Neues Landwirtschaftsministerium

Gesund beginnt im Mund

Dem neuen grünen Superministerium zum Trotz entscheidet jeder selbst, was schmeckt. Mit der Übernahme des Gesundheitsressorts sichert sich die SPD das Vorkaufsrecht an genmanipulierten Nahrungsmitteln.

Damit hatte keiner gerechnet. Nach Wochen der Kritik an seiner Informationspolitik vollzog Rudolf Scharping am Wochenende eine überraschende Kehrtwende mit erfreulichen Nebenwirkungen. Die Maßnahmen, mit denen der Verteidigungsminister auf die Verwendung gesundheitsschädlicher Materialien bei der Bundeswehr reagierte, lassen hoffen, dass das Balkansyndrom nun auch den Berliner Bendler-Block erreicht hat.

»Die Soldaten mussten noch nie Rindfleisch essen«, wehrte sich Scharping in Bild am Sonntag plötzlich gegen Vorwürfe, die nie jemand erhoben hatte. Und er verkündete radikale Konsequenzen: Nahrungsmittel im Wert von fast 1,7 Millionen Mark sollen entsorgt, die kompletten Bestände an Wurst- und Fleischkonserven sowie Dosensuppen aus den Armeelagern geräumt werden. »Alles, was nur irgendwie in Verdacht stehen könnte, mit BSE zusammenzuhängen, wird vernichtet.«

Urangeschosse wird Scharping natürlich nicht vernichten lassen, aber schade ist es trotzdem, dass der Kriegsminister nicht zum Verbraucherminister degradiert wurde. Denn obwohl man seit dem Ausbruch der BSE-Krise im November letzten Jahres von Politikern einige Bauernweisheiten gehört hat, blieben wirkungsvolle Maßnahmen gegen Prionen und Agrarfunktionäre bislang aus. So sprach die ehemalige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer noch am Tag ihres Rücktritts vom »Gau der industrialisierten Landwirtschaft«, dem ein konsequenter, an Tier und Natur orientierter Neuanfang folgen müsse. Und Renate Künast, die Vorsitzende der Grünen, drohte den Spitzen des agrarisch-industriellen Komplexes bei ihrem Amtsantritt im neu strukturierten Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft unerbittliche Auseinandersetzungen an: »Als Sozialarbeiterin im Knast von Tegel habe ich mir sogar den Respekt der Knackis und Schließer erworben.«

Dass Künast auch den Respekt von Landwirten, Bauernfunktionären und Tierfutterherstellern gewinnen wird, mag vielleicht noch angehen, deren Macht ankratzen wird sie freilich nicht. Zu stark ist die deutsche Agrarlobby, die ihr Personal im politischen Überbau anders als andere Industriebranchen bisher quasi selbst bestellen konnte und die seit Bestehen der Bundesrepublik immer mit am Kabinettstisch saß: Egal ob mit CDU-, CSU- oder SPD-Parteibuch, Heinrich Lübke, Josef Ertl, Ignaz Kiechle, Jochen Borchert und Karl-Heinz Funke waren allesamt Landwirtschaftsminister, die den Willen der Bauernverbände stets im vorauseilenden Gehorsam exekutierten. Agrarpolitik betrieben sie auf Traktorenmessen, Dorffesten und Grünen Wochen; Verbraucherschutz war für sie gleichbedeutend mit Klientelschutz.

Als objektiven Fortschritt im Rahmen der parlamentarischen Demokratie kann man den Rausschmiss der Bauernklasse aus dem geschäftsführenden Ausschuss der deutschen Bourgeoisie deshalb durchaus bewerten, und ebenso den Einbruch der Grünen in die Phalanx der Standesvertreter begrüßen. Auch wenn der Wechsel in der Exekutive mehr Kontinuität bedeutet, als viele Biobauern letzte Woche hofften.

Gelegenheit jedenfalls, die Spitzen von Deutschem Bauernverband (DBV) und Deutscher Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) zu treffen, wird Künast schon am Freitag haben, zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin. Die Zusammenkunft mit dem DBV-Präsidenten Gerd Sonnleitner dürfte spannend werden. Nicht weil das von Bundeskanzler Gerhard Schröder prophezeite »Ende der Agrarfabriken« auf der Tagesordnung stünde, sondern weil ein erster Einblick in die künftige Kooperation zwischen dem obersten Repräsentanten von 450 000 mehrheitlich konventionell wirtschaftenden Bauern und der grünen Agraministerin möglich wird.

Und die dürfte beiden weitaus leichter fallen, als es Schröders Aufruf zur Ausrottung der Agrarfabriken den Veganern und Umweltschützern verheißt. Ein »Zurück zur Scholle« jedenfalls, wie es der Spiegel auf der Titelseite seiner neuesten Ausgabe andeutet, wird es nicht geben. Denn die BSE-Krise ist nicht der Auswuchs freier, unkontrollierter Marktkräfte, sondern eher so etwas wie das Nebenprodukt einer hoch subventionierten EU-Agrarplanwirtschaft, in der industrielle Tierhaltung und die Verwendung von Futterzusätzen wie Antibiotika oder die Verfütterung von Tiermehl reichlich belohnt wurden.

Deshalb könnten Anreize für eine qualitätsorientierte, an ökologischen Kriterien ausgerichtete Produktion, wie Künast sie letze Woche ankündigte, bei Sonnleitner auf Zustimmung stoßen, wenn auch nicht aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Interessen. Das deutete der Bauernfunktionär letzte Woche bereits an. »Wenn der Staat den Ökolandbau mehr als bisher mit neuen Fördergeldern unterstützen möchte, ist das in Ordnung«, sagte er der taz, nachdem klar war, dass seine neue Partnerin im Ministerium urbaner sozialisiert sein würde als ihre ländlichen Vorgänger.

Aber noch aus einem anderen Grund könnte die von den Grünen gefeierte Übernahme des Agrarministeriums - zusammen mit dem Umweltministerium sichert es den Ökobombern ein zweites großes zusammenhängendes politisches Feld - einen Modernisierungsschub für die Agrarproduktion in Deutschland bringen. Und zwar ausgerechnet durch Elemente einer von der neoliberalen Avantgarde in der grünen Fraktion bislang heftig bekämpften nachfrage-orientierten Politik im Agrarbereich.

Nach dem Abgang Oskar Lafontaines im Frühjahr 1999 hatte Rot-Grün ganz auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gesetzt. Als Finanzminister Hans Eichel im Sommer 2000 sein neoliberales Sparprogramm ausarbeitete, waren die grünen Haushaltsexperten Oswald Metzger, Christine Scheel und Margareta Wolf federführend dabei. Wolf brachte ihr Engagement für den Standort letzte Woche den lang ersehnten Posten einer Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium ein.

Mit dem Plädoyer Künasts für eine Erhöhung der Marktanteile des Ökolandbaus könnte der ordoliberale Durchmarsch einen - wenn auch kleinen - Rückschlag erleiden, denn 500 Millionen Mark sollen allein für den Anbau und die Vermarktung ökologischer Erzeugnisse von 2002 bis 2005 an die Produzenten fließen. Die deutschen Ernährungsmuffel könnten so endlich zu größeren und teureren Einkäufen an den Biofleischtheken bewegt werden. Eigentlich hatte Berlin schon seit 1999 die Möglichkeit, die EU-Agrarsubventionen für die jetzt in die Kritik geratenen Großfarmen um bis zu 20 Prozent zu kürzen und das Geld zur Förderung von Biobauern auszugeben.

Von den 80 Milliarden Mark, die Brüssel jährlich in den Agrarsektor pumpt, könnten bei einer tatsächlichen Umorientierung im Landwirtschaftsressort die gesundheitsbewussten Fleischkonsumenten profitieren. Schon seit Jahren sinken die Ausgaben für Nahrungsmittel in Deutschland kontinuierlich. So gaben deutsche Verbraucher 1998 nur 12, 4 Prozent ihres verfügbaren Monatseinkommens für Lebensmittel aus, 1970 waren es noch 26 Prozent. Deutschland rangiert im europäischen Vergleich deutlich unter Ländern wie Dänemark oder Österreich, wo ein größerer Anteil des Einkommens für Lebensmittel aufgewendet wird und die Marktanteile der Ökobauern schon heute bei den von Künast anvisierten zehn Prozent liegen.

So mancher Grüne wird sich letzte Woche über die schöne neue Biowelt gefreut haben, die ihm die BSE-Krise 16 Jahre nach dem Gau von Tschernobyl beschert hat. Der biotechnologische Fortschritt allerdings wird wohl auch unter der neuen Parteivorsitzenden Claudia Roth an den Grünen vorbeiziehen. Denn während diese sich bei der rot-grünen Klausurtagung im brandenburgischen Wörlitz über ihre neuen Aufgaben freute, schimpfte die geschasste Ministerin Andrea Fischer, niemals hätten »die Grünen das Thema Gentechnik den Sozen überlassen« dürfen.

Doch mit der bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Ulla Schmidt, setzte Bundeskanzler Schröder eine Frau an die Spitze des Gesundheitsressorts, die er nach den nächsten Bundestagswahlen leicht durch eine profiliertere Gentech-Befürworterin ersetzen kann. Bis dahin bleibt Gentech Chefsache, und auch die Vertreter der florierenden Biotech-Branche werden sich eher an den Kanzler wenden als an Künast. Aber vielleicht bekommen die Grünen ja 2002 das Verteidigungsministerium zugeschanzt, und Angelika Beer schickt fleischhaltige Bundeswehrkonserven ins Kosovo. Ganz humanitär, ökologisch und garantiert gewaltfrei.