Wahlen in Japan

Göttliches Pleiteland

Das muss man den Japanern lassen: Realistisch sind sie. Wenige Tage vor der Unterhauswahl am vergangenen Sonntag zeigten sich in einer Umfrage 70 Prozent der Befragten überzeugt, dass der Urnengang nichts ändern werde an den Verhältnissen im Lande. Diese Aussage hätte ihre Gültigkeit freilich auch behalten, wenn die oppositionelle Demokratische Partei den Sieg davongetragen hätte: Die Abspaltung der seit 45 Jahren beinahe ununterbrochen regierenden Liberaldemokraten (LDP) hat inhaltlich so gut wie keine Alternativen zu bieten.

Und so erklärt sich auch, warum die Wähler der LDP und ihrem Vorsitzenden, Ministerpräsident Yoshiro Mori, auch diesmal wieder zu einer, wenn auch deutlich geschwächten, Mehrheit verholfen haben, obwohl die Frustration über die Regierungspolitik so groß ist wie nie zuvor in der Nachkriegszeit: Von einer Fortführung der Koalition aus LDP und den beiden Kleinparteien Neue Komeito (Jungle World, 26/oo) und Konservative Partei erwarten sie sich, wenn schon sonst nicht viel, so doch zumindest Kontinuität.

Das ist eine geringe Hoffnung, doch eine andere gibt es nicht: Die Folgen der Pleitewelle im Bankenwesen Ende der achtziger Jahre und der Finanzkrise 1997 sind keineswegs ausgeräumt, die Arbeitslosigkeit in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hat einen Höchststand von offiziell 4,9 Prozent erreicht; legt man international übliche Maßstäbe an, kommt man ungefähr auf das Doppelte.

Groß angelegte Programme, mit denen die Regierung in den letzten Jahren die Wirtschaft stimulieren wollte, sind weitgehend verpufft, haben aber aber ein Defizit von 6,3 Billionen Dollar in der Staatskasse hinterlassen. Die Folge: 65 Prozent der Steuereinnahmen müssen derzeit für Zinsen aufgewendet werden und stehen weder für die Schuldentilgung noch für weitere keynesianische Programme zur Verfügung.

Die Wähler wissen, dass der Gestaltungsspielraum für jegliche bürgerliche Regierung äußerst gering geworden ist. Da er also mit ökonomischen Wohltaten kaum mehr locken konnte, versuchte sich Mori seit seiner Einsetzung als Nachfolger des einem Herzinfarkt erlegenen Keizo Obuchi als Nationalpopulist der japanischen Art. Wiederholt benutzte Mori in den vergangenen Wochen Ausdrücke und Redewendungen aus dem Wortschatz des chauvinistischen und militaristischen Tenno-Regimes, das im Zweiten Weltkrieg an Hitlers Seite kämpfte.

Einen Skandal löste Mori aus, als er Mitte Mai vor einer Versammlung shintoistischer Parlamentarier erklärte, Japan sei »ein göttliches Land, das auf den Tenno orientiert ist«. Mit ähnlich lautender propagandistischer Begleitmusik überfielen die japanischen Truppen in den vierziger Jahren China und Korea.

Mori ist freilich nicht der erste Premier, der die Instrumentalisierung von Japans vermeintlich heroischer Vergangenheit zur Bewältigung der eher düsteren Gegenwart versucht hat. Bereits letztes Jahr hatte Vorgänger Obuchi eine ähnliche Debatte entfacht, als er der japanischen Flagge und der Nationalhymne, die beide schon von den imperialistischen Truppen verwendet wurden, gesetzlichen Schutz einräumte.

Ob derlei Populismen fruchten, ist dabei durchaus umstritten. Weite Kreise der japanischen Bevölkerung lehnen Militarismus ebenso ab wie die Vermischung von Politik und Religion, und auch Moris Wahlergebnis spricht nicht unbedingt dafür, dass er viel von seinen angeblichen Ausrutschern profitierte.