Die Schlacht um Jerusalem

Eine Einheitsfront aller Islamisten freut sich über das Ende des Friedensprozesses.

Als die radikal-islamische Hamas am vergangenen Freitag zum »Tag des Zorns« aufrief, ging es ihren politischen Rädelsführern nicht um eine friedliche Gedenkveranstaltung für die »Märtyrer der Aqsa-Intifada«, sondern um einen neuen Auftakt zum bewaffneten Widerstand gegen Israel. Eine Woche nach dem Ausbruch der Unruhen war eine erneute Eskalation der Gewalt programmiert: Im Anschluss ans traditionelle Freitagsgebet in der Al-Aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg lieferten sich mehrere Tausend Palästinenser in der Altstadt Straßenschlachten mit der israelischen Armee. Steine flogen dabei nicht nur auf israelische Sicherheitskräfte, sondern auch auf betende Juden an der Klagemauer.

Nach nunmehr fast zwei Wochen blutiger Zusammenstöße zwischen Israelis und Palästinensern - als Folge des umstrittenen Besuchs von Oppositionsführer Ariel Sharon auf dem Tempelberg - sitzt der Hass tief. Feindschaft und Verbitterung, die vor allem den radikalen Gegnern des Nahost-Friedensprozesses sehr gelegen kommen: dem Dschihad Islami und der Hamas. Die »Schlacht um Jerusalem«, frohlockt Hamas-Gründer Sheikh Ahmed Yassin, sei in vollem Gang. Seine bewaffneten Einheiten, die Qassam-Brigaden, stünden ab sofort Gewehr bei Fuß, um ihre Märtyrer zu rächen und der »zionistischen Okkupation« ein Ende zu bereiten.

Zuvor war der Hamas-Kader Khaled Maschal nach Teheran gereist, um sich beim iranischen Mullah-Regime religiös-ideologische Rückendeckung zu holen, aber offenbar auch, um Bündnisse zu schmieden. Für den ersten Teil war Ali Khamenei zuständig, die oberste reli-giöse Autorität im Iran. Khamenei spielte bei dieser Gelegenheit den Anführer aller Muslime und rief zum Dschihad - zum muslimischen Glaubenskrieg - zur »Befreiung Palästinas« auf. Israel besitze jedoch »teuflische Pläne« zur Neutralisierung des Dschihad.

Den weltlicheren Teil übernahmen Parlamentspräsident Mehdi Karrubi und Staatspräsident Mohammad Khatami. Karrubi erklärte die »Besetzung Palästinas« zu einer »Verschwörung gegen den Islam, die islamischen Länder und die islamische Geistlichkeit«. Folglich sei »der einzige Weg zur Befreiung Palästinas der Kampf gegen Israel«. Der vom Westen gehätschelte Khatami fuhr, an Yassir Arafat gewandt, fort: »Man sollte sich nicht über die Reaktionen Israels wundern, sondern über die Naivität jener, die glaubten, dass mit Israel Frieden zu schließen sei.«

So gestärkt, verkündete die Hamas-Führung die Gründung eines gemeinsamen Aktionsforums mit der libanesischen - ebenfalls vom Iran unterstützten - Hisbollah in der Absicht,

die Intifada zu stärken und jegliche Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern zu torpedieren. Warnschüsse gab Sheikh Yassin auch in Richtung Arafats ab: Er solle nicht noch einmal wagen, den bewaffneten Aufstand der Palästinenser durch Vertragsschlüsse mit den Israelis zu beenden, so wie dies bereits 1993 mit der Unterzeichnung des Oslo-I-Abkommens geschehen sei. »Die Intifada ist nicht etwas, das man mit einem Federstrich beschließen und beenden kann«, so Yassin.

Im Zuge der jüngsten Unruhen gewinnen die radikalen Islamisten an Popularität, während der PLO-Chef mit dem Rücken zur Wand steht. Nach dem ergebnislosen Nahost-Gipfeltreffen in Paris wächst die Unzufriedenheit mit Arafats politischem Kurs. Viele Palästinenser sind enttäuscht darüber, dass Arafat ungeachtet der gewalttätigen Konfrontation von Israelis und Palästinensern grundsätzlich verhandlungsbereit bleibt.

Aus dem vorläufigen Abbruch der Friedensbemühungen schlägt insbesondere die radikal-islamistische Bewegung politisches Kapital. Vor allem im Gaza-Streifen verfügt die militante Islamistenorganisation Hamas über einen großen Rückhalt bei der ärmeren Bevölkerung. Arafat musste dort immer wieder Kommunalwahlen verschieben, weil er einen Sieg der Hamas befürchtete. Wegen des politischen Drucks, den die radikalen Islamisten im Verlauf der Unruhen aufbauten, musste die PNA bis zum Sonntag 14 Hamas-Mitglieder aus den Gefängnissen freilassen. Nach Informationen der Jerusalem Times sollen in den nächsten Tagen und Wochen weitere Hamas-Terroristen auf freien Fuß gesetzt werden.

Die Hamas stellt nicht nur in Gaza, sondern auch in den Westbank-Städten Ramallah und Hebron einen erheblichen Teil des breit gefächerten Protestbündnisses aus Fatah, Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und islamistischen Splittergruppen - eines nationalistischen und religiös-politischen Zweckbündnisses, das nach Ansicht von Ghassan al-Khatib, dem Nahost-Experten des Jerusalem Media Communication Centre, Ähnlichkeiten mit der Intifada-Bewegung von 1987 aufweist. Was die politischen Rivalen der Hamas und der Fatah in der gegenwärtigen Krisensituation eint, ist die Kritik an den ergebnislosen Verhandlungen und die Wut über das zum Teil brutale Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte in den besetzten Gebieten.

Obgleich die meisten politischen Aktivitäten nach wie vor von einer Mehrheit der Fatah getragen werden, kann sich Arafat im Falle einer Eskalation seiner jüngeren Fatah-Gefolgschaft nicht mehr wirklich sicher sein. Schon jetzt ist fraglich, ob Arafat in der Lage ist, die Proteste sofort zu beenden. Marwan al-Barghouti, der Fatah-Führer in der Westbank, sowie Aktivisten der studentischen Fatah an der Birzeit-Universität bei Ramallah haben bereits erklärt, dass sie - unabhängig von neuen Verhandlungen mit der israelischen Führung - so lange auf die Straßen gehen werden, bis die Forderungen der PNA nach einem israelischen Truppenabzug aus den besetzten Gebieten und der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt eines künftigen Palästina vollständig erfüllt sind.