»Körperwelten« und »Conserving«

Hagen’s Leichen

Seit Februar gastiert die Ausstellung »Körperwelten« in Berlin und sorgt für Kontroversen.

Tokio, Mannheim, Wien, Basel, Köln und Oberhausen. Die Ausstellung »Körperwelten« ist in den letzten fünf Jahren weit herumgekommen, da darf auch Berlin nicht fehlen. Seit Mitte Februar gastiert die Ausstellung des Heidelberger Anatoms Gunther von Hagens in der Hauptstadt. Knapp 300 000 Besucher haben seither die Ganzkörper-Präparate und Leibscheiben im Ausstellungsgebäude am Ostbahnhof gesehen.

Eine Ausstellung wie »Körperwelten« wurde erst durch das Plastinationsverfahren möglich, das Hagens entwickelt hat und mit dem selbst ganze Körper auf eine sehr stabile Art präpariert werden können. Im Gegensatz zu Präparaten, die in Alkohol und Formalin konserviert sind, haben die so genannten Plastinate den Vorteil, dass sie ihre natürlichen Farben behalten und dass man längere Zeit mit ihnen arbeiten kann, ohne dass Verwesungsprozesse einsetzen.

Was für die medizinische Forschung hilfreich ist, meint Hagens, sollte auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. So eröffnete er eine Publikumsschau, die den Besucher dazu verführt, die ausgestellten Präparate zu berühren. Hagens knüpft damit an die Tradition des anatomischen Theaters an, an Ausstellungen, die ab dem 18. Jahrhundert stattfanden, und die ihren Zuschauern anhand von Präparaten und Modellen das »göttliche Wunderwerk« des Körpers nahe bringen wollten. Erst mit der Aufklärung wichen diese Ausstellungen dem Ideal vom streng wissenschaftlichen Umgang mit dem menschlichen Körper, bei dem zwar auf das »Göttliche« verzichtet, der Körper jedoch zu einer Angelegenheit der Experten wurde. Nichtmediziner bekamen kaum noch Bilder vom Inneren des Körpers zu sehen.

Das ist bis heute so geblieben. Und deshalb glaubt Hagens, mit seiner »Körperwelten«-Show Aufklärung zu betreiben. Die »Faszination des Echten« - so der Werbeslogan der Ausstellung - ist jedoch stark gekünstelt, denn Hagens arrangiert seine Exponate zum Teil in besonders spektakulären Posen. So gibt es Schachspieler und aufgeklappte Präparate, die sich feilbieten, oder einen Reiter, der auf einem sich aufbäumenden Pferd thront und sein Gehirn in der Hand hält. Diese Arrangements scheinen sich an den Spukbildern der voraufklärerischen Zeit zu orientieren. Doch dabei sollte man nicht vergessen, dass es sich bei dem hier präsentierten »Material« um Tote handelt.

Bei vielen Objekten die in »Körperwelten« gezeigt werden, geht der wissenschaftliche Erkenntniswert gegen Null. Hier setzt eine ernst zu nehmende ethische Debatte an. Einige christliche Gruppen etwa veranstalten in Berlin Gedenkgottesdienste für die in »Körperwelten« ausgestellten Toten, andere protestierten vor der Ausstellung. Ihre Kritik richtet sich meist nicht gegen die Methode der Plastination, auch haben sie gegen den wissenschaftlichen Gebrauch der Präparate nichts einzuwenden. Ihr Protest richtet sich gegen das Spektakelhafte der Präsentation in »Körperwelten«. Hagens gehe es »darum, den menschlichen Körper in neuer Gestalt zu präsentieren und den Blick auf die Anatomie mit neuen Sehgewohnheiten aufzuladen«.

Hierbei vergleiche er »den Organismus, welchen er bearbeitet, mit dem Stein, aus welchem der Bildhauer seine Formen schlägt. Um den Körper allerdings in dieser Weise als Bildmasse freizugeben, bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses. Solange es dieses Einvernehmen nicht gibt, muten etliche Gestalten, die die 'Körperwelten' bevölkern, wie Produkte eines fragwürdigen Spielens mit der menschlichen Natur an«, schrieb der Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums in der Charité, Thomas Schnalke, in der Berliner Zeitung. Hagens jedoch sieht sich durch den Besucherandrang in seinem Tun gerechtfertigt.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, wird in seiner Kritik deutlicher. Nicht nur, dass er es als Mensch jüdischen Glaubens nicht tolerieren kann, Toten die Beerdigung zu verweigern, er sieht auch gesellschaftliche Kräfte am Werk: »Man muss sich nicht wundern, wenn in einer Spaß-Gesellschaft nun eben der Spaß am toten Körper aufkommt«, sagte er der Welt am Sonntag.

Die Ausstellung sei möglicherweise die »logische Konsequenz dessen, was im 20. Jahrhundert schon passiert ist. Da wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme hergestellt. Primo Levi hat wohl Recht: 'Was einmal geschehen ist, kann immer wieder geschehen.'« Dennoch hat die Jüdische Gemeinde von Protesten abgesehen, da sie befürchtete, man unterstelle ihr anderenfalls, sie drohe mit der »Auschwitz-Keule«. Derartige Bedenken bestehen in der Gemeinde nicht zu Unrecht: Hagens warf Nachama in einer Stellungnahme vor, er gefährde »den Ruf der Jüdischen Gemeinde als ernst zu nehmende moralische Institution«.

Gleichzeitig mit den »Körperwelten« findet im Berliner Medizinhistorischem Museum eine andere Ausstellung statt. Das Museum war 1899 von dem Anatomen Rudolph Virchow gegründet worden, um organische Präparate für die Lehre, aber auch für die Öffentlichkeit auszustellen. Zurzeit findet dort eine Sonderausstellung des Künstlerpaares Daniel und Geo Fuchs statt, die Fotografien von tierischen und menschlichen Nasspräparaten gemacht haben. Damit stellen sie anatomische Präparate, wie sie etwa im Medizinhistorischen Museum gezeigt werden, in ästhetisierter Weise dar, allerdings ohne sie zu manipulieren. Die Ästhetisierung wird dadurch verdeutlicht, dass die Originale, die aus der Sammlung der Charité stammen, neben die entsprechenden Fotos gestellt worden sind.

Aber auch diese Ausstellung ist nicht vor Missbrauch gefeit - wie keine, die sich mit dem Thema Tod und Krankheit auseinandersetzt. Und tatsächlich haben Geo und Daniel Fuchs sich nicht entblödet, die Mitglieder der Band Rammstein in gleicher Weise für ein Tourplakat abzulichten. Doch die Bandmitglieder von Rammstein sind nicht tot, und die Darstellung ist von ihnen selbst gewählt geworden. Im Gegensatz zu »Körperwelten« bietet sich die Ausstellung in der Charité aber nicht aggressiv für einen Missbrauch an. Ihr Titel »Conserving« macht klar, dass es allein um die Darstellung einer Konservierungsmethode geht. Der Titel »Körperwelten« hingegen gibt die ausgestellten Objekte bereits zur ungehinderten (Um-)Gestaltung frei, er klingt nach Expedition und Exotik.

Der selbst ernannte »Tabubrecher« Hagens gibt oft zu Protokoll, dass »Körperwelten« mit dem gesellschaftlichen Konsens breche. Das stimmt nicht: Die Ausstellung folgt einer Verwertungslogik, die aus der Gen- und Euthanasiedebatte bekannt ist, und die den Körper - ob tot oder lebendig - zur Ware degradiert. Anders als etwa das Medizinhistorische Museum oder Geo und Daniel Fuchs belässt Hagens seine Präparate nicht im wissenschaftlichen Umfeld oder bildet sie nur ab. Nein, er benutzt die Toten, um sich an ihnen sowohl finanziell als auch zu Ruhmeszwecken zu bereichern. Und er behandelt sie wie seinen privaten Besitz: Er kann sie arrangieren, verfälschen oder in entwürdigender Weise darbieten. Auch deshalb ist »Körperwelten« ein Teil des neuen bioethischen Mainstreams.

Geo und Daniel Fuchs: »Conserving«, bis zum 29. April im Berliner Medizinhistorischen Museum in der Charité. Im Institut für Anatomie der Charité findet derzeit eine Vorlesungsreihe zur Ausstellung »Körperwelten« statt.

»Körperwelten«, bis zum 1. Juli, Alter Postbahnhof am Ostbahnhof Berlin