Blauäugig bombardiert besser

Die Zustimmung der Grünen zum Kosovo-Krieg konnte eigentlich niemanden verblüffen. Spätestens seit 1995 traten immer mehr Mitglieder für militärische Interventionen ein.

Man weiß es spätestens seit Beginn des letzten deutschen Kriegs: Angelika Beer hält es mit den Fakten etwa so wie mit ihrem Bauch. Je nach Tagesform fühlt sie sich manchmal sehr wohlig, manchmal zerrissen. Und oft unheimlich betroffen. Zum Beispiel wenn Kriegsfreund Rudolf Scharping von den serbischen Terroristen erzählt, die in ihren Konzentrationslagern albanische Föten grillen. In solchen Fällen kann die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen einfach nicht weghören.

Ganz öffentlich und gefühlsecht sinniert die frühere Kriegsgegnerin dann zum Beispiel über den »tiefen inneren Konflikt« in dem letztlich doch die Überzeugung siegt, dass der Schlächter vom Balkan mitsamt seiner ganzen Serbenbande in die ewigen Jagdgründe geschossen werden muss. Zumal Parteifreund Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, im Vorgehen des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic »Kategorien der Nazi-Politik« entdeckte und Frontmann Joseph Fischer das Kosovo ohnehin längst für ein weiteres Auschwitz hielt.

Selbstredend blieb bei so viel Einsatz für die Menschenrechte manch anderes auf der Strecke. Etwa ein paar Facts über die Verhältnisse im Feindesland. Oder der Inhalt des Abkommens von Rambouillet, für den die Nato-Flieger im Frühjahr 1999 die serbische Zustimmung herbeibomben sollten. Was der verhasste Balkan-Hitler tatsächlich hätte unterschreiben sollen, erfuhr die grüne Militärexpertin Beer erst Wochen später, nachdem sie dem völkerrechtswidrigen Bombardement zugestimmt hatte. »Wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich die Diskussion um die Nato-Angriffe anders geführt.«

Ein klarer Fall also. Wie sonst hätte Beer wenige Monate nach dem Ende des humanitären Friedenseinsatzes bekennen können: »Ich bin Antimilitaristin.« Und als Fischer im Februar dieses Jahres in Washington Verständnis für den US-amerikanisch-britischen Luftangriff auf Bagdad gezeigt hatte, schimpfte Beer, ganz die Alte, schon wieder über das »völkerrechtswidrige« Vorgehen der Nato-Partner, um im nächsten Satz ihren deutschen Außenminister zu bestärken: »Die Partei steht hundertprozentig hinter ihm.«

Die Frau sollte Bundesvorsitzende werden. Oder Fraktionssprecherin. Ach was, am besten sollte sie gleich alle Posten übernehmen, die ihre grüne Partei zu bieten hat. Man könnte Angelika Beer eine ideelle Gesamtgrüne nennen. Was sonst im Milieu der Partei immer als unheimlich aufgeregter Linienkampf inszeniert wird, verkörpert die Militärexpertin in einer Person: moralische Heuchelei, pragmatisches Handeln und vorbehaltlosen Opportunismus.

Hätten die Grünen nur solche Mitglieder, wie einfach wäre es gewesen, die Notwendigkeit dieses ersten deutschen Krieges nach der großen Schlappe von '45 zu erklären: keinen Fischer, keinen Rezzo Schlauch, keinen Daniel Cohn-Bendit hätte es als bad guy gebraucht. Und man hätte keine Zeit damit verschwenden müssen, die Reden eines Christian Ströbele, einer Annelie Buntenbach oder einer Bärbel Höhn zu schreiben, die sich für die gute Sache - also gegen Bomben - ins Zeug legten. Nicht zuletzt hätte man auf das seltsame Biotop verzichten können, das »Bellizisten« wie »Pazifisten« gern ins Spiel bringen: die grüne Basis.

Spätestens seit 1995 hat sich auch im militärischen Verständnis der Grünen ein selbstzufriedenes anything goes durchgesetzt. Um genauer zu sein: Vorher, Anfang der neunziger Jahre hatten jene, denen der pazifistische Gemischtwarenladen schon immer auf die Nerven ging, einfach die Klappe gehalten. Noch formulierte man einmütig im Programm für die Bundestagswahl 1990 Sätze wie: »Die Nato betreibt mehr und mehr auch die Absicherung ökonomischer Interessen der EG und der USA, um deren 'vitale' Ausbeutungsinteressen in Ländern der 'Dritten Welt' durchzusetzen.«

Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1990 war Schluss mit solchen Ansichten. Besonderen Weitblick bewies der Tabubrecher Cohn-Bendit, als er 1994 erklärte: »Wenn Fischer einmal Außenminister ist, wird er diese Haltung nicht beibehalten können.« Die »Haltung« des Freundes aus militanten Zeiten, man dürfe keine deutschen Soldaten zu einer militärischen Intervention in den Balkan schicken, sollte sich sowieso bald ändern. Wusste doch auch Fischer, was der Europaabgeordnete Cohn-Bendit den Grünen ins Stammbuch schrieb: »Eine Partei, die auf Bundesebene regierungsfähig sein will, muss in der Außenpolitik zu einer Linie finden, die von den Bündnispartnern akzeptiert wird.«

Das Signal war eindeutig, und jeder, der es verstehen wollte, konnte es verstehen. Wer das neue Deutschland regieren will, der muss, wie Fischer später selbst erklärte, »Kontinuität in der Außenpolitik« garantieren. Wie diese Kontinuität auf dem Balkan nach der Anerkennung von Kroatien und Slowenien im Jahr 1992 auszusehen hatte, war offensichtlich. Angesagt war die gezielte Parzellierung Jugoslawiens in ethnische Einheiten, um mit der Deutschmark für neues Glück zu sorgen. Streng nach der Devise des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe galt es, »Normalität Schritt für Schritt durchzusetzen«.

Das jedenfalls hatten alle in der grünen Partei verstanden. Als im Juni 1995 vier Abgeordnete im Bundestag für die deutsche Beteiligung an Militärinterventionen in Bosnien votierten, hielt sich folgerichtig die Aufregung in Grenzen. Als wollte man den Bonner Vorstoß der Bundesparlamentarier nachträglich gutheißen, stimmten schon auf dem Bremer Parteitag im Dezember des Jahres 37 Prozent der Delegierten dafür, Kampfeinsätze im Falle von »Völkermord« zu unterstützen.

Man begnügte sich dann zunächst mit einer etwas bescheideneren Alternative und erteilte leicht bewaffneten zivilen Einheiten, die der Uno oder der OSZE unterstehen sollten, eine Zusage. Zweifel über das Ziel konnte es aber auch damals nicht geben. Schließlich erklärte Fischer unmissverständlich: »Falls die Partei die fundamentale Absage an militärische Gewalt ernst meint und für eine Abschaffung der Bundeswehr und den Austritt aus der Nato Planungen vorlegt, wird sie für eine Regierungsbeteiligung im Bund weder einen Partner noch eine Mehrheit finden. Alle wissen es, aber keiner sagt es.«

Aber warum auch hätte man es immer wieder sagen sollen? Schließlich gab es genügend Tabubrecher, die aussprachen, was auszusprechen war, und zudem noch eine Projektionsfläche für oppositionelle Aufregung boten. Parteiaustritte blieben trotzdem selten, und die skeptischen Geister beruhigte der Außenpolitikexperte Volmer: »Nicht jede Gewalt ist militärische Gewalt.«

Alles war geregelt. Für die Pragmatiker war der Weg zur Kriegspartei vorgezeichnet, für die pazifistische Seele lieferte der Parteitag von Magdeburg den nötigen Balsam. Wenige Monate vor der Bundestagswahl 1998 wurde dort ein Forderungskatalog formuliert, der einer stärkeren Beteiligung der Bundeswehr im Rahmen des Uno-Einsatzes in Bosnien eine Absage erteilte. »Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab«, hieß es. Und als hätte man es betonen müssen: »Wenn wir von den Wählern und Wählerinnen den Auftrag bekommen, werden wir tun, was wir gesagt haben.« Ein halbes Jahr später, Fischer war noch nicht einmal im Amt, stimmte die frisch gewählte Regierungspartei dem Bombardement Serbiens und der Entsendung von 6 000 Soldaten samt Tornados zu.

»Aber jetzt!« mochten jene gehofft haben, die den Glauben an die gealterten Friedenskämpfer immer noch nicht aufgeben wollten. Und in der Tat schien die Aufregung nach dem Beginn des Angriffskrieges groß. Wenn auch Fischers Auschwitz-Vergleich bei den alternativen Menschenfreunden gut ankam, erinnerten die Bilder ermordeter Zivilisten doch zu sehr an jene Pappschilder, die man einst vor Militärstützpunkten im schwäbischen Mutlangen oder pfälzischen Rammstein den Nato-Raketen entgegengehalten hatte.

Einige Grüne kündigten ihren Austritt an, andere weigerten sich, für die Partei in den Europawahlkampf zu ziehen, ja, sogar von einer Spaltung war die Rede. Der grüne Kriegsgegner Uli Cremer versprach: »Es werden weiße Flecken auf der grünen Landkarte entstehen, weil einige Kreis- und Ortsverbände einfach aufhören, zu existieren.« Darauf wartet man bis heute vergeblich. Kein einziger Verband wurde aufgelöst, und die paar hundert Aussteiger dürften in der Masse von etwa 51 000 Mitgliedern kaum aufgefallen sein. Jene »unendliche Unruhe«, die Ströbele angesichts des Bombenterrors in Aussicht stellte, erledigte sich schnell. Der Bundestagsabgeordnete selbst und mit ihm Höhn, Buntenbach und andere Parlamentarier sorgten dafür, dass die parteieigenen Kriegsgegner zur moralischen Schützenhilfe für Fischers Bombentruppen wurden.

Zwar forderten sie auf dem Bielefelder Parteitag im Mai 1999 eine bedingungslose Unterbrechung des Bombardements, konnten sich jedoch mit 318 Delegierten nicht gegen 444 kriegswillige Grüne durchsetzen. Auch ein anderes Ergebnis hätte die Sache nicht geändert, schließlich ließ Frontkämpfer Fischer schon vorab wissen: »Entscheidend ist doch nicht, ob die Partei mir folgt oder nicht. Der Minister hat persönliche Verantwortung.« Ernsthafte Konsequenzen hatte man aber ohnehin nicht erwartet. »Wir wollen weder aus der Koalition raus, noch unseren Außenminister in Frage stellen«, beteuerte Kriegsgegner Ströbele. Warum dann nicht gleich auf solche Beschlüsse verzichten? »Dann bräuchte man keine Parteitage zu veranstalten und könnte die Partei zumachen.« Eine gute Idee.

Aber wen sollen dann all die erbärmlichen Opportunisten wählen, die sich selbst genau dort eingerichtet haben, wo auch ihre Partei eine politische Heimat gefunden hat: zwischen konsequenzlosem Geschwätz, moralischer Selbstgefälligkeit und deutschem Pragmatismus?