen zu und gibt ihnen Autogramme. Man kann sich von keinem der älteren Herren vorstellen, dass er solche Rituale verkraftet hätte. Wahrscheinlich nicht mal Oleg Blochin.

»Dynamo Kiew - Legende einer Fußballmannschaft«, Deutschland 2000, 60 Minuten, R: Alexandra Gramatke und Barbara Metzlaff, Start: 12. April (Berlin), 10. Mai (Hamburg)