US-Plan für Nahost

Clinton schafft Hektik

Der Nahost-Plan des US-Präsidenten setzt Israelis und Palästinenser unter Zeitdruck. Die Islamisten reagieren mit Bomben.

Nach Tagen relativer Ruhe wurde es letzte Woche im Nahen Osten wieder hektisch. Zunächst stiftete US-Präsident William Clinton mit einem Vorschlag für endgültige Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern enorme Verwirrung bei den Diplomaten. Daraufhin demonstrierten die palästinensisch-islamistischen Organisationen Hamas und Islamischer Jihad mit zwei Bombenanschlägen gegen Israelis ihre grundsätzliche Ablehnung der gegenwärtigen Verhandlungen. Und Yassir Arafat sorgte schließlich einmal mehr für Rätselraten über seine Absichten.

Clinton, dessen Amtszeit am 20. Januar endet, hatte den Anlass vorgegeben. Bei der am vorvergangenen Wochenende in Washington beendeten Klausurtagung israelischer und palästinensischer Verhandlungsdelegationen hatte er erstmals seine neuen Vorschläge präsentiert. Die Delegationsleiter, der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat und Israels amtierender Außenminister Shlomo Ben-Ami, mussten sich Notizen machen, denn eine offizielle schriftliche Fassung existierte nicht. Anfang vergangener Woche setzte Clinton Israelis und Palästinensern eine zweitägige Frist, innerhalb deren beide Seiten entscheiden sollten, ob sie die Vorschläge als Basis für weitere Verhandlungen akzeptieren oder nicht.

Am Donnerstag hätten Arafat und Israels Premier Ehud Barak im ägyptischen Scharm el-Scheich zusammen mit Ägyptens Präsident Hosni Mubarak an einer ersten Verhandlungsrunde teilnehmen sollen. Diese hätte schließlich Mitte Januar in ein Gipfeltreffen in Washington unter Clintons Schirmherrschaft münden sollen - zum Abschluss eines endgültigen Friedensvertrages.

Der Clinton-Plan umfasst im wesentlichen drei Punkte. Zum einen soll sich Israel aus dem gesamten Gazastreifen und aus 95 Prozent der Westbank zurückziehen - das wären etwa drei bis vier Prozent mehr, als noch im Sommer beim Gipfeltreffen in Camp David zur Disposition standen. Im Gegenzug dürfte Israel drei große jüdische Siedlungsblöcke annektieren. Sie befinden sich nördlich und südlich Jerusalems, beherbergen 80 Prozent der jüdischen Siedler und umfassen etwa fünf Prozent der Westbank. Zum Ausgleich müsste Israel dem zukünftigen palästinensischen Staat ein gleich großes Territorium aus dem bisherigen israelischen Kernland, vermutlich am Rande des Gazastreifens, abtreten. Die Zukunft der übrigen jüdischen Siedlungen und des militärstrategisch wichtigen Jordantals bleibt dabei unklar.

Zum zweiten soll der Palästinenserstaat weite Teile Ost-Jerusalems als Hauptstadt bekommen. Problematisch ist dabei insbesondere die vorgeschlagene palästinensische Kontrolle über den größten Teil der Altstadt mit Ausnahme des jüdischen und eines Teils des armenischen Viertels. Denn das bedeutet auch die palästinensische Kontrolle über den Tempelberg mit seinen islamischen Heiligtümern sowie über die christliche Grabeskirche. Israel würde dabei lediglich das Zugeständnis bekommen, dass es zwischen Judentum und Tempelberg eine »besondere Verbindung« gäbe, sowie das Verbot für Arafats Staat, im oder am Tempelberg archäologische Ausgrabungen durchzuführen. Unklar bei diesem Punkt ist vor allem, was genau in diesem Zusammenhang »Kontrolle« bedeutet. Zudem ist offen, wie in der engen Altstadt eine effektive Grenzsicherung ausgeübt werden könnte. Im übrigen würde auch diese Regelung im Vergleich zum Stand von Camp David eine weitere Annäherung an die palästinensische Position bedeuten.

Schließlich müsste Arafat - gegen die formale Anerkennung einer Mitschuld Israels am Schicksal der vielen hunderttausend palästinensischen Flüchtlinge - auf ein Rückkehrrecht dieser überwiegend in Syrien, Jordanien und dem Libanon lebenden Menschen in ihre früheren Wohngegenden im heutigen israelischen Kernland verzichten. Nur rund 100 000 dürften unter dem Titel der Familienzusammenführung nach Israel zurückkehren. Die übrigen Flüchtlinge sollen im Palästinenserstaat leben oder in westliche Länder ausreisen und finanziell entschädigt werden. Unklar ist hier vor allem, von wem die Entschädigungen gezahlt würden.

Doch bereits letzten Donnerstag schien Clintons wohl letzte Nahost-Initiative ein vorzeitiges Ende gefunden zu haben. Zunächst explodierte um die Mittagszeit in Tel Aviv eine Bombe in einem Linienbus. Fünfzehn Israelis wurden verletzt, zwei davon schwer. Zu dem Anschlag bekannte sich Saladins Brigade, eine vermutlich der Hamas zugehörige Gruppe. Nur kurze Zeit später kamen bei einem vom Islamischen Jihad begangenen Bombenattentat im Gazastreifen zwei israelische Sicherheitsbeamte ums Leben. Schließlich platzte auch der für den gleichen Tag angesetzte Dreiergipfel von Arafat, Barak und Mubarak. Unklar ist dabei, ob Baraks Teilnahme wegen der Bombenanschläge oder wegen der bis dahin noch ausstehenden palästinensischen Reaktion auf den Clinton-Plan abgesagt wurde.

Klar hingegen ist, dass die Hardliner auf beiden Seiten fürchten, der Plan Clintons könnte tatsächlich innerhalb weniger Wochen den Kern eines israelisch-palästinensischen Abkommens bilden. So bezeichneten übereinstimmend, wenn auch aus entgegengesetzten Blickwinkeln, der Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert vom konservativen Likud wie auch Marwan Barghouti, einer der Fatah-Führer, eine Umsetzung von Clintons Vorschlägen als »Katastrophe«. Die israelische Rechte versucht denn auch, durch die Anrufung des Obersten Gerichtshofes und mit einer für den 8. Januar geplanten Massendemonstration in Jerusalem, Barak zu »stoppen«.

Hamas und Jihad haben ihren Standpunkt mit den Bombenanschlägen mehr als deutlich gemacht. Und auch die Fatah, eigentlich Ara-fats Hausmacht in der PLO, kündigte letzten Samstag auf einem Kongress intensive Kämpfe für die nächsten zwei Wochen an.

So stellt sich wieder einmal die Frage, was Arafats Strategie ist. Zwar haben Repräsentanten des Palästinenserchefs beteuert, die abwartende Reaktion auf den Clinton-Plan, garniert mit diversen an Washington gerichteten »Klärungsfragen«, bedeute keine Ablehnung weiterer Verhandlungen. Doch möglicherweise meint Arafat, die ersten Erfolge seiner »Al-Aqsa-Intifada« in den weiteren Zugeständnissen an die palästinensische Position zu erblicken. Nachdem er sich beim Status Jerusalems schon weitgehend durchgesetzt hat, sollen jetzt offenbar die Flüchtlinge zum zentralen Thema gemacht werden.

Vermutlich muss Arafat dann aber bei weiteren Verhandlungen mit Ariel Sharon, dem Rechtsaußen des Likud, vorlieb nehmen. Schließlich liegt Barak in verschiedenen Umfragen zu den israelischen Ministerpräsidentenwahlen am 6. Februar inzwischen über 20 Prozent hinter Sharon. Und selbst wenn Barak bis dahin noch ein Abkommen mit Arafat erreichen sollte, scheint seine Wiederwahl nahe-zu unmöglich. Der Clinton-Plan jedenfalls wird derzeit von mehr als 50 Prozent der Israelis abgelehnt.