Zurück in die Zukunft

Dass Lothar W. Ulsamer nicht Chef des Zukunftsfonds der Stiftungsinitiative werden konnte, ist dem Interesse deutscher Unternehmen an einem vorzeigbaren Kandidaten geschuldet.

Der Versuch scheiterte erst in letzter Minute. Lothar W. Ulsamer, bis zuletzt Favorit für den Posten als Vorsitzender des Zukunftsfonds der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, wurde am letzten Mittwoch einfach abserviert. Zu weit waren etlichen Mitgliedern des Kuratoriums der Bundesstiftung seine publizistischen Auftritte in Zeitschriften der so genannten Neuen Rechten gegangen.

Unter dem Titel »Der alte Traum vom Reich« hatte Ulsamer noch 1994 einen Artikel in der Jungen Freiheit publiziert. Doch die Zeit, den Traum an oberster Stelle der deutschen Wirtschaft weiter zu träumen, ist seit letzter Woche vorbei; der plötzlich vakant gewordene Posten für die Führung des mit 700 Millionen Mark ausgestatteten Bildungs- und Erinnerungsfonds muss neu ausgeschrieben werden. Vorbei ist damit auch die Hoffnung des DaimlerChrysler-Mitarbeiters, die im Stiftungsgesetz vorgesehene Auseinandersetzung mit dem NS so zu führen, wie er das in den letzten dreißig Jahren immer getan hat: von rechts.

Der in letzter Minute erzwungene Rücktritt Ulsamers macht aber noch etwas anderes deutlich: Selbst die Unionsvertreter im Kuratorium des Zukunftsfonds schienen vorige Woche nicht mehr gewillt, einen Kandidaten zu unterstützen, der das internationale Renommee der deutschen Wirtschaftsinitative ernsthaft zu gefährden drohte. Dass der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Bosbach, sich am Tag der Kuratoriumssitzung an die Presse wandte, zeigt, dass Ulsamer auf einem derart avancierten ideologischen Posten nicht mehr zu halten war. Ulsamer, so Bosbach, sei zwar »kein Rechtsradikaler«, problematisch sei es aber dennoch, wenn der Vorsitzende des Zukunftsfonds mit diesem Milieu in Verbindung gebracht werden könne. Wichtig für den Job sei »eine breite Unterstützung und Akzeptanz« in der Bevölkerung.

Auf die konnte Ulsamer allerdings jahrelang zurückgreifen, und auch die Zuversicht der rechten Kuratoriumsmitglieder, ihren Mann durchzubringen, begann erst in den letzten Wochen zu schwinden. Seit November letzten Jahres waren die Zweifel an der Unabhängigkeit des Mannes gewachsen, der das Stuttgarter Büro des DaimlerChrysler-Vorstandsmitglieds und Chefs der Stiftungsinitiative, Manfred Gentz, leitet. Vor seiner Ernennung hatte Ulsamer gesagt, dass er als Vorsitzender des Zukunftsfonds nicht weniger verdienen wolle als bei Chryler. Kuratoriumsmitglieder fürchteten, dass der Autokonzern den auf 100 000 Mark geschätzten Gehaltsverlust ausgleichen würde. Zwar hatte Ulsamer noch kurz vor seiner Abfuhr durch das Kuratorium betont, »dass es keine Einflussnahme des Unternehmens auf den Zukunftsfonds gibt«. Doch Mitarbeiter Gentz' bei DaimlerChrysler soll Ulsamer ebenso bleiben wie Leiter des Büros der Stiftungsinitative in Berlin.

So wird Ulsamer zwar nicht in der angestrebten repräsentativen Position, aber weiter an exponierter Stelle mit Vertretern und Anwälten der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter zu tun haben. Die können sich keinen schlimmeren Verhandlungspartner vorstellen. Im Dezember 1998 schilderte Ulsamer seine Vorstellungen über die Versöhnung von Tätern und Opfern so: »Beim tragischen und bedrückenden Thema der Zwangsarbeit darf es nach unserer Meinung nicht in erster Linie um das Aufrechnen von Stundenlöhnen gehen. Ansonsten besteht die Gefahr, die Tragweite des Geschehens zu verkennen.«

Nicht verkannt haben die Vertreter der Opferorganisationen, wer ihnen da von der deutschen Wirtschaft vorgesetzt wurde. So hatte Deidre Berger, Direktorin des Berliner Büros des American Jewish Committee (AJC), bereits im vergangenen Dezember zu einer Konferenz geladen, in der 40 Nichtregierungsorganisationen über die Verteilung der 700 Millionen Mark berieten. Hinter dem Engagement des AJC steht die Sorge, die Industrie werde - nicht nur unter Ulsamer - zu eigenmächtig mit dem Fonds verfahren und ihn dazu benutzen, sich von historischer Schuld reinzuwaschen. Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte forderte deshalb, dass der Fonds neben Austauschprogrammen und Bildungsprojekten auch ehemalige Verfolgte unterstütze, etwa durch Hilfe bei der Beschaffung eines Nachweises über die geleistete Zwangsarbeit.

Dass der Fonds solche Aufgaben übernehmen sollte, hatte Ulsamer immer abgelehnt, und auch seine langjährigen Förderer im Kuratorium wie im Bundestag werden gewusst haben, was der Soziologe im Dienste von DaimlerChrysler meinte, wenn er von »rein ideellen Interessen« an dem Fonds sprach. Denn schon seit den achtziger Jahren propagiert der Mann eine Form aggressiver Erinnerungsabwehr, die bis weit in die Union Unterstützung fand.

Auf Unionslinie befand er sich etwa 1987, als der frühere Marinerichter Hans Filbinger wegen der Unterzeichnung von Todesurteilen gegen Deserteure am Ende des Zweiten Weltkrieges als baden-württembergischer Ministerpräsident zurücktreten musste. Für Ulsamer war der Rücktritt einer von Linken geführten »Diffamierungskampagne« geschuldet, die »historisch und moralisch« nicht gerechtfertigt sei.

Zu diesem Zeitpunkt wurde Ulsamer schon von Teilen der extremen Rechten begierig rezipiert. So kommentierten die rechtsextremen Deutschen Monatshefte die Neuauflage seiner 1987 als Broschüre erschienen Dissertation mit den Worten: »Es war höchste Zeit für sein Erscheinen. Möge ihm die verdiente Breitenwirkung beschieden sein.« In seiner Doktorarbeit über »zeitgenössische deutsche Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt« denunzierte er Autoren wie Heinrich Böll, Peter Handke und Günter Wallraff. »Wer zur Tat aufruft (Enzensberger), die Gewalt entschuldigt (Böll), ... der kann nicht verwundert sein, wenn seine Worte Früchte tragen.« Als die Bundeszentrale für politische Bildung Ende der achtziger Jahre 500 Exemplare des Pamphlets zur Weiterverbreitung bezogen hatte, bezeichnete die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher das Werk als »reinen Rechtsradikalismus« und sah darin eine Vorstufe zur Bücherverbrennung.

Diese Äußerung zeigt, wie sehr sich der erinnerungspolitische Diskurs in Deutschland seit damals verschoben hat. Nicht die offenbar extrem rechte Haltung Ulsamers, sondern die Position Deutschlands »auf dem internationalen Parkett« führte Hamm-Brüchers Parteifreund Max Stadtler, der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, letzte Woche als Grund für die Ablehnung Ulsamers an.

Die Artikel, die Ulsamer 1988 und 1991 in der NPD-nahen Zeitschrift Zeitenwende veröffentlicht hatte, herausgegeben vom rechtsextremen Nationaleuropäischen Jugendwerk, dürfte Stadtler da auch schon gekannt haben. Doch von allen Mitgliedern des Kuratoriums der Wirtschaftsstiftung machte einzig die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, die Erinnerungsabwehr Ulsamers zum Ausschlusskriterium für den Posten eines obersten Sachwalters der offiziellen Erinnerungsarbeit. »Es versteht sich eigentlich von selbst, dass so ein Mann für den Zukunftsfonds nicht in Frage kommt.« Für eine Mehrheit innerhalb der Wirtschaftsinitative ist das offenbar nicht selbtverständlich. Bis Anfang der Woche war jedenfalls keine Rede davon, Ulsamer wolle von seinem Posten als Berliner Büroleiter der Stiftungsinitiative zurücktreten.