Regierungskrise in Polen

Ende der Geschichte

Das Ende der Geschichte habe sich die Solidarnosc-Aktivisten von 1989 sicherlich anders vorgestellt. Ausgerechnet bei ihrem wichtigsten Anliegen, der Integration Polens in die europäische Marktwirtschaft, drohen sie zu scheitern. Und vieles spricht dafür, dass ihre größten Feinde, die Post-Kommunisten von der Demokratischen Linken (SDL), bald die Führung wieder mit übernehmen könnten.

Viel Spielraum hat die Mitte-Rechts-Regierung nicht mehr. Ministerpräsident Jerzy Buzek konnte vergangene Woche das Ende der seit 1997 regierenden Koalition aus der konservativen Wahlaktion Solidarnosc (AWS) und der liberalen Freiheitsunion (UW) nur abwenden, indem er den Rücktritt von fünf liberalen Minister zurückwies - und anschließend sein eigenes Amt zur Disposition stellte.

Der Regierungskrise vorausgegangen war ein operettenhafter Streit um die Warschauer Stadtverwaltung. Nachdem dort im April die Koalition aus AWS und UW zerbrochen war, bildete die Freiheitsunion ein neues Bündnis mit der SLD. Doch Buzek suspendierte wegen angeblicher Rechtsverstöße die ungeliebte Koalition kurzerhand und setzte Andrzej Hermann als kommissarischen Verwalter ein. Dass der Ministerpräsident gerade diesen Mann auswählte, war wiederum der UW zuviel. Hermann, ein erklärter EU-Gegner, schreibt regelmäßig für die rechtsradikale Zeitung Nasza Polska (Unser Polen). Die UW forderte den Rücktritt Buzeks.

Der Konflikt in der reichsten Gemeinde Polens zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien ist. Vor allem in der Frage der EU-Integration ist in der Koalition ein offener Kampf ausgebrochen. Zwar ist das polnische Establishment, abgesehen von der Bauernpartei und den Rechtsradikalen, eindeutig pro-EU eingestellt. Doch sobald es um die Konsequenzen geht, die der Beitritt nach sich zieht, hören die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf.

So verlangt die Freiheitsunion unverzügliche Reformen zur »Europäisierung« Polens. Um den Beitrittstermin 2003 einzuhalten, wollen sie die staatlichen Subventionen drastisch reduzieren und die Staatsbetriebe privatisieren. Die AWS teilt zwar grundsätzlich den Modernisierungskurs, steht aber vor dem Problem, dass er auf Kosten ihrer Wähler geht. Denn die Beschäftigten aus den Staatsbetrieben, die Kumpels aus den Bergwerken, Werften und Stahl-Kombinaten, die die »Revolution« von 1989 getragen haben, gehören heute zu den ersten Modernisierungs-Opfern. Ihre Lobby in der AWS stemmt sich mit aller Kraft gegen die Reformversuche der Liberalen.

Besonders verärgert ist die UW darüber, dass eine Gruppe von AWS-Abgeordneten regelmäßig gegen die Vorlagen der Regierungskoalition stimmt. Die »Rebellen« ließen die Vorlage für eine Agrarreform ebenso scheitern wie die Pläne des liberalen Finanzministers Leszek Balcerowicz für ein neues Steuergesetz oder eine rigidere Haushaltsführung. Letztes Beispiel: Die Anpassung des Rechtssytems an EU-Normen musste erneut verschoben werden, weil AWS-Abgeordnete im Sejm die Zustimmung verweigerten.

Nun soll der Solidarnosc-Vorsitzende Marian Krzaklewski Nachfolger von Buzek werden und damit die Koalition noch einmal retten. Die UW reagiert bisher skeptisch auf den Vorschlag; schließlich sei Krzaklewski mitverantwortlich für die Probleme, die er jetzt lösen soll.

Neuwahlen will die AWS jedoch auf jeden Fall vermeiden. Das Wahlbündnis würde aktuellen Meinungsumfragen zufolge die Hälfte seiner Abgeordneten verlieren, die Demokratische Linke könnten kräftig zulegen. Und vor allem: Die Wähler würden einer Koalitionsregierung von UW und SLD den Vorzug geben. Liberale und Post-Kommunisten könnten sich dann als die wahren Europäer präsentieren - und zwar auf Kosten der Solidarnosc.