Meike Jäger, IG Medien

»Feste Arbeitszeiten sind ein Fremdwort«

Die Börsenkurse am Neuen Markt gehen nach unten, und auch die Bit- und Byte-Arbeiter werden mehr und mehr Probleme bekommen, diagnostizieren die Gewerkschaften. Doch der Organisationsgrad in der neuen Branche ist niedrig. Meike Jäger von der IG Medien Hamburg überlegt, ob man mit Infoständen vor Startups oder mit lustigen Mail-Aktionen an die Workaholics und Nerds der neuen Medien herankommt.

Unternehmer der New Economy und Gewerkschaften kann man kaum als Partner bezeichnen. Was sind für Sie die Unterschiede zwischen alter und neuer Ökonomie?

Bis vor kurzem war es vielleicht noch witzig, von neu und alt zu sprechen, weil die Art des innerbetrieblichen Umgangs in den neuen Unternehmen einfach anders war als in traditionellen Betrieben. Es gab kurze Entscheidungswege und viel Kommunikation, alles schien lockerer abzulaufen. Doch inzwischen findet eine Hierarchisierung in den Unternehmen statt. Die Kommunikationsverläufe werden zäher. Wenn ich zum Treffen der Hamburger Online-Kapitäne gehe - ein loser Zusammenschluss von Entscheidungsträgern und Beschäftigten der New Media-Branche -, dann treffe ich auf 90 Prozent Männer in Schlips und Anzug.

Der Organisationsgrad der Gewerkschaften in den Betrieben der New Economy soll niedriger sein als der Krankenstand.

Jedenfalls ist er zu niedrig, um sich aktiv in den Betrieben dafür einzusetzen, dass nicht bis an die Grenzen des Zulässigen gearbeitet wird. Die Menschen powern wie verrückt. Burnout und Mobbing sind keine Themen, die von uns in die Diskussion gebracht, sondern sogar von den Unternehmern selbst besetzt werden.

Woher kommt diese Lust an der Ausbeutung?

Zum Teil liegt das daran, dass die Beschäftigten direkt von der Universität kommen. Meist haben sie keine betriebliche Ausbildung. Was das Arbeitsleben angeht, fehlt ihnen Erfahrung. Sie kennen ihre Rechte kaum und haben wenig Vergleichsmöglichkeiten mit den Regelungen in traditionellen Branchen.

Andererseits sind sie hoch motiviert. Sie wollen Verantwortung. Und sie sehen sich als Arbeitskraft-Unternehmer in eigener Sache. Wenn man sich nicht mit dem Bild des Arbeitnehmers identifiziert, dann glaubt man auch nicht, dass die Gewerkschaft die eigenen Interessen vertritt. Außerdem gilt sie häufig als Organisation der Loser. Und wer will schon gerne ein Loser sein?

Im Moment fallen die Aktien am Neuen Markt. Haben Sie es da leichter, an die Menschen heranzukommen?

Ich beobachte, wie die Beschäftigten realisieren, dass persönlicher Einsatz nicht unbedingt dazu führt, dass man die stock options so realisieren kann, wie es einem bei Abschluss des Arbeitsvertrages versprochen wurde. Egal wie verrückt die Leute arbeiten, ihre Performance und die der Firma sind nicht ausschlaggebend dafür, wie das Unternehmen an der Börse bewertet wird.

Und auch die ersten Massenentlassungen wie bei der Tomorrow Internet AG haben dazu geführt, dass die Beschäftigten merken, dass sie ihren Arbeitsplatz von heute auf morgen verlieren können. Genauso wurden die Angestellten in der Gold-Redaktion von Popnet, die einen Online-Shopping-Ratgeber angeboten hatten, sehr kurzfristig darüber informiert, dass der Laden dicht macht. Einigen wurde kurz vor Weihnachten ihre Umsetzung angeboten, anderen ein Aufhebungsvertrag. Die Mitarbeiter hatten kaum eine Chance, sich Rechtsbeistand zu holen. Und ohne Betriebsrat konnte auch nicht über einen Sozialplan verhandelt werden.

Sie nennen sich nicht Gewerkschaftssekretärin, sondern Projektmanagerin. Sie arbeiten bei der Gruppe T.I.M., die von jenen Gewerkschaften eingesetzt wurde, die ab März die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bilden wollen. Für was steht T.I.M.? Und was machen Sie anders?

T.I.M. steht für Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien. Wir sind ein Projektteam von sechs KollegInnen. Ich arbeite dort nicht in den üblichen festgefügten Strukturen, sondern kann ziemlich frei entscheiden, welche Aktionen ich für sinnvoll halte. Außerdem habe ich den Auftrag, mich in Hamburg um die Neuen Medien wie Internet-Agenturen, Web-Dienstleister und Online-Redaktionen zu kümmern.

Zunächst ging es darum, eine Bestandsaufnahme zu machen. Was tut sich in der Stadt der Großverlage? Wer verfügt mittlerweile über Online-Redaktionen, und wo sind sie ausgegliedert worden? Wo gibt es Betriebsräte? Wie lassen sie sich vernetzen? Wie kann ihr Know-how genutzt werden, um auch in verlagsunabhängigen Internet-Agenturen Betriebsratswahlen zu initiieren? Dabei sind Kontakte in die Betriebe sehr wichtig, um ein adäquates Informationsangebot zu entwickeln. Wir müssen erst einmal mit den Leuten in Dialog treten, um zu erfahren, was sie von uns, den Gewerkschaften, erwarten.

Inwieweit ist Ihnen das gelungen?

Bisher war meine Taktik im operativen Geschäft eher verhalten. Mit niederschwelligen Angeboten wie einem Branchen-Brunch habe ich versucht, in die Szene reinzukommen. Mit mäßigem Erfolg. Wir haben inzwischen einen guten Kontakt zu den Betriebsräten der drei Internet-Dienstleister bei Gruner + Jahr: KontorVisions, EMS Holding, Travel Channel. Es gibt einen Austausch mit dem Betriebsrat von AOL und seit kurzem mit einigen kleineren Unternehmen, die schon Betriebsräte haben oder in denen Wahlen anstehen.

Nun überlege ich, wie ich gezielter an die Menschen herankomme. Obwohl mir von den KollegInnen in der Branche davon abgeraten wurde, mich mit Infoständen vor die Betriebe der New Economy zu stellen, denke ich zur Zeit wieder darüber nach. Witzige Aktionen vor den Unternehmen oder E-Mail-Kampagnen könnten Wege sein, die Leute zu erreichen. Im Großen und Ganzen ist der Prozess ziemlich zäh und ermüdend.

Im stern schilderte vor kurzem ein Autor, wie er bei seiner Recherche zu Betrieben der New Economy »unvermittelt ins Schattenreich der sonst so leuchtenden, so freundlichen New Economy« vorstieß. Welche Arbeitsbedingungen haben Sie in den Startups angetroffen?

Feste Arbeitszeiten sind in der Branche ein Fremdwort. Ein Zwölfstundentag ist nicht selten die Regel, ein 18-Stundentag keine Ausnahme. Die vom Gesetzgeber vorgeschriebene elfstündige Pause zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn wird so gut wie gar nicht eingehalten. Zum Teil arbeiten Beschäftigte in den Startups unter extrem beengten Verhältnissen. Nehmen wir zum Beispiel I-D Media. Wo nach der Arbeitsstättenrichtlinie höchstens vier Leute sitzen sollten, saßen sechs. Und überall waren Computer, Kisten, Kabel - also viele Möglichkeiten, sich zu verletzen. Das erinnert manchmal an frühkapitalistische Arbeitsverhältnisse, und mich stört, dass diese angeblich kreative Atmosphäre von Garagen- und Wohnzimmerfirmen auch noch sozialromantisch verklärt wird.

Obwohl die Arbeitsbedingungen schlecht sind, ist die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen sehr stark. Woran liegt das?

Eigentlich ist das kein Widerspruch. Ich erlebe vielmehr, dass sich die Beschäftigten eher mit ihrer Arbeit als mit der Firma identifizieren. Sie finden es gut, im Arbeits- und Projektprozess selbst Entscheidungen treffen zu können. Leider führt das meist zu extremer Selbstausbeutung.