Reformierte Fatwa

Nach den Wahlen im Iran

Nicht mehr nur den Abklatsch wollen sie haben, sondern das Original: Warum soll man sich mit einem iranischen Fast-Food-Restaurant zufrieden geben, wenn man McDonald's auch im Original haben kann? Viele iranische Wähler haben unter den von den Sittenwächtern des Wächterrates als sauber qualifizierten Kandidaten mehrheitlich jene gewählt, die eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen befürworten.

Die Wirtschaftsreformer im Parlament (Madschlis) haben Glück: Der Iran braucht die Rückkopplung an den Weltmarkt dringender denn je. Dank steigender Ölpreise sind zwar die Auslandsschulden auf rund 13 Milliarden Dollar gesunken. Dennoch stiegen die Verbraucherpreise, die Preise für Nahrungsmittel, Mieten und Energie im Durchschnitt um mehr als 20 Prozent pro Jahr. Die Inflation nimmt weiter rasant zu - zur Zeit liegt sie bei 50 Prozent -, während die Löhne und Gehälter nur leicht steigen.

Für den dritten Fünfjahresplan aber gehen die staatlichen Planer des Iran von steigenden Einfuhren aus. Es soll und muss mehr investiert werden, zumal sich viele ausländische Unternehmen ohnehin für Öl- und Gasförderprojekte interessieren. Schon vor der Wahl hatte der iranische Minister für Minen und Metallabbau Eshaq Jahangiri angekündigt, dass sogar US-Firmen künftig in iranische Entwicklungsprojekte investieren dürfen. Man werde keine schriftliche Einladung schicken, aber es gebe auch keine Hindernisse mehr für US-Unternehmen.

Soll heißen: Die iranische Regierung hält nicht länger am bisherigen Beteiligungsrecht fest. Bislang mussten mindestens 51 Prozent an Unternehmen mit ausländischer Beteiligung vom iranischen Staat gehalten werden. Mit dem Sieg der Wirtschaftsreformer dürften nun bald die ersten Konturen einer klassischen Entwicklungsdiktatur sichtbar werden.

Während sich die Wirtschaftsreformer innerhalb der Mullah-Diktatur von einer größeren Weltmarktintegration gleichzeitig eine Verbesserung der ökonomischen Lage und eine Stärkung der eigenen Machtstrukturen versprechen, hoffen viele junge iranischen Wähler auf mehr Kontakt mit der westlichen Kultur. Dieser Widerspruch könnte langfristig dafür sorgen, dass die Mullahs gezwungen werden, die Macht im Lande aufzugeben, eine Mauer um die heilige Stadt Ghom zu bauen und sich in ihren iranischen Vatikan zurückzuziehen.

Staatspräsident Mohammed Khatami allerdings hat nur wenig Lust auf einen schiitischen Vatikanstaat. Die Zerschlagung der Studentenbewegung im Juli letzten Jahres, das Todesurteil für einen Anführer der Studentenbewegung und die Todesurteile gegen drei Gläubige der Bahai-Religion, die Verfolgung von politischen Oppositionellen, die mehr als nur wirtschaftliche Reformen wollen - Khatamis Schweigen zu all diesen Vorgängen deutet allerdings darauf hin, dass er an der Herrschaft des Klerus nicht rütteln kann und auf einen Konsens mit der geistlichen Macht setzt.

Auch außenpolitisch beweist Khatami immer wieder, dass sein Veränderungswille politische Grenzen hat. Während die vom Iran unterstützte libanesische Hisbollah Israel beschoss, nahm der Präsident an antiisraelischen Demonstrationen in Teheran teil. Zwar hat der »islamistisch-liberale« iranische Außenminister Kamel Charrassi Mitte Februar erklärt, dass die Fatwa gegen Salman Rushdie weiterhin gelte, denn ein göttliches Urteil könne nicht widerrufen werden. Die Regierung werde aber keine Schritte unternehmen, um Rushdie zu töten. Das Kopfgeld einer iranischen Stiftung in Höhe von umgerechnet etwa 5,6 Millionen Mark bleibt jedoch bestehen. Jeder Muslim soll sich berufen fühlen, Rushdie zu ermorden.