Picknick mit Peaceniks

Die Friedensgespräche mit Syrien stocken, aus dem Libanon werden Raketen abgeschossen - und nun hat Israel auch noch eine Regierungskrise.

Der Gesetzesentwurf wurde von einem Likud-Abgeordneten eingebracht. Unterstützt aber wurde er von den Abgeordneten dreier Regierungsparteien: der Nationalreligiösen Partei, der Einwandererpartei Yisrael b'Aliyah und der sephardisch-orthodoxen Partei Shas.

Die israelische Regierung unter Premier Ehud Barak erfährt zur Zeit ihre bislang schwerste Krise. Am vergangenen Mittwoch stimmte die Mehrheit der Knesset in einer vorläufigen Lesung für ein Gesetz, das bei dem geplanten Referendum über einen Abzug aus dem Golan die Zustimmung der Mehrheit der Wahlberechtigten verlangt.

Würde das Gesetz rechtskräftig werden, müssten mehr als 60 Prozent der israelischen Bevölkerung dem Abzug aus dem Golan zustimmen. Vorher muss es jedoch noch weitere Lesungen passieren und könnte vom rechtspolitischen Ausschuss der Knesset frühzeitig kassiert werden. Dennoch stellt die Abstimmungsniederlage einen schweren Rückschlag für Barak dar. Sein Konzept, durch eine breite Regierungskoalition, die auch Gegner des Friedensprozesses einschließt, seiner Politik eine stabile Grundlage zu verschaffen, droht zu scheitern.

Vor allem kann sich Barak nicht auf die Unterstützung durch die Shas verlassen, die sich zwar zum Friedensprozess bekennt, dies aber im Zweifelsfall hinter ihre innenpolitischen Interessen zurückstellt. So war die Zustimmung ihrer Fraktion zum Likud-Gesetzesentwurf eine Reaktion auf die Beschneidung ihres Einflusses innerhalb der Regierung. Noch schwerer wiegt, dass sich die Shas eine Woche zuvor dem erfolglosen Misstrauensantrag der Opposition gegen Barak angeschlossen hatte.

Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch innerhalb seiner eigenen Regierung wird offen Kritik an Baraks Vorgehensweise geübt. Der Enthusiasmus des Wahlsiegs scheint verflogen. Dies betrifft sowohl die innenpolitische Situation als auch den weiteren Verlauf des Friedensprozesses. Mit seiner Ankündigung, die israelische Armee bis zum 7. Juli aus dem Libanon zurückzuziehen, hat Barak nicht nur einen in der israelischen Bevölkerung verbreiteten Wunsch aufgenommen. Er hat auch den Schwerpunkt der Friedenspolitik von den Verhandlungen mit den Palästinensern auf das Verhältnis zu Syrien verlegt. Baraks Überlegung war es, durch eine Übereinkunft mit Assad die israelische Verhandlungsposition gegenüber den Palästinensern zu stärken und seinen Rückhalt in Israel zu vergrößern. Nun scheint aber gerade dieser Prozess nicht weiter voranzukommen.

Syriens Haltung, den Abzug als Bedingung von Verhandlungen vorauszusetzen, und seine Unterstützung der Hizbollah im Libanon, bietet der israelischen Seite wenig Verhandlungsspielraum. Dies hat die öffentliche Meinung im Land deutlich zu Ungunsten einer Einigung mit Syrien verändert. Allein sieben israelische Soldaten sind bei Angriffen der von Syrien und dem Iran ausgerüsteten und protegierten Organisation ums Leben gekommen. Die Bevölkerung Nordisraels verbrachte wieder einmal mehrere Nächte in den Schutzräumen.

Die israelischen Reaktionen auf diese Eskalation machen eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Syrien nicht einfacher. Mit Luftangriffen auf den Libanon wurde versucht, die Offensive der Hizbollah zu unterbinden. Die harrschen Äußerungen von Außenminister David Levy haben auch nicht zu einer Entspannung der Lage beigetragen. Hinzu kommt, dass die innenpolitische Situation in Syrien, mit einem kränkelnden Präsidenten Assad und Auseinandersetzungen um dessen Nachfolge, neue Friedensinitiativen behindert. In der letzten Woche wurden in den israelischen Medien ausdrücklich die Möglichkeiten einer bewaffneten Eskalation des Konfliktes mit dem Libanon und mit Syrien erörtert.

Diese Entwicklung scheint möglich zu sein, wenn sich Israel einseitig und ohne eine Einigung mit Syrien aus dem Südlibanon zurückzieht. Dann wäre mit einer Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und der Hizbollah zu rechnen. Die islamischen Gotteskrieger werden versuchen, den Abzug der Israelis zu einem militärischen Debakel zu machen, dem so viele Soldaten wie möglich zum Opfer fallen. Israel hingegen wird alles dafür tun, um das Nachbarland in einem Gestus der Stärke zu verlassen. »Ohne eine Einigung«, schreibt Amir Oren in der liberalen Tageszeitung Ha'aretz, »wird die israelische Armee nicht sanftmütig aus dem Libanon herausschlendern, sondern ihren Abzug unter einer spektakulären Militäroperation durchführen.«

Aus anderen Gründen steht auch der Stabschef der israelischen Armee, Shaul Mofaz, einem einseitigen Rückzug skeptisch gegenüber. »Der Rückzug aus dem Libanon wird kein Picknick«, so Mofaz, der um die Moral seiner Truppe und um das Ansehen der unbesiegten israelischen Armee besorgt ist. Mofaz droht bereits jetzt mit harten Gegenschlägen auf libanesischem Territorium und eventuell auch einem erneuten Einmarsch, sollte nach dem Rückzug Israels die Hizbollah den Norden Israels angreifen. Inzwischen sind auch schon einige Vorbereitungen für diese Eventualität angelaufen, und Barak deutete in verschiedenen Aussagen die Möglichkeit einer Revision seines Rückzugsversprechens an. »Vor unseren Augen«, resümiert der Linksaktivist Reuven Kaminer die Situation, »verkommt der Friedensprozess zu einem Prozess der Vorbereitung für einen neuen Krieg.«

Dabei handelt es sich vorerst um Warnrufe, denn weder Syrien noch Israel hätten bei einer bewaffneten Auseinandersetzung etwas zu gewinnen. Wegen seiner militärischen Unterlegenheit würde ein solcher Konflikt das syrische Herrschaftssystem destabilisieren. Auch auf israelischer Seite lässt sich keine Begeisterung für einen neuen Krieg finden. Selbst wenn eine Mehrheit für einen Abzug aus dem Golan und eine Einigung mit Syrien derzeit nicht sicher ist, so ist die israelische Militärpräsenz im Südlibanon wegen der immensen Verluste im Land sehr unpopulär. Bedeutsamer aber ist, dass auch innerhalb der Armee die Unzufriedenheit über das Engagement wächst. Nach einer internen Studie der Armee toleriert jeder dritte aktive Wehrpflichtige die in Israel weitgehend illegale Wehrdienstverweigerung. Und viele junge Leute wollen sich nicht mehr für jene umbringen lassen, die »Land statt Frieden« wollen.

Somit steht die Rückzugsdebatte auch im Zusammenhang einer generellen Entwicklung in Israel, die durch eine schwindende Identifikationskraft der Armee und eine Entmilitarisierung der Gesellschaft gekennzeichnet ist. Die Armee muss ihre Rolle neu definieren, und sie wird dies, so steht zu hoffen, nur als Garant einer regionalen Friedensordnung tun können. Deshalb stehen die Chancen für eine Einigung zwischen Israel und Syrien trotz allem nicht schlecht. Erste Anzeichen einer kompromissbereiteren Haltung Syriens sind Ende Februar in Jerusalem angekommen. Allerdings haben die Entwicklungen der letzten Tage gezeigt, dass sich die Situation innerhalb kürzester Zeit verschärfen kann.

Zudem scheint die »Syrien zuerst»-Politik Baraks auf Kosten des Friedensprozesses mit den Palästinensern zu gehen. In den besetzten Gebieten macht sich immer mehr Enttäuschung über die neue Regierung breit, und Palästinenser-Chef Yassir Arafat verliert zunehmend an Popularität. Die Terror-Organisation Hamas hat offensichtlich beschlossen, ihre Aktionen innerhalb Israels wieder aufzunehmen: Am vergangenen Donnerstag wurden mehrere ihrer Mitglieder im israelischen Taibe bei der Vorbereitung eines Anschlages erschossen.

Die Zeitschrift The Other Israel der linken Friedensgruppe Gush Shalom schreibt zur Intention Baraks: »Barak scheint einen solchen Frieden anzustreben: Für den Frieden mit Syrien soll der volle Preis gezahlt werden, so dass man die Palästinenser isolieren und sie dazu zwingen kann, weitreichende Annexionen in der West Bank zu akzeptieren.« Entscheidend, da ist sich die israelische Linke einig, wird es jedoch sein, die eigene Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es nur eine gemeinsame Lösung beider Konflikte geben kann.