Alternative Lebensformen

Luxus ohne Publikum

Die Alternative zu Kreuz-, Schöne- oder Prenzlauer Berg heißt bekanntermaßen Manhattan. Bzw. in Berlin ist das so: Wenn man gerne hier ist und »das Ambiente« liebt - und das ist »so easy« hier und bringt einem echt »Lebensgefühl« -, wenn man so denkt und redet und macht und tut, dann ist man in jene Falle gelaufen, die Hauptstadt heißt. Die kommt von dem Ex-Kultursenator und jetzigen Berlin-Werber Peter Radunski (CDU). Der behauptet nämlich tatsächlich: Berlin ist irgendwie (aber das ganz bestimmt haargenau) fast so wie New York. Was dann eigentlich für alle glücklichen Berliner bedeutet: Gern gehen wir fein aus. Und dazu braucht's »Luxus«. Je mehr, desto mehr Glück.

In der Mitte Berlins wird »Luxus« vor allem von Bars verkörpert, die gefährlich nach sechziger Jahre riechen, immer dieselben Loungesofas haben und in denen vielleicht jemand stehen könnte, der - huch! - ein bisschen so aussieht, als ob er auch kokst. Diese Bars könnte man tatsächlich mit denen verwechseln, die auf Fotos in Amica oder GQ abgebildet sind. Und das Publikum ist entsprechend.

Insofern war es eine Freude, dass in der Mitte von Mitte eine Bar aufgemacht hat, die schwarz ist und elegant und sich in ihrer Ästhetik zwar an den totgeborenen Bars der achtziger Jahre orientiert - das aber gekonnt. Und Können, das lernt man in Berlin, ist verdammt wichtig. In der »Lore«, von der hier die Rede ist, gibt es einen Anschluss für Laptops, doch niemand wirbt damit. Es gibt hervorragende Toiletten, aber man publiziert es nicht. Es gibt gute Musik, aber man schaltet keine Anzeigen in Szenemags dafür. Und schließlich: Es ist sauber, und das ist selbstverständlich.

Auch gibt es hinter der Bar Leute, die sich offensichtlich Spaß bei der Arbeit leisten. Wenn man sich also an die Bar setzt und »einen Rotwein mit einem leichten Brombeergeschmack« bestellt, dann zukken die Männer und Frauen hinter der Theke nicht zusammen. Im Gegenteil, sie haben offensichtlich die Zeit, Muße und Ausbildung, a) überhaupt ihren Rotweinbestand zu diskutieren und b) ihn vor allem zu kennen und c) geben sie dem Gast eine Kostprobe des Weines, für den sie sich entschieden haben, um nicht den Fehler zu begehen, ihren Geschmack mit dem des Gastes zu verwechseln.

Solche Bars, in denen es einerseits klappt und andererseits keine von Gott zum Affen bestimmten, von Menschen jedoch für Brüder gehaltenen Türsteher auf Turnschuhe als Selektionsmerkmal achten, kann man in Berlin nur höchst selten finden.

Aber auch in der »Lore« lässt sich kaum eine oder einer finden, die oder der mehr Drinks als Caipirinha kennt. Das Publikum dort glaubt noch immer, sich mit Haargel schick machen zu können, und ferner, dass H&M der dernier cri ist. Vor den Toiletten schließlich versagt die Mehrheit: Die Markierung der Geschlechter durch Rosa und Hellblau wird nicht etwa gendergewitzt ignoriert, sondern einfach nicht verstanden. Und das zeigt noch einmal: Was auch immer in Berlin an Luxus versucht wird, es gibt kein Publikum dafür. Berlin ist eben von Manhatten so weit entfernt wie eh und je.