CCC-Kongress

Hackermythen knacken

Junge Nerds, neue Systemberater und Techno-Kritiker der alten Schule trafen sich in Berlin zur CCC-Hackerparty 2000.

Rund 2 300 BesucherInnen hatten sich eingefunden, an über tausend Rechnern und Notebooks wurde in mehreren voll gepfropften Räumen, in Gängen und Vortragssälen kräftig gewerkelt. Zum 17. Mal fand Ende Dezember in Berlin der Chaos Computer Congress statt, die wichtigste Veranstaltung des Hackervereins Chaos Computer Club (CCC).

Die Anfänge des Kongresses und damit des CCC liegen im Orwell-Jahr 1984. Mit Volkszählung, Mikrozensus und aufkommender Computerisierung wurden damals üble Szenarien eines totalitären computer-gestützten Überwachungsstaates diskutiert. In dieser Situation taten sich einige TechnikexpertInnen zusammen, um das aufgeladene Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Computer zu analysieren, und gründeten den CCC. Dem technikfeindlichen Computerdiskurs der Linken fügten sie Spezialwissen, Technophilie und Hackerethik hinzu. Recht bald wurde der Club bekannt, indem er - wie es die Selbstdarstellung formuliert - mit »mehr oder weniger spektakulären Aktionen EDV-Systeme in den Bereichen Datensicherheit und Datenschutz auf ihre Integrität prüfte«.

Die ebenfalls in den Achtzigern entwickelte Hackerethik, die Selbstverpflichtung, nur Gutes zu tun, Sicherheitsmängel und -risiken aufzudecken und kreativ mit Computern umzugehen, konnte nicht verhindern, dass Hacker von der Gesellschaft als Bedrohung des weltweiten Datenverkehrs empfunden werden. Dem subkulturellen Mythos vom guten Daten-Guerillero tat das keinen Abbruch, selbst wenn die exponiertesten VertreterInnen wie Andi Müller-Maguhn und Wau Holland mittlerweile zu gern gesehenen Gästen bei Sicherheitskonferenzen von Industrie und staatlichen Organen wurden. So stehen die einsamen HeldInnen an der Konsole seit langem im Konflikt zwischen emanzipatorischer Technologiekritik, etablierter Systemberatung und gesellschaftlicher Repression.

Auf dem CCC-Kongress Ende Dezember war von der ursprünglichen Motivation - dem kritischen oder gar subversiven Umgang mit Technik - nur noch wenig zu spüren. Verschwörungstheorien wurden kolportiert, die Standleitung des Kongresses wurde zum privaten Download riesiger Datenmengen benutzt, ansonsten gab man sich der Computerromantik am virtuellen Lagerfeuer hin.

Trotzdem bleiben Reststücke der Arbeit von Hackermedien und NetzaktivistInnen weiterhin relevant. Immer noch werden technische Entwicklungen kommentiert und Alternativen entwickelt. Neben der kritischen Vorstellung neuer Netztechnologien wie IPv6, DNF, Multicast und einiger OpenSource-Projekte wie Open-Theory und Oekonux stand dieses Jahr ein thematischer Klassiker im Mittelpunkt: die durch die technischen Entwicklung vorangetriebene Bedrohung der Privatsphäre.

Vor drei Jahren stiftete der britische Datenschutzexperte Simon Davies den »Big Brother Award«, um exponierte Datensammler anzuprangern. Mittlerweile haben Gruppen in Österreich, Deutschland und der Schweiz dieses Modell übernommen. In Berlin wurden die Awards und ihre Preisträger vorgestellt.

Den deutschen Hauptpreis bekam das elektronische Rabattsystem Payback: Wer mit der Payback-Karte bei AOL, bei einer DEA-Tankstelle oder bei anderen Partnern einkauft, erhält einen geringfügigen Preisnachlass. Die Firma, die zu 50 Prozent der Lufthansa gehört, sammelt dafür Daten über die AnwenderInnen und ihre Konsumgewohnheiten.

In einem Vortrag über »Belastungstests an Überwachungseinrichtungen« wurde ein optimierter Ansatz vorgestellt, mit alltäglicher Kontrolle umzugehen. Der Referent stellte Experimente aus seinem Forschungslabor vor, Videokameras funktionsuntauglich zu machen. Am besten geeignet sei der Beschuss der Kameralinse mit in kleine Plastikkugeln gefüllter Lebensmittelfarbe, abgeschossen per Zwille oder Wasserpistole. Am Ende seines Forschungsberichtes analysierte er die Ausdehnung der Videoüberwachung, die Vernetzung staatlicher und privater Überwachungszentralen und die Entwicklung computergestützter Gesichtserkennung, die den vollautomatischen Ausschluss unerwünschter Personengruppen zur Folge hätte.

Das Publikum erwartete ausgerechnet vom Staat, diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Sei es in Gestalt der durchaus ehrbaren DatenschützerInnen, die aber als amtlich bestellte MahnerInnen keinerlei Handlungsmöglichkeiten haben oder in Gestalt des Gesetzgebers, der doch - wäre er erst einmal hinreichend aufgeklärt - dieses Treiben unterbinden könnte. Hier stellen sich die Konsolenfreaks als Naivlinge heraus, die es nicht schaffen, über ihren technischen Horizont zu schauen und ihrem schwammigen, irgendwie linken Weltbild mit einer Schärfung politischer und medienkultureller Analysen auf die Sprünge zu helfen.

Denn der Staat ist nicht nur selbst ein emsiger Datensammler, sondern überlässt seine Aufgaben nach und nach der Privatwirtschaft. Deshalb eignet er sich immer weniger als Projektionsfläche paranoider Verschwörungstheorien, und als netter großer Bruder, der das daten-bedrohende Unheil abwenden könnte, ist er gänzlich ungeeignet. Zumal Überwachung derzeit hipper ist als je zuvor - bis hin zur freiwilligen Selbstüberwachung durch Webcams und Fernsehformate wie »Big Brother«.

Immerhin haben sich im letzten Jahr einige neue Anti-Überwachungs-Initiativen gegründet. Das Webprojekt Aktuelle Kamera präsentierte am letzten Tag des Kongresses seine Arbeit zur Videoüberwachung: eine kritische Kartografierung der Bremer Innenstadt und ihrer Überwachungstechniken, an die Bilder, Videos und inhaltliche Informationen angegliedert sind. Ein ähnliches, webbasiertes Projekt wird vom Kölner CCC betrieben, und in Leipzig ist ein Bündnis mit eher klassischen Mitteln wie Demonstrationen und Veranstaltungen gegen Videoüberwachung aktiv. Bei aller Freude am Geräusch schnurrender Festplatten ging es auf dem CCC- Kongress also doch nicht nur um den schnöden Spaß an der Konsole und den Chic subversiven Expertentums.

www.ccc.de/congress

www.ccc.de

www.heise.de/newsticker

opentheory.org(open source)

privacyinternational.org (simon davies)

www.bigbrotherawards.de

www.payback.de

koeln.ccc.de/projekte/cctv (kölner ccc)

www.nadir.org/camera(leipzig)