Sturm im Milch-Glas

Fünf Jahre Warten hat sich gelohnt. Mit »Socialpark« ist eines der unterhaltsamsten deutschsprachigen Pop-Alben der letzten Jahre auf den Markt gekommen.

Zwei junge, schlaksige Männer in beigen Uno-Uniformen tanzen mit steifem Hüftschwung in der Nachmittagssonne. Der eine hinter einem kleinen Computer. Der andere mit einem Mikrofon in der Hand. »Uschi Obermaier, Baader-Meinhof, Sayeh & Co. / Im Beautycase 'ne Handgranate - war damals so«, singt er mit süßer Stimme: »Nur '77 wollte ich nur Kinderbrei.« Die anwesenden Pressevertreter staunen und knabbern an Koteletts. »Was haben die denn da an? Komische Typen«, meint einer. »Ja, und der Text! Aber kein schlechter Song. Könnte was werden«, sagt ein anderer. Eine Szene am Rande der Kölner Musikmesse Popkomm. Milchs Plattenfirma hatte zur Veröffentlichung der neuen Single »Kinderbrei« zum Barbecue geladen. Die Stimmung war gut an diesem August-Nachmittag. Alles sah danach aus, als ob Milch eine goldene Zukunft vor sich haben würden. Ein Duo auf dem Weg nach oben. Die Sonne schien. Alles klar.

Fünf Jahre ist das nun her. Fünf Jahre, in denen Milch keine Platte veröffentlicht haben. Pop-Stars sind andere geworden. »Am Anfang lief noch alles nach Plan«, sagt Armin von Milch, kreativer Kopf und Sänger der Gruppe, »ich machte einen Deal mit einer großen Plattenfirma, hatte zwei Nike-Taschen voller Geld, und dafür wollte ich denen ein schönes Album abliefern. Super, dachte ich.«

Milch begaben sich zu dem Münchner Star-Produzenten Harold Faltermeyer (Pet Shop Boys, Axel F) ins Studio. Kurz nach Produktionsbeginn verließ jedoch Armins Partner Ralf Maria Z. die Gruppe. Armin suchte sich einen neuen Mitmusiker. Zusammen mit der Keyboarderin Katrin Katarakt nahm er schließlich das Album »Socialpark« auf. Das Problem war nur, die Plattenfirma wollte es nicht mehr haben: »Die wollten Milch als die deutschen Pet Shop Boys verkaufen. Und das ging mit der neuen Besetzung nicht mehr. Also legten sie Milch auf Eis.«

Die Anwälte wurden eingeschaltet. Es folgte eine Zeit lähmender Ungewissheit. Es sah nicht gut aus. Gefangen in Vertragsklauseln, schienen Milch am Ende ihrer Karriere, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Vor ein paar Monaten jedoch - vier Jahre nach den Aufnahmen von »Socialpark« - kam die glückliche Wendung. Die Plattenfirma gab Milch die Erlaubnis, das Album bei einem anderen Label zu veröffentlichen: »Wir haben Glück gehabt«, meint Armin, »andere werden von ihren Plattenfirmen erst im Seniorenalter aus ihrem Vertrag entlassen. Trotzdem, hätte mir Mitte der Neunziger jemand gesagt, dass meine Lieder erst im Jahre 2000 veröffentlicht werden, ich hätte mich vermutlich aus dem Fenster gestürzt.«

Wie es so ist mit Dingen, die vor der Öffentlichkeit zurückgehalten werden, blühten die Spekulationen um dieses Album. Manche, die behaupteten, es gehört zu haben, sprachen von einem sensationellen Werk. Von einem neuen »Smile« war zu lesen, wie das legendäre und nur in Fragmenten existierende, unveröffentlichte Album der Beach Boys heißt.

Nun ist es endlich erschienen, das Album. Und es ist die Aufregung durchaus wert. »Socialpark« ist eines der unterhaltsamsten deutschsprachigen Pop-Alben der letzten Jahre. Achtziger-Jahre-Sound-Ästhetik und der strenge Techno-Vibe, schmieriger Ibizahouse und Gesangsmelodien, wie man sie seit den Tagen der Neuen Deutschen Welle nicht mehr gehört hat, wurden miteinander kurzgeschlossen.

Der »Socialpark« - wie Milch ihn geschaffen haben - ist ein Ort, an dem Eisblumen in Neonfarben blühen, an dem Menschen mit Wetgel-Frisuren am Wegesrand Aerobic machen und Karnevalisten auf Ecstasy umherirren. Ein eigener Humor trägt so manchen dieser Songs, man kann ihn auch Spaß am Unzumutbaren nennen.

Dabei wird »Socialpark« zuweilen zu einem Trip zu den Schattenseiten deutscher Unterhaltungskultur. Zeilen wie »Zusammen können wir es schaffen, geil zu sein. Geil. Geil. Geil«, eine offensichtliche Reminiszenz an den unsäglichen Nummer-eins-Hit des One-Hit-Wonders Bruce & Bongo, werden durch den Vocoder gejohlt. Und in »Teknobaby« hören wir einen ausgelassenen Karnevalsvorsitzenden, der »ganz besonders auch die ausländischen Mitbürger« begrüßt und sein Publikum auffordert, eine »Rakete« loszulassen. Der Saal tobt. Daraufhin setzt sich ein schunkelnder Techno-Beat in Gang. Und der Sänger schickt mit zynischem Unterton »Baby. Baby Techno. Hey. Hey. Hey« hinterher. »Das ist meine Art von Protestmusik«, erklärt Armin von Milch, »Bob Dylan aus Plastik. Mein Beitrag zur Revolution. Ich suche in meinen Liedern nach den Widersprüchen, nach denen sonst niemand mehr fragt. Ich möchte die Leute in Deutschland aus ihrer geistigen Sitzecke kitzeln.«

Nun ist »Socialpark« allerdings kein Album, das durchweg der ironischen Sozialkritik verpflichtet wäre. Es finden sich auch Stücke, die in ihrer hymnischen Leichtigkeit nichts als sanfte Euphorie verströmen. Perfekte Pop-Songs. Wahre Hits. Musik, die wir morgens, wenn wir aufstehen, im Radio und abends, wenn wir weggehen, in der Disco hören möchten. Das grandiose »Es gibt kein geregeltes Leben« ist etwa so ein Song: »In der Löwengrube schlug ich auf. Ich sage, doch ich stehe wieder auf und komm raus«, singt Armin von Milch mit einem betörendem Neil-Tennant-Timbre, während um ihn herum die feisten Harold-Faltermeyer-Beats umeinanderwirbeln.

Milch haben »Socialpark« nicht bei einer großen Plattenfirma, sondern bei dem kleinen Frankfurter Label Saas Fee veröffentlicht. Barbecues am Rande einer Musikmesse, um eine Single zu promoten, wird Saas Fee nicht ausrichten können. Aber darauf verzichtet Armin auch gerne: »Wir wollten einfach keine Verträge mehr unterschreiben, und wenn, nur so richtig faire Verträge, und da kommen momentan nur kleine Labels in Betracht, die dich nicht als bloße Ware sehen. Wir haben lukrative Angebote abgelehnt und uns diesmal lieber mit Leuten eingelassen, die wirklich Interesse an der Musik haben. Nike-Taschen voller Geld hat's zwar diesmal nicht gegeben, dafür erscheint aber auch unsere Platte.«

Vom Cover der »Socialpark« blickt Armin von Milch scharf und entschlossen. Katrin Katarakt liegt etwas weiter hinter ihm. Auf der Seite. Den Kopf auf die Hand gestützt. Das Cover ist dem von »Psycho Candy« nachempfunden. »Psycho Candy« war das Album, mit dem die britische Band Jesus & Mary Chain ihren Durchbruch schaffte. Ein gutes Omen, werden sich Milch gedacht haben. Für den zweiten Versuch.

Milch: »Socialpark«. Als CD bei Saas Fee, als Vinyl bei DeeJay Gigolo