Ein Gespräch mit dem isländischen Wissenschaftshistoriker Skuli Sigurdsson

»PR-Erfolge nur im Labor«

Seit zwei Jahren arbeiten Unternehmen und Behörden in Island gemeinsam am Aufbau einer zentralen Gendatei. Darin sollen die medizinischen und genetischen Daten der Bevölkerung gespeichert werden. Bereits Ende 1998 hatte das Parlament in Reykjavik die flächendeckende Erfassung und Speicherung sämtlicher Gesundheitsdaten beschlossen, das Unternehmen deCode Genetics wurde mit der Ausführung beauftragt. Eng kooperieren wird die Firma dabei mit dem Schweizer Pharmakonzern Hoffmann La Roche. Die abschließenden Staatsverträge stehen kurz vor der Unterzeichnung.

Obwohl das isländische Parlament den Aufbau eines zentralen DNA-Archivs schon vor zwei Jahren verabschiedet hat, wird das Projekt erst jetzt richtig bekannt und der Protest entschiedener. Warum?

Die Idee, die Bevölkerung eines ganzes Land ineiner Datenbank zu erfassen, ist schon beachtlich, auch wenn man berücksichtigen muss, dass Reykjavik nicht größer ist als der Berliner Stadtbezirk Neukölln. Für Aufsehen sorgte aber schon 1996 die Gründung von deCode Genetics, der Firma also, die mit dem Projekt beauftragt werden sollte. Im Februar 1998 wurde ein umfangreicher Vertrag zwischen deCode und Hoffmann La Roche abgeschlossen, der die Erwartungen der Datenbankbefürworter weiter steigerte - und den Ärger der Gegner. Als danach das Gesetz ohne große Debatte durch das Parlament gelangen konnte, war der Unmut in Island schon sehr groß. Die Aufmerksamkeit, die deCode bereits erlangt hatte, sorgte in der Folge dafür, dass die Kritiker jetzt auch international beachtet werden.

Das Beachtliche an der nationalen Datenbank ist, dass Staat und Privatwirtschaft kooperieren. Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?

Zunächst einmal muss gesagt werden, dass die Datenbank noch gar nicht existiert. Auch zwischen deCode und den isländischen Behörden sind noch keine abschließenden Verträge geschlossen worden, obwohl die Firma seit Januar 2000 im Besitz einer Lizenz zum Aufbau der Datenbank ist. Auf der anderen Seite hat das ganze Vorhaben dafür gesorgt, dass deCode im Sommer letzten Jahres an die Börse gehen konnte. Vielleicht muss man sich das Projekt als brillante Inszenierung vorstellen, um die deCode-Aktien an der Techno-Börse erfolgreich zu vermarkten. Allein seit dem Börsengang sind 180 Millionen Dollar in die Kassen von deCode Genetics gespült worden.

Welche Bedeutung messen sie Hoffmann-La Roche in dem ganzen Verfahren bei?

In dem Vertrag mit deCode von 1998 vereinbarten die beiden Unternehmen, dass zunächst zwölf Krankheitsgruppen ins Visier genommen werden sollen, darunter Multiple Sklerose, Schizophrenie und spezielle Knochenmarkerkrankungen. Möglicherweise soll die Gendatenbank dem Versuch dienen, soziale Krankheitsmuster zu modellieren und epidemiologische Studien zu betreiben, die für Versicherungsgesellschaften und Gesundheitsbehörden interessant sind. Beide Firmen behaupten gleichermaßen, genetische Regionen gefunden zu haben, die im Zusammenhang mit den einzelnen Krankheiten stünden. Was real hinter diesen Erfolgsmeldungen steckt, ist schwer zu beurteilen, denn weder deCode noch Hoffmann-La Roche lassen ihre Ergebnisse genauer analysieren. Aber die PR-Meldungen aus ihren Labors haben auf jeden Fall eine Weile wunderbar funktioniert, die Spekulationen an der Finanzbörse anzuheizen.

Befürworter der Gentechnik behaupten, in Island gebe es die ideale Population für eine genetische Rundumerfassung. Kann man wirklich von so etwas wie einem besonders homogenen isländischen Genpool sprechen?

Island besitzt vielleicht ein gutes Gesundheitswesen, aber bio- oder gentechnische Forschung hat es hier bislang kaum gegeben. Von Vorteil für die Durchführung des Projekts war sicherlich, dass schon jetzt viele gesundheitspolitische Daten bei den Behörden gespeichert sind. Da nur 280 000 Menschen in Island leben, ist eine hohe administrative und soziale Homogenität gesichert.

Vielleicht haben die Gründer von deCode anfangs an irgendwelche genetischen Besonderheiten geglaubt, in ihrer PR aber haben sie das nicht mehr besonders herausgestellt. Ich glaube eher, dass die so genannte genetische Homogenität so etwas wie eine Ausgangsthese darstellte, die sich im In- und Ausland gut verkaufen ließ, obwohl sie mit den Tatsachen nicht in Einklang zu bringen ist. In der endlosen Rede über genetische Homogenität wurde niemals klar gemacht, worin der Vorteil für die humangenetische Forschung besteht. Erst seit letztem Sommer werden die kritischen Fragen gestellt, die die euphorischen Erwartungen an die Datenbank dämpfen. Zumindest an diesem Punkt zeigt sich, dass die isländische Bevölkerung wohl doch nicht so sozial konform sein kann, wie immer behauptet wird.

Wie wehren sich Bevölkerung und Ärzteschaft denn gegen die zentrale Genspeicherung?

Nach der Gründung von deCode wurde ein nationales Bioethik-Komitee einberufen, das die Praxis von deCode und anderen Unternehmen strenger regulieren wollte. Doch als mehrere Biotechnik-Firmen dagegen protestierten, wurde das Komitee kurzerhand aufgelöst und durch ein neues ersetzt, das mit weniger kritischen Personen besetzt war.

Darüber hinaus haben 20 000 Isländer von ihrem Recht auf Abmeldung aus der geplanten Gesundheitsdatenbank Gebrauch gemacht. Das sind jetzt schon mehr, als Politik und deCode erwartet hatten, und der kritische Teil der Ärzteschaft erfährt dadurch Rückendeckung. Ebenso wie der im Herbst 1998 gegründete bioethische Bürgerrechtsverein Emannvernd.

Insgesamt sieht es so aus, dass der soziale Widerstand gegen die Datenbank auf einer weniger spektakulären Ebene ablaufen wird als in George Orwells Big-Brother-Phantasien. Vieles davon wird sich in Krankenhäusern abspielen, auch wenn dort ein hohes Maß an sozialer Konformität vorherrscht.

Gibt es in anderen Ländern vergleichbare Initiativen?

Auch in Großbritannien ist schon über den Aufbau einer Datenbank diskutiert worden. Im Gegensatz zu Island neigt man dort allerdings dazu, alles hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. In der Nähe von Boston in den USA, wo gerade eine Langzeitstudie zu Herzkrankheiten erstellt wird, will man etwas Ähnliches aufbauen, ebenso wie in Neufundland/Kanada. Und in Estland hat das Parlament erst im letzten Herbst dem Aufbau einer zentralen Gendatenbank zugestimmt - mit weitaus weniger Gegenwehr aus der Bevölkerung als in Island.