Ciao Koch-Weser

Der Konflikt um die Besetzung des IWF-Chefsessels ist zu einem offenen Machtkampf zwischen den USA und den Europäern eskaliert.

Der Job ist nichts für Milchgesichter. Wer Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden möchte, muss clevere Finanzminister abservieren und unliebsame Präsidenten über die Klinge springen lassen können. Und er darf keine Skrupel haben, wenn gelegentlich ein Land wegen der Auflagen des IWF im Bürgerkrieg versinkt - wie etwa vergangenes Jahr Indonesien.

Eine Aufgabe nur für hart gesottene Profis. Und nicht für einen wie Caio Koch-Weser. Das findet zumindest US-Präsident William Clinton: Er habe persönlich nichts gegen einen Europäer als IWF-Chef einzuwenden, erklärte er letzte Woche. Der Posten müsse aber mit der »stärksten Persönlichkeit der Welt« besetzt werden. Ciao, Koch-Weser.

Spätestens seit der Probeabstimmung für den IWF-Posten vom vergangenen Donnerstag ist damit der Eklat perfekt. Koch-Weser hatte in Washington zwar mit 43 Prozent die meisten Stimmen erhalten, aber gleichzeitig die erforderliche absolute Mehrheit verfehlt. Der US-Kandidat und derzeitige stellvertretende IWF-Chef Stanley Fischer kam auf zwölf Prozent, der japanische Bewerber Eisuke Sakakibara landet weit abgeschlagen.

In Berlin ist jetzt die Empörung groß. Die Amerikaner hätten kein Recht, den Europäern vorzuschreiben, wen sie für den IWF vorschlagen, entrüstete sich Bundeskanzler Schröder. Sein Finanzminister Hans Eichel vermutet gar eine transatlantische Verschwörung gegen den deutschen Kandidaten. Viele Länder hätten angeblich erst nach heftigen amerikanischen Interventionen für Fischer gestimmt. Es habe »viele Schläge unter der Gürtellinie« gegeben, orakelte Eichel düster, »unter Fair Play verstehen wir etwas anderes«. Schröder schwillt der Hahnenkamm. Die USA sollen sich »gut überlegen, ob sie die Europäer düpieren« wollen, erklärte eine Regierungssprecherin.

Für den deutschen Bundeskanzler ist das US-Veto ein Schlag ins Gesicht. Nach zähen Verhandlungen war es Schröder gelungen, die EU-Mitgliedstaaten auf seinen Kandidaten einzuschwören. Als dann Clinton vor wenigen Wochen noch seinen Finanzminister Lawrence Summers, der Koch-Weser zuvor heftig angegriffen hatte, zurückpfiff, wiegte sich Schröder in Sicherheit (Jungle World, 7/00).

Doch für den US-Präsidenten galten offensichtlich andere Prioritäten. Er muss im laufenden US-Vorwahlkampf vor allem auf die Republikaner Rücksicht nehmen. Und für die ist nicht nur der als Weichling verschrieene Koch-Weser ein rotes Tuch, sondern der gesamte IWF. Zumindest ein Teil der Konservativen möchte den Fonds am liebsten gleich ganz abschaffen. Der IWF lade skrupellose Spekulanten und unfähige Regierungen geradezu ein, die Marktgesetze zu missachten: Geht etwas schief, können sie darauf vertrauen, dass ihnen der Fonds aus der Patsche hilft. Die üppigen IWF-Mittel würden zum Fenster hinausgeworfen oder flössen, wie etwa in Russland, in dunkle Kanäle.

Dass der ehemalige Weltbank-Manager und Spezialist für Armutsbekämpfung dabei weniger die Interessen der Wall Street, sondern mehr die der Entwicklungsländer berücksichtigen will, fördert nicht gerade seinen Ruf. Tatsächlich steht Koch-Weser für eine modifizierte Konzeption des Fonds. Er möchte dessen Funktion auf eine langfristige Strukturpolitik in enger Kooperation mit der Weltbank ausrichten. Keinesfalls dürfe sich der IWF, wie es sein Konkurrent Stanley Fischer verlangt, nur auf ein minimalistisches Krisen-Management konzentrieren.

Will er den Republikaner nicht noch zusätzliche Argumente liefern, muss Clinton daher einen Kandidaten durchsetzen, der zumindest eine harte liberale Position vertritt. Schon frühzeitig habe er deshalb Schröder signalisiert, so Clinton, dass dessen Bewerber nicht in Frage komme. An dem diplomatischen Debakel seien daher die Deutschen selber schuld.

Doch Clinton scheint sich in seiner Taktik geirrt zu haben. Denn das Bundeskanzleramt trat nach den US-Signalen nicht den Rückzug an, sondern ging erst richtig in die Offensive. Von der »neuen deutschen Bestimmtheit«, die viele US-Zeitungen nun konstatieren, wurde Clinton vermutlich ebenso überrascht wie von der Tatsache, dass es Berlin gelang, die EU-Staaten - insbesondere Frankreich und Großbritannien - hinter sich zu versammeln.

Damit ist Schröder zumindest ein Teilerfolg gelungen - er kann sich als Sprecher der europäischen Länder präsentieren. Koch-Weser genieße weiterhin die »volle europäische Unterstützung«, erklärte der amtierende EU-Ratspräsident Antonio Guterres am Wochenende eilig. Schröder wiederum zeigte sich erfreut über die »europäische Solidarität« und betonte seine Entschlossenheit, den IWF-Sessel zu besetzen. Auch sein Kandidat hält sich weiterhin für geeignet. Sogar eine Erklärung für seine Niederlage hat Koch-Weser parat. Er sei Opfer einer »Diffamierungskampagne der angelsächsischen Presse« geworden, sagte er vergangenen Sonntag. »Die von den Amerikanern betriebene Kampagne hat vor der Abstimmung im Exekutivrat des Währungsfonds in allen Teilen der Welt ein schier unglaubliches Ausmaß erreicht.«

Die Personalentscheidung um den IWF-Posten hat sich damit zu einem offenen Machtkampf zwischen den USA und der EU entwickelt. Es geht nicht mehr um bloße Meinungsverschiedenheiten, sondern um einen strukturellen Dissens: Die ehemaligen Verbündeten sind heute Konkurrenten. Deutlich zeigen sich die gegensätzlichen Interessen in Fragen des Handels, der Wirtschaft und der Forschung. Zuerst stritten sich die USA und die EU über subventionierte Bananen. Dann scheiterten die Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation WTO in Seattle an der unterschiedlichen Haltung zwischen Europäern und den USA. Ständig kommen neue Konflikte, wie etwa über den Export genmanipulierter Nahrungsmittel, hinzu.

Längst sind die wirtschaftlichen Konflikt zu einem regelrechten Handelskrieg eskaliert. So wurde erst kürzlich bekannt, dass die USA ihr weltweites Nachrichtensystem Echelon, ein Relikt aus dem Kalten Krieg, zur Industriespionage gegen die EU einsetzen.

Selbst in der Verteidigungspolitik, viel beschworene Basis der atlantischen Solidarität, werden die Gemeinsamkeiten rar. Der stellvertretende US-Verteidigungminister Strobe Talbott äußerte jüngst unverhohlen sein Misstrauen gegen die neuen EU-Einsatztruppe. Sie dürfe nicht in Konkurrenz zur US-dominierten Nato treten.

Doch ob Schröder seinen Bewerber trotz demonstrativer Entschlossenheit und Rambo-Methoden durchbringt, ist äußerst zweifelhaft. Gegen die Stimmen der USA ist kaum ein Votum denkbar. Daher werden sich die wichtigsten EU-Regierungschefs vermutlich darum bemühen, bald einen neuen Kandidaten zu präsentieren. Gut möglich, dass ein britischer IWF-Chef das Vertrauen der USA genießen könnte. Der Economist nannte den ehemaligen konservativen britischen Finanzminister Kenneth Clarke als aussichtsreichen Kandidaten. Als Alternativen werden auch der britische Schatzkanzler Gordon Brown und der ehemalige belgische Finanzminister Philippe Maystadt gehandelt.

Doch auch das wäre zumindest ein indirekter Affront gegen den deutschen Führungsanspruch: Die Briten stellen mit George Robertson als Nato-Generalsekretär schon einen anderen prestigeträchtigen Posten. Eine Kampfabstimmung zwischen Fischer und Koch-Weser wäre allerdings auch nicht im Sinne des Fonds. Ein IWF-Chef, der nicht das Vertrauen der größten Geberländer, also der USA und der EU, genießt, hätte bei dem Job wohl nicht viel zu melden. Da sind schließlich nur ganze Kerle gefragt. Und keine halben Portionen.