Prostituierten-Kongress in Berlin

Green Card für Huren

Auf dem Berliner Kult-Hur-Festival wurden Arbeits- und Aufenthaltsrechte für ausländische Prostituierte gefordert und die Ästhetik der Pornographie diskutiert.

Die Location war gut gewählt: Wie vor 25 Jahren stürmten französische Sexarbeiterinnen am 2. Juni eine Kirche. Dieses Mal in Berlin, nicht in Lyon. Mit der Besetzung von St. Nizière hatten Prostituierte am 2. Juni 1975 erstmals kollektiv gefordert, dass die rechtlichen Bedingungen ihrer Arbeit verbessert werden müssen. Dieser Tag markierte den ersten Schritt einer Bewegung für die Sichtbarmachung der gesellschafts- und geschlechterpolitischen Verhältnisse der Prostitution. Seitdem wird am 2. Juni der Internationale Hurentag gefeiert.

Zum Jubiläum sollte in der Kreuzberger Emmaus-Kirche das Kult-Hur-Festival 2000 eröffnet werden. Obwohl in der evangelischen Kirche oft Diskussionen zu Sexthemen stattfinden, untersagte Landesbischof Wolfgang Huber unmittelbar vor Beginn der Veranstaltung, dass der sakrale Ort für den Auftakt zur Verfügung gestellt wird. Kurzerhand stürmten französische Sexarbeiterinnen die Kirche.

Auf den kämpferischen Auftakt folgte ein eher beschauliches Kunst-, Kultur- und Diskussionsforum in der Berliner ufa-Fabrik. Die erwartete Beteiligung von 500 Huren und Strichern blieb aus. Etwa fünfzig TeilnehmerInnen kamen in die ufa-Fabrik, die meisten zählten eher zur feministischen Sexkulturszene.

Während des viertägigen Festivals stellten Beratungs- und Unterstützungsprojekte wie Xenia aus Bern, die seit langem aktive Hurenorganisation Hydra e.V. und der Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, Dona Carmen aus Frankfurt, ihre Arbeit vor. Auf einer konkreten und alltäglichen Ebene unterstützen diese Gruppen Prostituierte dabei, ihre Interessen gegenüber BordellbesitzerInnen und Polizei durchzusetzen. Auf einer Ebene allgemeiner und universaler Politik fordern sie die Gleichstellung sexueller Dienstleistungen mit anderer Erwerbsarbeit. In vielen Ländern sind vor allem illegalisierte Sexarbeiterinnen mit institutioneller Repression konfrontiert, wie die jüngsten Großrazzien und Festnahmen in Frankfurt / M. gezeigt haben (Jungle World, 13/00).

Als Reaktion fordern Frankfurter Migrantinnen jetzt eine Green Card für Prostituierte, die der Tatsache gerecht wird, dass in vielen europäischen Großstädten sechzig bis neunzig Prozent der Sexarbeit von Einwanderinnen gemacht wird. Für die Mehrheit der Prostituierten wäre eine Anerkennung ihrer Arbeit als Beruf sinnlos, solange sie keine Arbeitserlaubnis erhalten. Allerdings hebt die Green-Card-Forderung für Huren die doppelte Logik von Gefährlichkeit und Nützlichkeit nicht auf.

So versucht Dona Carmen den Gewinn für die deutsche Gesellschaft auszurechnen: Gefährlichkeit für Deutschland - »dreckiges« und »illegales« Prostitutionsgeschäft - wird in Nützlichkeit für Deutschland umgemünzt: »Prostitutionsmigration würde sich als transparenter und überschaubarer Prozess regeln und gestalten lassen, anstatt wie bisher im Halbdunkel der Illegalität abzulaufen«. Wie im Falle der Green Card für IT-SpezialistInnen wird ein Fachkräfte-Bedarf als »Lücke« konstruiert, die im Fall der Sexarbeit »dem Bedürfnis entspricht, Sexualität in kulturell unterschiedlich geprägten Formen zu erleben«.

Es wurde beim Kult-Hur-Festival zwar erwähnt, dass ein »kulturell geprägtes Verhältnis zu Sexualität« auf Zuschreibungen basiere. Es ist jedoch absehbar, dass trotz dieses Wissens um die Gesellschaftlichkeit sexueller Zuschreibungen jede Argumentation, die auf einen Nutzen für deutsche Kunden abzielt, bei einer Quotierung gemäß exotistischer Sexualitäten enden wird.

Das Bild der Prostituierten zu verändern, die Trennung in anständige und unehrenhafte Frauen, in Sex aus Liebe und lieblosen Sex aufzuheben, war von Beginn an ein zentrales Anliegen der Hurenbewegung. Daraus entstand eine relativ überschaubare ästhetische Produktion an Pornographie, Dokumentationen, Performances und Fotografie feministischer, queerer, lesbischer und schwuler KünstlerInnen.

Laura Meritt, Inhaberin des ersten Sex-Shops für Frauen und Mitbegründerin von Nutten und Nüttchen e.V., fördert seit Jahren eine Sexpertinnenkultur. Prominente Vertreterinnen dieses Sexpertinnentums sind Annie Sprinkle in den USA und die Autorin und Filmemacherin Monika Treut, die noch stärker Transgender-Themen miteinbezieht.

Als eine der Mitorganisatorinnen des Festivals setzt Laura Meritt auf befreiten Frauensex und einen positiven Umgang mit Sextoys, Pornographie und Prostitution. Etwas unreflektiert erscheint ihr Wunsch, alles zeig- und sagbar zu machen, als würde dadurch Sexualität von ihrer Normativität befreit. Dieser Umgang fügt sich in eine allgemeine Tendenz, Frauen zu gleichwertigen SexualpartnerInnen zu machen, gleich aber auch im Zwang zu sexueller Leistung.

Inwiefern sich feministische Pornographie von Mainstreampornographie unterscheidet, machte Corinna Rückert zum Thema eines Workshops auf dem Huren-Festival. Das Problem vieler Frauen- und Lesbenpornos ist ihrer Ansicht nach, dass sie zu stark versuchten, einen sozialen Kontext miteinzubeziehen, um sexuelle Erregung herzustellen.

Die Kritik der feministischen Anti-Pornobewegung, Mainstreampornographie würde Realitäten abbilden und sei eine sexistische Handlungsaufforderung, konterte Rückert mit dem Einwand, dass die filmischen Mechanismen und die audiovisuelle Überarbeitung übersehen würden. Im Anschluss war Corinna Rückerts Pornofilm »Das Geburtstagsgeschenk« zu sehen, der Frauen- und Mainstreamporno miteinander verbinden will. Obwohl er auch lesbische Sexszenen zeigt, zählt er zu den wenigen heterosexuellen Frauenpornos.

Lesbischer Sex war auf dem Kult-Hur-Festival insgesamt wenig Thema. Dafür wurden einige Filme und Performances der schwulen Subkultur gezeigt, die Punk, Trash und Sex assoziieren. In dem Dokumentarfilm »Wild Boy« erzählt der inzwischen verstorbene schwule Stricher und Drogen-User Phillip Fedier von der Lust an Selbstzerstörung und Weltabgewandheit, seiner Distanz zur schwulen Yuppie- Kultur und Gay-Pride-Bewegung zu Gunsten einer Jean-Genet-mäßigen Anziehung von Verachtung und Schuld.

Beim Film anwesend und als Performer eingeladen war einer seiner Freunde, der Schweizer Carmilla Caliban Cock, Sexarbeiter und Herausgeber des Magazins Strichzone. Er zählt zum schwulen Undergound wie der Filmemacher Bruce La Bruce, ehemaliger Herausgeber des kanadischen Queercore Fanzines J.D. Sein glamouröser Stricher-Film »Hustler White« schloss die Filmreihe ab, mit der einem kleinen Kreis von SexpertInnen eine gelungene Auswahl guter Pornos gezeigt wurden.