Nachhaltige Expo 2000

Entkrampft ins Paradies

Von der »Entwicklung« zur »Nachhaltigkeit»: Die Expo 2000 stellt neue Leitbilder zur Schau. Grenzenlose Technologiegläubigkeit und Sozialdarwinismus werden gleich mitgeliefert. Bilder einer Ausstellung III.

Das Zauberwort heißt »Nachhaltigkeit«. Geht es um die Expo 2000, so darf dieser Begriff nirgends fehlen. Das Konzept der »nachhaltigen Entwicklung« gehört zum wichtigsten ideologischen Rüstzeug der Weltausstellung in Hannover. Nachhaltig soll es überall zugehen, wo die positive Zukunft beschworen wird.

Und das bisweilen mit einer ins Religiöse gesteigerten Heilserwartung: »Auf Felsen werden erschreckende Bilder vom apokalyptischen Reiter der Bibel bis zur Atombombe projiziert. Dann wird das runde Tor hell, und in ihm erscheint ein neues Paradies, ein gestalteter Garten, in dem Menschen tanzen. Die Spannung zwischen Untergang und Erlösung prägt den gesamten Raum.« So beschreibt der offizielle Expo-Guide das Riesengemälde des Belgiers Fran ç ois Schuiten, das den Planet of Visions in Halle 9 darstellt. Irgendwie wird eben doch alles gut.

Die Expo als »Heerschau herrschenden Denkens«, wie der Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko) das Spektakel nennt, macht einen Paradigmenwechsel deutlich. Das Konzept der »Entwicklung«, das nach 1945 die herrschende Weltdeutung bestimmte, wurde Mitte der siebziger Jahre obsolet. In vielen Ländern der Dritten Welt hatte diese »Entwicklung« eine Spur der sozialen Spaltung und Verelendung hinterlassen, gleichzeitig wechselten sich Tankerkatastrophen und der Club of Rome dabei ab, auf die ökologischen Folgen der Entwicklungsideologie hinzuweisen.

Von der ersten Uno-Umweltkonferenz in Stockholm 1972 bis zum Brundtland-Bericht 1986 ersetzte nachhaltige Entwicklung, immer öfter zu Nachhaltigkeit verkürzt, allmählich das bisherige Leitbild von Entwicklung. Als nachhaltig wurde eine Politik bezeichnet, die nicht mehr auf kurzfristigen Raubbau an Natur abzielt, sondern nur so viel an natürlichen Ressourcen in Anspruch nimmt, wie nachwachsen kann bzw. langfristig zumutbar ist.

Mit der Weltumweltkonferenz der Uno (Unced) 1992 in Rio de Janeiro wurde dieser fromme Wunsch zum Leitbild der neuen Weltordnung erhoben und begann, sich zur Kenntlichkeit zu verändern. Unter dem Banner der Nachhaltigkeit forderten die nördlichen Industriestaaten den ungehinderten Zugang zu sämtlichen globalen Ressourcen, insbesondere die freie Ausbeutung und Privatisierung genetischer Information und ihre Vermarktung - was »gemeinsames Menschheitserbe« ist, darf eben keinem Profitgeier vorenthalten werden. Die Agenda 21, ein Katalog von nachhaltigen Zielvorstellungen, die künftig weltweit auf kommunaler Ebene verfolgt werden sollten, sprach sich ausdrücklich für Atomenergie und Gentechnologie als Bestandteile eines künftigen Entwicklungsmodells aus.

Nach der Rio-Konferenz setzte eine Phase der Verwissenschaftlichung und Operationalisierung von Nachhaltigkeit ein. In einer Reihe von Länderstudien wurde die bis heute gültige Mainstream-Interpretation für Nachhaltigkeit definiert. Demnach wird die Welt als globaler Kuchen gesehen, den es unter den Staaten zu verteilen gilt. Niemand darf hier seine Tortengabel raushalten - eine entsprechende Verbindung zu den neuen militärstrategischen Grundsatzpapieren, wonach künftig im Vordergrund die Sicherung des freien Zugangs zu sämtlichen Rohstoffen und Ressourcen weltweit stehe, lässt sich etwa in den strategischen Leitlinien der Bundeswehr von 1992 nachlesen.

Der offenkundige Missstand, dass die Staaten des Nordens sich ungleich größere Stücke vom globalen Kuchen abschneiden, wird durch ein Programm beantwortet, das auf zwei Säulen steht: Effizienz und Suffizienz. Eine »technologische Effizienzrevolution« soll bewirken, dass aus weniger Natur mehr Leistung gemacht wird. Gleichzeitig soll ein nachhaltiger Wertewandel eingeleitet werden, der »unnötige« und »überflüssige« Konsumtion von Ressourcen zurückdrängt.

Angesichts der drängenden Zukunftsprobleme bleibe keine Zeit, nach Schuldigen zu suchen oder über Systemalternativen nachzudenken. Stattdessen müsse innerhalb der bestehenden Strukturen, sprich ohne die herrschenden Eigentums- und Machtverhältnisse anzugreifen, gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Kümmere dich nicht um politische Grundsatzfragen, sondern grabe, wo du stehst - dieses Prinzip wurde denn auch leitend für die Runden Tische, die zur Umsetzung der Agenda 21 auf kommunaler Ebene ins Leben gerufen wurden.

Nachhaltigkeit ist in diesem Zusammenhang nicht einfach ein Schönreden von Problemen. Die krude Mischung aus New-Age-Versprechungen, hemmungsloser Technologiegläubigkeit und sozialem Darwinismus - wer nichts leistet, soll auch nicht konsumieren - ist ein ernst zu nehmendes politisches Kampfprogramm. Es legitimiert Umverteilung von unten nach oben: Sparen für die einen, erweiterte Zugriffe für die anderen. Effizienz für den Norden, für Konzerne, für Männer; Suffizienz für den Süden, für die Ausgegrenzten, für Frauen. Das Nachhaltigkeits-Konzept kombiniert kapitalistische Religion mit planwirtschaftlichen Zugriffen und Forderungen nach Opfern. Es komme nicht darauf an, etwas vom 21. Jahrhundert zu erwarten, heißt es im Expo-Guide: »Es ist das 21. Jahrhundert, das alles von Dir erwartet.«

Die zentralen Studien und Programmpapiere zur Nachhaltigkeit setzten von Anfang an auf eine restriktive Bevölkerungspolitik für den Süden, und sie forderten einen »entkrampften« und »entdogmatisierten« Umgang mit Gentechnologie - zu einem Zeitpunkt, als diese durchaus noch im Widerspruch zur öffentlichen Meinung stand.

Diese »Sündenfälle« sind keine nachträglichen Verfehlungen des Nachhaltigkeits-Konzepts. Sie ergeben sich zwingend aus seinen ideologischen Voraussetzungen. Wer ökologische Probleme lösen will und dabei die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse ausblendet; wer sich die Welt als globalen Gemeinschaftskuchen vorstellt, der von Endkonsumenten aufgegessen wird - der wird zu Bevölkerungspolitik, Gentechnik, zentralisierten Erfassungstechniken etc. schwer Nein sagen können.

Die Debatte um Alternativen zur herrschenden Nachhaltigkeit ist für die Entwicklung zukünftiger linker Konzepte von entscheidender Bedeutung. Sie wird mit wesentlichen Bestandteilen traditionellen linken Denkens brechen müssen: Planbarkeit, Objektivierbarkeit, »Rationalität« der Verteilung, »Demokratisierung« als Zugriff auf alles und jeden.

Ein mehrtägiger »Kongress 2000«, der am kommenden Wochenende in Göttingen das »neue historische Projekt« nach dem »Ende des globalen Kapitalismus« vorstellen will, preist die »Äquivalenz-Ökonomie«, die sich der Bremer Professor Arno Peters ausgedacht hat. Peters will eine »weltweite Ermittlung des Bedarfs»; die »Lenkung der Produktion und die Verteilung von Gütern/ Dienstleistungen wäre vom Computer zu bewältigen«. Das ist gut gemeint. Aber die Expo und ihr patriarchaler Machbarkeitswahn lassen grüßen. Die autoritären Züge des Nachhaltigkeits-Konzepts wurden am deutlichsten durch feministische Analysen aufgezeigt, etwa in einem Beitrag des Buko »Von Sparstrümpfen und Gigabytes«. Göttingen kommt bei sechs Referenten mit einer Frau aus. Auch so ein Indiz.