Wanderausstellung über Sinti und Roma in der NS-Zeit

Aus Sicht der Opfer

Die Wanderausstellung über den »nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma« ist in Berlin angekommen. Die Kontinuität des Antiziganismus in Deutschland wird nicht thematisiert.

Wir sind wie die Juden verfolgt worden.« So lautet die zentrale Aussage der Wanderausstellung »Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma« des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma. Die Ausstellung, die derzeit in der Berliner Staatsbibliothek gezeigt wird, dokumentiert die Verfolgungsgeschichte von Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Sinti und Roma waren im NS von Anfang an aus rassistischen Motiven diskriminiert und entrechtet worden. Dies zu verdeutlichen, ist eines der Hauptanliegen der Ausstellungsmacher.

Bereits 1935 waren die Nürnberger Gesetze analog auf Sinti und Roma übertragen worden. Die Kommentatoren des so genannten Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, Hans Globke und Wilhelm Stuckart, begründeten dies damit, dass neben den Juden und den »Negern und ihren Bastarden« auch die »Zigeuner« zu den »Trägern nichtdeutschen oder artverwandten Blutes« gehörten. Am 8. Dezember 1938 gab dann Heinrich Himmler öffentlich die »endgültige Lösung der Zigeunerfrage« - »aus dem Wesen dieser Rasse heraus« - bekannt.

Diesen Worten folgten bald schon Taten. Im folgenden Jahr, am 16. Oktober 1939, ordnete Himmler an, dass alle deutschen Sinti und Roma ihre Wohnorte - viele von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt bereits in speziellen »Zigeunerlagern« interniert - nicht mehr verlassen dürften. Kurz darauf, am 30. Januar 1940, wurde die Deportation der Sinti und Roma in das besetzte Polen beschlossen. Diese verzögerte sich zunächst wegen der Einsprüche des Generalgouverneurs Hans Frank. So waren im April 1940 bereits 2 500 deutsche Sinti und Roma nach Polen deportiert worden, die restlichen Opfer deportierten die Nazis erst zu Beginn des Jahres 1943 in das so genannte Zigeunerlager im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, wo die meisten von ihnen ermordet wurden.

Sinti und Roma sind nicht nur in Auschwitz, sondern auch in anderen Konzentrationslagern ums Leben gekommen; insgesamt waren es schätzungsweise 500 000. Die meisten wurden jedoch außerhalb der Lager von Angehörigen mobiler Tötungseinheiten - den so genannten Einsatzgruppen - und der Wehrmacht erschossen. Der Bevollmächtige Kommandierende General in Serbien, Harald Turner, hat dies in einem Rundschreiben vom 26. Oktober 1941 an alle Feld- und Kreiskommandeure folgendermaßen begründet: »Grundsätzlich ist festzulegen, daß Juden und Zigeuner ganz allgemein ein Element der Unsicherheit und damit der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen. Es ist der jüdische Intellekt, der diesen Krieg heraufbeschworen hat und der vernichtet werden muß. Der Zigeuner kann auf Grund seiner inneren und äußeren Konstruktion kein brauchbares Mitglied einer Völkergemeinschaft sein. Es ist festgestellt worden, daß das jüdische Element an der Führung der Banden erheblich beteiligt und gerade Zigeuner für besondere Grausamkeiten und den Nachrichtendienst verantwortlich sind. (...) Es sind deshalb grundsätzlich in jedem Fall alle jüdischen Männer und alle männlichen Zigeuner als Geisel der Truppe zur Verfügung zu stellen.«

Knapp ein Jahr später, im Oktober 1942, meldete Turner Vollzug: »Serbien ist einziges Land, das juden- und zigeunerfrei ist.« Turners Meldung war nicht von Dauer. Serbien war zwar das erste, aber nicht das einzige Land, das »juden- und zigeunerfrei« gemacht worden war.

Die Shoah und der Massenmord an den Sinti und Roma waren geradezu synchron durchgeführt und mit zumindest vergleichbaren rassistischen Motiven begründet worden. Dies haben die Täter nach 1945 auch bereitwillig zugegeben. So erklärte etwa Otto Ohlendorf, der Leiter der Einsatzgruppe D, auf die Frage der alliierten Vernehmer, was mit den »Zigeunern« geschehen sei: »Es ist ebenso wie mit den Juden. (...) Es bestand kein Unterschied zwischen den Zigeunern und den Juden.«

Soweit die Geschichte, die knapp, aber überzeugend in der Ausstellung dokumentiert wird. Doch die Ausstellung ist keineswegs so täterorientiert, wie man angesichts dieser kurzen Zusammenfassung meinen könnte. Sie versucht vor allem, die allgemeine Verfolgungsgeschichte am Beispiel des Lebens und Leidens einzelner Sinti und Roma zu verdeutlichen. Dabei haben die Ausstellungsmacher sehr sparsamen Gebrauch von Fotos der Täter gemacht und zeigen überwiegend private Bilder aus den Familienalben verschiedener Sinti und Roma. Das ist gut, weil es die Würde der Opfer bewahrt.

Zu kritisieren ist jedoch, dass die Ausstellung mit dem Jahr 1945 endet und die Nachkriegsgeschichte kaum einbezieht. Diese aber ist für viele Sinti und Roma die Geschichte einer fortgesetzten Diskriminierung. Auch heute noch sind zwei Drittel der Deutschen antiziganistisch eingestellt; eine Studie von Allensbach spricht von 64 Prozent, eine Emnid-Unfrage gar von 68 Prozent.

Nicht nur die Kontinuität antiziganistischer Vorurteile gegenüber »Zigeunern«, wie Sinti und Roma noch immer häufig genannt werden, ist ungebrochen. Die Bundesrepublik verweigert bis heute Entschädigungszahlungen an diese Opfergruppe. Sinti und Roma seien nicht aus denselben Gründen »wie die Juden« verfolgt worden, sondern weil es sich bei ihnen um »Asoziale« gehandelt habe.

Diese Auffassung hatte zum Beispiel der Bundesgerichtshof 1956 vertreten, der damals entschied, dass alle bis 1943 gegen Sinti und Roma getroffenen Verfolgungsmaßnahmen rechtens gewesen seien, da sie wegen der vermeintlich »asozialen Eigenschaften der Zigeuner« ergangen waren. Das Fehlurteil wurde zwar 1963 etwas abgemildert - so wurden auch jene Maßnahmen, die nach dem oben erwähnten Himmler-Erlass von 1938 gegen Sinti und Roma ergriffen worden waren, als rassistisch motiviert anerkannt. Doch die Revision war halbherzig und unsinnig, weil man einen derartigen Stichtag einfach nicht setzen kann. Zudem kam der Richterspruch für viele anspruchsberechtigte Opfer zu spät und betraf nur jene Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft. Ausländische Sinti und Roma hingegen sind in der Regel nicht anspruchsberechtigt, weil sie nicht zum »deutschen Kulturkreis« gerechnet werden. Und ein Vertrag wie etwa das Luxemburger Abkommen, das mit jüdischen Organisationen und dem Staat Israel bereits 1952 geschlossen worden war, steht bis heute aus. Es hat noch nicht einmal Verhandlungen mit den Repräsentanten der europäischen Sinti und Roma über die Frage der »Wiedergutmachung« gegeben.

Leider wird all dies in der Ausstellung nicht erwähnt, selbst ein Hinweis auf die aktuellen Verhandlungen über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter und, was vielfach übersehen wird, auf die anderen ebenfalls noch nicht entschädigten Opfer des Nationalsozialismus fehlt. Dabei zeigt gerade diese Ausstellung, dass es für deutsche Unternehmer und die so unternehmerfreundliche Bundesregierung keine »Rechtssicherheit« gibt und auch nicht geben darf. Die Geschichte ist nämlich noch keineswegs vorbei. Weder für die Zwangsarbeiter noch für Sinti und Roma, die bis heute nicht entschädigt wurden. Sofern man hier überhaupt von »Entschädigung« und »Wiedergutmachung« reden kann.

Die Ausstellung wird noch bis zum 12. April in der Staatsbibliothek Berlin, Potsdamer Straße 33, gezeigt.